"Chemin Neuf" in kirchenrechtlicher Sicht. Andreas Friedel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Friedel
Издательство: Bookwire
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429063726
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allmorgendlichen Gebetspensum der CCN-Mitglieder.265 Der Donnerstag, also der Tag des Letzten Abendmahls, steht im Wochenrhythmus der Kommunität besonders unter dem Gedanken der Ökumene. In der Heiligen Messe wird für die Einheit der Kirchen gebetet. Zur Ausgestaltung der Messe für die Einheit der Christen hat die Gemeinschaft eine eigene Symbolik entwickelt. Eine leere Schale und ein leerer Kelch werden zum Altar getragen. Dabei wird Psalm 122 gesungen: „Ich freute mich, als man mir sagte: Zum Haus des Herren wollen wir pilgern.“ Die leeren Gefäße sollen die nicht vorhandene Mahlgemeinschaft vor Augen führen und andeuten, dass sie von Gott gefüllt werden müssen, der als Einziger die Einheit schenken kann. Diese Symbolik soll den Schmerz der Trennung versinnbildlichen und die Hoffnung auf Einheit zum Ausdruck bringen.266 Die Konstitutionen fordern die Mitglieder auf, an den Gottesdiensten anderer christlicher Kirchen teilzunehmen. Die CCN-Mitglieder sollen Kontakt mit den Verantwortlichen anderer Kirchen aufnehmen, um ihnen ihre Verfügbarkeit für pastorale Dienste zu signalisieren.267 Den Kommunitätsmitgliedern wird nahegelegt, sich in ökumenischen Themen weiterzubilden. Es werden Schulungen zu ökumenischen Themen angeregt. Dazu sollen unter anderem Referenten aus anderen Konfessionen eingeladen werden.268 Bei Treffen und Begegnungen mit Christen anderer Konfessionen sollen Gottesdienste in ihrem Ritus gefeiert werden.269

      Timothy Watson geht näher auf die Handhabung des Sakramentenempfangs ein. Er betont, jedes Mitglied der Kommunität müsse seiner Religionsgemeinschaft Gehorsam leisten. CCN fragt nach Watson den jeweiligen katholischen Ortsbischof an, ob er die Einwilligung erteile, bei den Eucharistiefeiern „ökumenische Gastfreundschaft“ zu praktizieren. In Frankreich ist die Einladung an Nichtkatholiken, die Kommunion zu empfangen, nach seiner Einschätzung üblich.270 In den meisten Häusern der Kommunität ist die katholische Eucharistiefeier die Regel. Deshalb stellt sich vordringlich für die Nichtkatholiken die Frage, ob sie von der „ökumenischen Gastfreundschaft“ Gebrauch machen sollen. Unter der vorangestellten Bedeutsamkeit des Gehorsams führt Watson aus, die Nichtkatholiken bäten ihre Herkunftsgemeinschaft um die Erlaubnis, die Kommunion in der katholischen Kirche empfangen zu dürfen. Nur wenige Glaubensgemeinschaften versagten diese Einwilligung. Die meisten nichtkatholischen Gemeinschaften überlassen es nach Watsons Einschätzung dem Gewissen ihrer Anhänger, die katholische Kommunion zu empfangen.271 Im umgekehrten Fall, wenn Katholiken an protestantischen Abendmahlsfeiern teilnehmen, würde man die katholischen Gläubigen daran erinnern, dass ihre Kirche ihnen den Kommunionempfang nicht gestatte. Jedoch würden die Katholiken ermutigt (encouraged), ihrem eigenen Gewissen zu folgen. Diese Vorgehensweise betrachtet Watson als gute thomistische Theologie. Hier zeigt sich entweder eine Unkenntnis der katholischen Sakramentenlehre oder dass man es mit dem Gehorsam weniger genau nimmt, als man vorgibt.

      Einschlägig für die interkonfessionelle Sakramentendisziplin ist can. 844. Der Normalfall wird in § 1 normiert: „Katholische Spender spenden die Sakramente erlaubt nur katholischen Gläubigen; ebenso empfangen diese die Sakramente erlaubt nur von katholischen Spendern“. In den nachfolgenden Paragraphen werden Ausnahmen von der Grundregel erlassen. Für die Zulassung von Christen, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, normiert § 4: Der Sakramentenempfang ist in Todesgefahr oder einer anderen schweren Notlage erlaubt. Die schwere Notlage ist vom Diözesanbischof oder der Bischofskonferenz festzustellen. Den Empfängern muss es physisch und moralisch unmöglich sein, einen Sakramentenspender seiner Konfession anzugehen. Außerdem wird erwartet, dass der Empfänger das Sakramentenverständnis der katholischen Kirche teilt. Die Schwelle für den ausnahmsweise erlaubten Sakramentenempfang ist hoch. Eine ökumenische Vereinsarbeit erfüllt den Ausnahmetatbestand nicht.272 Wenn Watson die Kommunionpraxis in Frankreich korrekt und ohne ideologische Nebenabsichten wiedergibt, wäre die Rechtsauslegung der erlaubnisgebenden französischen Bischöfe zu hinterfragen. Abweichend von Watsons Lagebeschreibung erklärt ein deutscher CCN-Verantwortlicher, die Erlaubnis zur „eucharistischen Gastfreundschaft“ werde von den katholischen Ortsbischöfen kaum gewährt. Das Erzbistum Köln habe der Anfrage von CCN beispielsweise eine klare Absage erteilt. In den deutschen Niederlassungen sei die katholische Eucharistiefeier das Übliche. Den nichtkatholischen CCN-Mitgliedern oder Veranstaltungsteilnehmern würde an Sonntagen eine Fahrmöglichkeit zu einem Gotteshaus ihrer Konfession angeboten. Sollten sie sich entschließen, an der katholischen Messfeier teilzunehmen, erhielten sie anstelle der Kommunion den Segen.273 Inwieweit die Differenzen in der Lagebeschreibung auf landestypischen Unterschieden beruhen – Watson spricht aus der Sicht eines englischen CCN-Mitglieds – oder eine theologisch korrektere Außendarstellung angestrebt wird, ist schwierig abzuschätzen. Die Darstellung von Watson scheint jedenfalls nicht die gängige kommunitäre Praxis widerzuspiegeln. Dem Bericht eines katholischen CCN-Mitglieds aus Straßburg ist zu entnehmen, dass das Kommunitätsmitglied sich über den Sakramentenempfang dezidiert Gedanken gemacht hat und die katholische Sakramentendisziplin gewissenhaft einhält.274

      Neben der kirchenrechtlich brisanten Sakramentenpastoral findet das religiöse Gemeinschaftsleben der Kommunität in weiteren Andachts- und Frömmigkeitsformen seinen Ausdruck. Wie die Publikationen der Kommunität nahelegen, werden in den CCN-Zentren, also in Bildungs- und Exerzitienhäusern, regelmäßig Heilige Messen gefeiert. In einigen Kirchen und Kapellen der Gemeinschaft finden eucharistische Anbetungsstunden statt, in den klösterlich geprägten Niederlassungen werden einzelne Horen des Stundengebetes gemeinsam verrichtet.275 Auch bestimmte Formen der Marienfrömmigkeit werden gepflegt.276 Nichtkatholischen CCN-Mitgliedern oder Veranstaltungsteilnehmern steht es frei, an den katholisch geprägten Andachtsformen teilzunehmen. Es finden sich keine Hinweise darauf, dass Gottesdienstformen aus der protestantischen oder orthodoxen Tradition zum festen Tages- oder Wochenprogramm gehören. Ausdrücklich erwähnt wird die Möglichkeit für nichtkatholische CCN-Mitglieder oder nichtkatholische Kursbesucher an Sonntagen Fahrmöglichkeiten zur nächstgelegenen Kirche ihrer Konfession anzubieten.277

      Einen festen Platz in der Sakramentenpraxis von CCN hat das Bußsakrament. Den Christen anderer Konfessionen wird anstelle der Beichte ein nichtsakramentales Beichtgespräch angeboten. Mitglieder der Kommunität und Kursbesucher merken an, die Unterschiede zwischen den Konfessionen würden oft in den kleinen Riten und Gesten deutlich. Protestantische Christen knieten z. B. während der Messe nicht oder bekreuzigten sich nicht. Das Beten der Allerheiligenlitanei oder bestimmte Formen der Marienverehrung führen gelegentlich zum Klärungsbedarf. Diesen Unterschieden begegnet CCN nach eigener Einschätzung mit einer Haltung der Flexibilität und Toleranz.

      Das CCN-Magazin Tychique aus dem Jahr 1991 nennt als weitere Komponenten im spirituellen Gesamtensemble der Gemeinschaft die theresianische Spiritualität, die sich auf das Leben und die Lehre der heiligen Theresia von Avila gründet. Die Kommunität, so beschreibt es der Tychique-Artikel, ginge an der Hand zweier Erwachsener – des heiligen Ignatius von Loyola und der heiligen Theresia von Avila.278 Der Tychique-Artikel charakterisiert Theresia von Avila als eine Frau des Gebetes und der Kontemplation und als eine Heilige voller Wärme, Begeisterung und Spontaneität. Theresia verkörpere für eine gemischt feminine und maskuline Gemeinschaft wie CCN das weibliche Element. Ihre Spiritualität stehe in einer Gemeinschaft, die sich apostolische Aktivitäten auf die Fahne geschrieben hat, für den notwendigen Gegenpol – die Kontemplation.279 Worin die geschichtlich gewachsenen Bezüge der Kommunität zur heiligen Theresia bestehen oder welche konkreten Gebets- und Andachtsformen theresianischer Natur sind, wird nicht aufgezeigt. Allgemein verweist der unbekannte Autor des Artikels darauf, dass es in Leben und Lehre der heiligen Theresia Parallelen zum ignatianischen Gedankengut gebe, weshalb diese Frömmigkeitsrichtung eine Ergänzung und Bestärkung sei.280 In den Quellen mit amtlichem Charakter wie den Konstitutionen, der Vorstellungsbroschüre oder der Homepage der Kommunität finden sich keine Hinweise auf die theresianische Spiritualität.281

      Jacqueline Coutellier, die Frau, die neben Fabre einen wichtigen Beitrag zur Gründung der Kommunität geleistet hat, gibt sich als Befürworterin und Anhängerin der theresianischen Spiritualität aus.282 Coutellier verweist auch in neueren Veröffentlichungen darauf, dass diese Frömmigkeitsform zum Erbe und zum Auftrag von CCN gehöre.