Ein theologisches Deutungsmodell für die ökumenische Orientierung charismatischer Gemeinschaften und Gruppierungen erscheint wissenschaftlicher und bildet eine notwendige Ergänzung zum Gründungsnarrativ. Die pfingstkirchliche Erneuerungsbewegung nahm ihren Ausgang in den protestantischen Religionsgemeinschaften Nordamerikas. Die ersten katholischen Anhänger dieser Bewegung waren sich der Tatsache sehr bewusst, dass sie einer Glaubenspraxis folgten, die ihren Ursprung außerhalb der eigenen Kirche hatte.240 „Frühe Pfingstler lebten in dem Bewusstsein einer universalen christlichen Gemeinschaft über alle Konfessionen hinweg.“241 Die Erfahrung der Geisttaufe und die damit einhergehende Bekehrung werden nach übereinstimmender theologischer Wertung als so fundamental beschrieben, dass Differenzen wie konservative oder liberale kirchenpolitische Ansichten oder protestantische und katholische konfessionelle Beheimatung dagegen als sekundär empfunden werden.242 Die Erneuerungsbewegung wird daher als „ökumenisch von Natur aus“,243 „transkonfessionell“244 oder als eine „transversale Bewegung“245 beschrieben. Ein Beobachter der charismatischen Bewegungen erklärt, die charismatische Erneuerung und die Ökumene seien füreinander geschaffen. Der ökumenische Geist und der interreligiöse Dialog seien die tragenden Säulen der charismatischen Erneuerungsbewegung.246 Durch diesen Geist ökumenischer Offenheit war auch die charismatische Gebetsgruppe geprägt, die von Mike Cawdrey gegründet worden war und aus der CCN hervorging.247 Die ökumenische Ausrichtung von CCN erscheint im Licht dieser Fakten weniger zufällig und singulär, als es die Gründungsgeschichte nahelegt, sondern mehr als die konsequente Fortführung eines in der charismatischen Erneuerung bereits enthaltenen Impulses.248
2.3.3 Die theologischen Grundlinien der CCN-Ökumene
Laurent Fabre nimmt in zwei Interviews249 Stellung zu der Frage, von welchen Prinzipien sich die Kommunität bei der Ökumene leiten lassen solle. Fabre macht seine Präferenzen anhand von Gegenüberstellungen zwischen gangbaren Wegen und Sackgassen in der Ökumene deutlich. Die ökumenischen Leitlinien, die Fabre seiner Kommunität als Handlungsmaßstab vorgibt, basieren auf ausgewählter theologischer Literatur, deren Entwürfe er als Leitbilder nostrifiziert hat.250 Als einen ersten Irrweg bezeichnet Fabre den Versuch, die Christen anderer Konfessionen zum Katholizismus zu bekehren. Eine fraglose Rückkehr von Christen anderer Konfessionen in den Schoß der katholischen Kirche sei in der heutigen Zeit nicht vorstellbar. Die Kirchengeschichte habe gezeigt, dass solche Versuche wirkungslos bleiben. Er bevorzuge den Weg der geduldigen Aufarbeitung und Auseinandersetzung zwischen den christlichen Konfessionen, also den Weg von Dialog und schrittweiser geduldiger Annäherung.251 Ebenso unvernünftig sei es, in dem Einheitsbemühen von unüberwindbaren Mauern zwischen den unterschiedlichen christlichen Konfessionen auszugehen. Die Hindernisse auf dem Weg zur Einheit der Christen seien nicht unüberwindlich, vor allem deshalb nicht, weil für Gott alles möglich sei. Das gemeinsame Gebet, der konfessionsübergreifende Einsatz bei der Evangelisierung und der ökumenische Alltag in der Kommunität würden zeigen, dass die Mauern nicht unüberwindlich sind.252 Ein Irrweg sei es auch, so Fabre weiter, wenn Ökumene zur Bildung von Doppelstrukturen führe. Es dürfe keinen Parallelismus geben, der sich auf unterschiedliche Weise äußern kann. Ökumene im Sinne von CCN heiße nicht, weil ein Katholik gesprochen habe, müsse nun auch ein Protestant sprechen, oder weil es eine katholische Eucharistiefeier gebe, müsse es auch einen protestantischen Gottesdienst geben.253 Eine weitere Sackgasse stellt in Fabres Augen die Forderung nach sofortiger Einheit dar, die er als „Fast-Food-Einheit“ bezeichnet. Ähnlich wie die Vorstellung von den unüberwindbaren Mauern würde diese Forderung grob verallgemeinern. Der Wunsch nach der sofortigen Einheit nehme die Unterschiede nicht ernst und könne nur zu einer Art vorgetäuschter Einheit führen, die die Differenzen nicht wahrhaben möchte.254 Die Bekehrung der Kirchen – la Métanoïa ecclésial – hält Fabre für eine unabdingbare Voraussetzung für die Ökumene.255 Des Weiteren verweist er auf die praktische, im Alltag gelebte Ökumene. Das gemeinsame Gebet und Bibellesen, die caritativen Dienste und die Evangelisationsbemühungen seien zwischen den Christen der verschiedenen Konfessionen bereits heute möglich. CCN gehe den demütigen Weg der alltäglichen Ökumene.256 Die theologischen Konzepte Fabres vermitteln einen ersten Einblick, welche Wege man bei CCN beschreiten will. Der Gedanke von der Alltagsökumene, der hier anklingt, verdient an späterer Stelle Beachtung, weil ihm im Gesamtkonzept eine wichtige Rolle zukommt.
2.3.4 Zuordnung zu theologischen Konzepten
Die Äußerungen des Gründers und andere Verlautbarungen zu diesem Thema deuten darauf hin, dass sich CCN von einem praktisch-pragmatischen Ökumenekonzept leiten lässt. Ökumene bedarf nach Fabre der intellektuellen theologischen Arbeit. Für CCN sei es aber zuerst der „Weg des Alltags“.257 Das heißt für ihn, Christen verschiedener Konfessionen leben in den CCN-Fraternitäten zusammen, sie arbeiten gemeinsam an sozialen und missionarischen Projekten der Kommunität und legen in der säkularisierten Gesellschaft Zeugnis für den christlichen Glauben ab. Die Frage, wo man die verbandstypische Ökumene am deutlichsten wahrnehmen könne, beantwortet ein CCN-Mitglied mit dem Verweis auf das Alltagsleben der Kommunität. Da gebe es nichts Außergewöhnliches zu sehen, nur die tägliche Routine, Gebete, pastorale Einsätze, Arbeit im Haus, gemeinsamer Austausch, die täglichen Herausforderungen eben, aber diese würden gemeinsam bestanden. Darin zeigt sich nach Ansicht des Kommunitätsmitglieds das Charakteristische der CCN-Ökumene.258
Was die Kommunität als Alltagsökumene betitelt, wird in der Theologie unter dem Konzept der „pragmatischen Ökumene“ und der „geistlichen Ökumene“ thematisiert. Ein Autor aus dem Fachbereich Ökumene weist darauf hin, dass die Einheitsbestrebungen in der Krise sind.259 Der Enthusiasmus der 60er und 70er Jahre sei verflogen. Die nachlassende Religiosität in Westeuropa führe bei den verbleibenden Christen zu einer Betonung der eigenen konfessionellen Identität. Die kirchenamtlichen Konsensgespräche hätten trotz jahrzehntelangen Bemühens zu keiner Annäherung geführt. Der Versuch, die kirchentrennenden Lehrunterschiede doktrinell aufzuarbeiten, habe noch nicht einmal zu einem Konsens über eine ökumenische Hermeneutik geführt. Die grundlegenden Fragen, wie viel sichtbare und organisatorische Einheit angestrebt werden muss und ab wann Abweichungen in Lehrfragen als legitime Vielfalt oder als kirchentrennend betrachtet werden müsse, würden auch nach vielen Dialoggesprächen unbeantwortet bleiben.260 Angesichts der Schwierigkeiten der doktrinellen Ökumene richtet sich das Augenmerk verstärkt auf die praktische und die geistliche Ökumene. Bei der praktischen Ökumene steht die sozialpastorale Zusammenarbeit im Vordergrund. Man sieht von den kirchentrennenden dogmatischen Positionen ab. Sattdessen setzt man auf soziale Projekte, das gemeinsame Eintreten für ethische Positionen in einer säkularen Öffentlichkeit oder eine Kooperation in der kategorialen Seelsorge.261 Die geistliche Ökumene richtet das Augenmerk auf die Grundlagen des christlichen Glaubens, das gemeinsame Gebet und das Lesen der Heiligen Schrift. Durch die Konzentration auf die spirituellen Grundlagen wird das Gemeinsame betont, nicht das Trennende. In beiden Ansätzen werden Differenzen zugunsten der Gemeinsamkeiten zurückgestellt.262 Dieses praktisch-geistliche Ökumenekonzept verfolgt auch CCN. Die Äußerungen Fabres deuten bereits an, dass man nicht bei der Doktrin ansetzt. Die Unterschiede in der Glaubenslehre und Glaubenspraxis der christlichen Konfessionen werden bei CCN zur Kenntnis genommen, ohne den Anspruch zu erheben, sie lösen zu müssen. Eine theologische Auseinandersetzung um Inhalte tritt zurück. Im Vordergrund steht der Wille zur praktischen Relativierung der Konfessionsgrenzen.263 Eine ausgeprägte Pneumatologie bildet den Kern des ökumenischen Bemühens. Ökumene wird zuerst als ein geistlicher Prozess verstanden. In der kirchlichen Öffentlichkeit hat sich CCN die Reputation erworben, eine ökumenefreundliche Gemeinschaft zu sein.264
2.3.5 Umsetzung der alltagsorientierten und geistlichen Ökumene
Die Konstitutionen geben eine Reihe von Anweisungen, wie die ökumenische Gesinnung in der Kommunität gelebt werden soll. Zu den geistlichen Pflichten der CCN-Mitglieder