Eine Rückversetzung Plettenbergs nach Erfurt wurde bereits 1947 erwogen, als der nach Flucht und Vertreibung in Erfurt untergekommene Breslauer Weihbischof Joseph Ferche126 im selben Jahr das Angebot des Kölner Erzbischofs annahm und zweiter Weihbischof des Erzbistums wurde.127 Somit war der einzige Weihbischof der SBZ neben den Bischöfen Konrad Kardinal von Preysing128, Heinrich Wienken129 und Petrus Legge130 nicht mehr in der mitteldeutschen Diaspora einsetzbar. Der Fuldaer Generalvikar Günther bat darum den Generalvorstand des Bonifatiusvereins um Zustimmung, dass Plettenberg in seinem ehemaligen Arbeitsfeld Erfurt wieder eingesetzt werde, „um dort nach Verleihung einer kirchlichen Auszeichnung – zur Erhöhung seines Ansehens bei den Andersgläubigen – an der Betreuung der zugewanderten Gläubigen und Geistlichen an führender Stelle zu arbeiten.“ Plettenberg genieße, so Günther, „in seltenem Masse“ das Vertrauen der Thüringer Geistlichen, und er habe Erfolge bei Verhandlungen mit staatlichen und kirchlichen Stellen erzielt. Außerdem befinde sich das kirchlich-religiöse Leben in Thüringen in einer folgeschweren Krise, weshalb man Plettenberg unbedingt benötige.131
Dennoch kam es nicht zu einer Übersiedlung Plettenbergs. Nach einem Besuch in Erfurt im Mai 1947 schrieb er an seinen Heimat-Erzbischof Kardinal Frings: „Nach eingehender Besprechung mit dem Hochwürdigsten Herrn Generalvikar von Thüringen, Dompropst Dr. Freusberg, kamen wir zu dem Ergebnis, dass im Augenblick aus inneren und äußeren Gründen, die ich brieflich kaum festlegen kann, eine Übersiedlung unklug wäre.“132 Vermutlich erschien ein Wirken Plettenbergs von Paderborn aus Erfolg versprechender als ein Kirchenamt in der SBZ.
Zum Nachfolger Plettenbergs in Erfurt wurde von Freusberg der sudetendeutsche Priester Dr. Maximilian Wenzel133 ernannt134, vor der Vertreibung Regens des Priesterseminars Leitmeritz (Nordböhmen).135 Bereits seit September 1945 in Erfurt tätig, übernahm er am 25. April 1946 das wichtige Amt des Bischöflichen Kommissars für die Abgewandertenseelsorge.136 Der erste Nachkriegsschematismus der Diözese Fulda von 1949 nennt Wenzel – den entsprechenden Gegebenheiten angepasst – bereits „Bischöflicher Kommissar für Flüchtlingsseelsorge“.137 Ein Jahr später wurde er zum ordentlichen Mitglied des Kollegiums um Generalvikar Freusberg, schließlich 1953 stellvertretender Generalvikar (Referent für Personal- und Ehesachen beim Bischöflichen Generalvikariat Erfurt), 1964 Vizeoffizial und schließlich 1974 Offizial des Bischöflichen Offizialates Erfurt.138 Besonders für die sudetendeutschen Priester wurde er im Generalvikariat zu einer zentralen Identitätsfigur.139
Neben Freusberg, Plettenberg und Wenzel waren in der Nachkriegszeit weitere Geistliche in verantwortlichen Leitungspositionen in der Vertriebenenseelsorge in Thüringen tätig. Seit Kriegsende wuchs die Arbeit im Bischöflichen Kommissariat stark an, sodass die vorhandenen Kräfte nicht mehr ausreichten. Im Einvernehmen mit dem Bischöflichen Ordinariat in Fulda ernannte die Zweigstelle des Generalvikariates Breslau in Görlitz 1946 auf Bitten Plettenbergs hin einen Verbindungsmann, der den Kommissar bei der Arbeit für die schlesischen Flüchtlinge unterstützen sollte. Freusberg schlug diesen Obmann daraufhin für eine Planstelle innerhalb der Stadt Erfurt vor.140 Dieser Verbindungsmann trat im Juli 1946 sein Amt an: Es handelte sich um den vertriebenen Pfarrer Hubert Muschalek141, der in Gräfenroda wohnte und schließlich nach Erfurt übersiedelte.142
Ein weitaus bekannterer und angesehenerer schlesischer Priester wurde alsbald sein Nachfolger: der ehemalige Generalvikar der Erzdiözese Breslau Dr. Joseph Negwer143. Vom Görlitzer Ordinariatsrat Emanuel Tinschert144 wurde er nach der Vertreibung nicht im Rest der Erzdiözese zum Aufbau einer Bistumsverwaltung eingesetzt, sondern nach Erfurt geschickt. Tinschert schrieb an Freusberg über Negwer: „Als Generalvikar a.D. besitzt er die beste Personalkenntnis unserer Diözesanpriester und kann natürlich mit Rat und Tat bei deren Einsatz helfen. Er ist aber auch zu jeder Seelsorgsarbeit bereit und fähig.“145
Im mitteldeutschen Raum sollte Negwer – in Absprache mit dem Görlitzer Kapitelsvikar Ferdinand Piontek146 – den Einsatz der schlesischen Geistlichen in der Flüchtlingsseelsorge leiten. Negwer und Freusberg kannten sich seit ihrer Studienzeit, als beide in Rom kanonisches Recht studierten und im deutschen Priesterkolleg „Anima“ wohnten. Beide waren Kanonisten, die in der Nachkriegszeit Lösungen für die anstehenden Probleme suchten.147 In Erfurt angekommen, teilte Negwer Bischof Dietz in Fulda seine Ausweisung mit und berichtete von seiner Ankunft in Erfurt, „um in der Seelsorge der Flüchtlinge zu helfen und unseren schlesischen Geistlichen beratend zur Seite zu stehen.“148 Generalvikar Robert Günther hieß ihn im Auftrag des Bischofs willkommen.149
Neben der Betreuung des schlesischen Klerus kommt Negwer noch ein weiterer Verdienst zu: Auf seine Anregung hin erteilte der Fuldaer Bischof Johannes Dietz dem Erfurter Dompropst im Oktober 1946 die Befugnisse eines Generalvikars für die thüringischen Anteile des Bistums Fulda mit der Begründung, „bei den gegenwärtigen politischen Verhältnissen eine einheitliche und leichtere kirchliche Verwaltung“ seiner Diözese zu gewährleisten.150 Als erster der in den Westzonen residierenden Bischöfe erteilte Dietz einem Priester seines östlichen Diözesananteils diese weit reichenden Vollmachten, erst später folgten die anderen Ordinarien diesem „Fuldaer Modell“.151
Weitere heimatvertriebene Geistliche halfen beim Aufbau der Verwaltung und Kirchenorganisation in Erfurt. Durch Vermittlung des Leiters des Commissariates der Fuldaer Bischofskonferenz in Berlin, Bischof Heinrich Wienken, gelangte der Schneidemühler Priester Dr. Gregor Krüger152 1948 nach Erfurt, um hier eine eigene Finanzverwaltung sowie eine Stelle für „kirchliches Rechnungswesen“ aufzubauen.153 Krüger war von 1948 bis 1973 hauptamtlicher Generalvikariatsrat und zuständig für die Finanzen.154 In der Registratur des Generalvikariates war der Breslauer Studienrat Dr. Joseph Golega155 angestellt.156
Das in der Nachkriegszeit ständig an Bedeutung gewinnende Amt des Vorsitzenden des „Landescaritasverbandes Thüringen“ wurde 1946 dem aus Schlesien vertriebenen Priester Franz Nitsche157 übertragen, der von 1934 bis 1945 bereits Caritasdirektor für Oberschlesien in Oppeln gewesen war. Zunächst von Weimar, später von Erfurt aus bekleidete Nitsche bis 1975 das Amt des Caritasdirektors für den Ostteil der Diözese Fulda.158
Auf eine Einladung Negwers hin besuchte am 13. Oktober 1946 der Breslauer Weihbischof Joseph Ferche Erfurt, um eine St.-Hedwigs-Feier für Vertriebene im Dom zu halten. Dieser äußere Anlass war der Beginn der Tätigkeit des Weihbischofs in Thüringen, die bis Sommer 1947 andauern sollte. In Erfurt fand Ferche in Negwer seinen engsten Weggefährten aus Breslau wieder, aber auch ein reiches Betätigungsfeld in der Vertriebenenseelsorge.159 Dem Fuldaer Weihbischof Adolf Bolte war mehrfach die Einreise in die SBZ verweigert worden160, sodass ein Verbleib Ferches die Situation in Thüringen entspannt hätte. Eine dauerhafte Installation des Weihbischofs in Erfurt sollte jedoch durch seinen Weggang nach Köln obsolet werden.161 Außerdem ist diesbezüglich zu beachten, dass die Ortsordinarien Mitteldeutschlands grundsätzlich nicht dazu bereit waren, Kompetenzen abzugeben162: Als der vertriebene Bischof Maximilian Kaller163 sich anbot, im Ostteil der Diözese Fulda bischöfliche Funktionen auszuüben – d.h. das Firmsakrament zu spenden – , antwortete ihm Bischof Dietz, dass er diese Aufgabe selbst wahrnehmen wolle oder sein Weihbischof in der „Ostzone“ firmen werde. Kaller bekam keine Bevollmächtigung von Dietz für bischöfliche Amtshandlungen im östlichen Fuldaer Diözesananteil.164
Wenn man die Protagonisten der „ersten Stunde“ im Ostteil der Diözese Fulda näher betrachtet, fällt der starke „Breslauer Einfluss“ auf. Der Transfer wichtiger Funktionsträger aus den Ostgebieten nach Mitteldeutschland schuf die Voraussetzung für die Etablierung wichtiger Institutionen und eigener kirchlicher Verwaltungsstrukturen in Erfurt. Beides war – wie auch die Seelsorgekonzeptionen – für die geordnete Pastoral an den