Ein gewichtiger Grund für die Geschäftsausdehnung ab der Jahrhundertmitte dürfte darin liegen, dass die westeuropäische Bevölkerung zunehmend alphabetisiert wurde. Das konnte dem Absatz auch von religiösen Büchern, Kalendern und Zeitschriften nur förderlich sein.159 Überhaupt erlebte die religiöse Literatur im Zuge eines allgemeinen religiösen Revivals ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts ein bemerkenswertes Comeback. Nachdem sie in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts von der «Schönen Literatur» überflügelt worden war, was die Zahl der Neuerscheinungen betraf, zählte die religiöse Literatur zwischen 1850 und 1870 vorübergehend wieder die meisten Neuerscheinungen im deutschen Buchhandel.160
Auf regionaler Ebene war der Aufschwung der Wallfahrt und die internationale Bedeutung des Klosters sicherlich förderlich. Auch firmeninterne Gründe dürfen nicht ausser Acht gelassen werden. In den 1850er-Jahren waren bereits mehrere der zwischen 1821 und 1840 geborenen Söhne von Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger I ins Geschäft eingetreten und in leitenden Positionen am Geschäftsausbau beteiligt.
Etwa von den 1860er-Jahren bis ins ausgehende 19. Jahrhundert gelang es der Firma Benziger, sich an der internationalen Spitze nicht nur innerhalb des katholischen Verlagswesens, sondern überhaupt des grafischen Gewerbes zu etablieren. Zum Vorteil gereichten der Firma Benziger dabei ihre Gründungen in den USA, die bis Ende der 1860er-Jahre beinahe konkurrenzlos blieben und ein lukratives Geschäft waren. In Kriegszeiten, etwa während des amerikanischen Bürgerkriegs von 1861 bis 1865 oder während des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71, und in sonstigen Phasen mit stockendem Absatz konnten sich die Geschäfte gegenseitig unterstützen und Krisenerscheinungen etwas abmildern. Im Sommer 1875 beispielsweise schrieb die Verlagsleitung in die USA: «Europa leidet durch den Culturkampf, Klosteraufhebung, Verbot religiöser Schulprämien in Oesterreich, allgemeine Handelskrise etc. Ihre Unterstützung in Arbeit und Geld wird nöthig werden.»161
In den Quellen immer wieder genannt wird ein Argument, das bisher noch nicht angesprochen wurde: die positiven Auswirkungen der lokalen Konkurrenzgeschäfte auf die Entwicklung der eigenen Firma. In einem Brief, den die Verlagsleitung im Januar 1869 in die USA schrieb, heisst es: «Die Väter haben nie lebhafter das Geschäft entwickelt als von 1838 [gemeint ist wahrscheinlich 1830] bis 1846 wo das mächtige Kloster zu deren Ruin die Curigersche Conkurrenz geschaffen haben. Die Söhne sind nie so strebsam […] gewesen wie von 1857 bis jetzt wo eine u. zwei unliebe Conkurrentschaften entstanden. […] In angenehmem Zustande des Monopols […] wären wir heute vielfach im Geschäfte nicht so weit entwickelt. […] ausgedehnt haben unser Geschäft die Conkurrenzen.»162
Unliebsame Konkurrenz – Einsiedeln als Verlags- und Druckereizentrum
Die Firma Benziger war zwar das bedeutendste, im 19. Jahrhundert aber zu keiner Zeit das einzige Unternehmen seiner Art in Einsiedeln. 1833 bestanden in Einsiedeln nicht weniger als fünf weitere Druckereiunternehmen.163 Ein für die Firma Benziger besonders ernst zu nehmender Konkurrent war das Kloster Einsiedeln, das sich mit dem Verlust der alten Vorrechte nur schwer abfinden konnte. Es unternahm verschiedentlich Versuche, seinen wirtschaftlichen Einfluss aufs Dorf zurückzuerhalten. Besondere Beachtung schenkte das Kloster dem Buchdruck. Eine Motivation dafür, wieder eine eigene Druckerei zu betreiben, war auch das Bestreben, der «schlechten» liberalen Presse mit eigenen «guten» Druckerzeugnissen begegnen zu können. Bereits im Jahr 1826 hatten konkrete Pläne bestanden, in Muri zusammen mit dem dortigen Benediktinerkloster eine eigene Buchdruckerei einzurichten.164 1829 übernahm das Kloster die Druckerei von Plazid Karl und Marianus Benziger. Als Mittelsmann figurierte der ehemalige Lehrer Thomas Kälin, mit dem das Kloster im Januar 1830 einen Vertrag schloss.165 1834 ging die Firma an die konservativ gesinnten Konrad Kuriger und Meinrad Kälin über, die sie, weiterhin unterstützt vom Kloster, unter dem Namen Kuriger & Co. weiterführten.
Für Josef Karl B.-Meyer war klar, dass das vom Kloster unterstützte Konkurrenzunternehmen gezielt gegen die Firma Benziger aufgebaut wurde. Er vermutete politische Motive. Hintergrund war folgender: Josef Karl B.-Meyer und in geringerem Mass auch sein Bruder Nikolaus B.-Benziger I hatten sich politisch immer wieder für liberale Anliegen eingesetzt, die den Interessen des Klosters zuwiderliefen. Sie setzten sich beispielsweise für die Gleichberechtigung der äusseren Bezirke des Landes ein und befürworteten die vorübergehende Kantonstrennung im Jahr 1833. Vor allem aber setzte Josef Karl als Mitglied der «Kommission zur Verwaltung der Allmeindgüter von Waldstatt und Stift gemeinsam» und ab 1829 für vier Jahre als Bezirksammann die Trennung der Allmeindgüter durch. Im Kloster schuf er sich damit Feinde: «Es stosst ihm [dem Kloster] immer noch die alte Galle auf, wenn es nur unsere Namen hört», schrieb B.-Meyer im Januar 1838 an einen Freund. Durch die Unterstützung ihrer Konkurrenten habe das Kloster seinem Geschäft bereits «ungeheuren Schaden» zugefügt.166 1839 verkaufte das Kloster seine Anteile an der Firma zwar offiziell an Kuriger & Co., agierte aber weiterhin als deren Förderer. Wiederum ein Jahr später konfrontierte B.-Meyer Abt Cölestin Müller in einem Schreiben mit dem Vorwurf, aus «unedlem Nachgefühle» gezielt und gewaltsam auf den Niedergang des vom Kloster unabhängigen Einsiedler Druckereigewerbes hinzuarbeiten.167 Im selben Jahr wandte sich B.-Meyer an seinen Freund Nazar von Reding (1806–1863) in Schwyz, der aus einer politisch einflussreichen Familie stammte und in seiner Laufbahn die höchsten politischen Ämter des Kantons ausübte: «Ich sage es Ihnen also freimüthig […]: meine gegen das Kloster bisher beobachtete politische Stellung kann ich länger nicht behaupten, ohne die Meinigen zu verderben.»168 Das Kloster unterstütze die Firma Kuriger & Co. mit einem Kapital von mehr als 20 000 Florin, lasse alle eigenen Druckaufträge ausschliesslich bei seiner Konkurrenz ausführen, verbiete es seinen Lehensleuten, Bücher von seiner Firma zu beziehen und tue auch sonst alles, um den Absatz seines Geschäfts zu schmälern.
Konkreter Anlass für die Korrespondenz war ein attraktiver Druckauftrag, den das Kloster zu vergeben hatte. Das Kloster besorgte seit 1832 die deutsche Übersetzung der Annalen der französischen «Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens» und liess das Heft bei der Firma Kuriger & Co. drucken. Die Auflage der alle zwei Monate erscheinenden Schrift war mit 12 000 Exemplaren und rund 500 000 Druckbogen jährlich so hoch, dass die unliebsame Konkurrenz von der Firma Benziger kaum verdrängt werden konnte, solange sie sich dieses Grossauftrags gewiss sein konnte. B.-Meyer schrieb an von Reding: «Ohne diesen Zufall hätten wir die Hoffnung nähren können, es werde am Ende das Kloster an Opfern ermüden u. leichten Spieles hätten wir diese Pfuscher von Handelsleuten aus dem Felde getrieben. Jetzt aber können diese Lümmeln im Handel sorglos herumtappen u. zufahren …»169 B.-Meyer bat von Reding darum, direkt oder über einen Mittelsmann bei Subprior Pater Thomas Inderbitzin, der im Kloster für dieses Geschäft zuständig war, in dieser Sache Einfluss zu nehmen. Die Firma Benziger hat den Druckauftrag zwar selbst nie erhalten, nach 1842 scheint aber auch Kuriger & Co. die Annalen nicht mehr gedruckt zu haben.170 1849 gelang es der Firma Benziger schliesslich, die Firma Kuriger & Co. zu übernehmen. Bis 1851 kaufte man auch drei weitere Firmen vor Ort auf und sicherte sich eine Monopolstellung am Platz Einsiedeln.171
Die spannungsvollen 1830er- und 1840er-Jahre der Unternehmensgeschichte widerspiegeln die kantonale Politik jener Jahrzehnte. Der Kanton Schwyz kam zwischen 1830 und 1848 politisch nicht zur Ruhe und war tief in einen inneren und einen äusseren Teil gespalten. Man stritt sich über eine neue Verfassung, die zu einer vorübergehenden Kantonstrennung und 1833 zur Besetzung des Kantons durch eidgenössische Truppen führte. Für Konflikte sorgte auch die Jesuitenberufung in Schwyz im Jahr 1836 und vor allem die Verteilung der Allmeindnutzungsrechte («Hörner- und Klauenstreit»). «Im alten Land wogt es von Grundwellen», heisst es 1835 in einem Brief von Josef Karl B.-Meyer, die «seit Tellssprung» nicht mehr «so aufgeregt» gewesen seien.172 Geteilt