In den Quellen der Firma Benziger finden sich allerdings keine Hinweise darauf, dass die Geschäftstätigkeit durch die politischen Spannungen eingeschränkt worden wäre. «Unser Verlag schwol von Jahr zu Jahr immer mehr an», heisst es beispielsweise in einem Brief von Josef Karl B.-Meyer von 1840.173 So turbulent jene Jahrzehnte politisch auch waren, so sollte der direkte Einfluss der Politik auf die Wirtschaft dennoch nicht überschätzt werden. Wie die oben geschilderte Auseinandersetzung mit dem Kloster zeigt, spielte die politische Grosswetterlage indirekt dennoch eine Rolle. Die Firma Benziger war auf ein gutes Verhältnis zum nach wie vor mächtigen Kloster angewiesen. Und dieses Verhältnis war durch die politischen Auseinandersetzungen zerrüttet, wenn auch zu einzelnen liberal-katholisch gesinnten Konventualen stets gute Kontakte bestanden.174
Auf die internationalen Geschäftskontakte und den internationalen Absatz hatten die politische Haltung und die Exponiertheit der Verleger Benziger freilich kaum Auswirkungen; im lokalen Raum aber engte die politisch dezidiert liberale Haltung den geschäftlichen Handlungsspielraum ein, indem sie geschäftliche Beziehungen zu politisch anders Gesinnten erschwerte.
Durch die Übernahme der lokalen Konkurrenzfirmen sicherte sich die Firma Benziger ab 1851 für einige Jahre eine Monopolstellung. Schon bald wurden in Einsiedeln aber erneut «unliebe Conkurrentschaften» gegründet, so 1858 die Firma Eberle, Kälin & Co. und 1865 die Firma Wyss, Eberle & Cie. Auch diese Geschäfte erreichten eine beträchtliche Ausdehnung. Die Firma Wyss, Eberle & Cie. beschäftigte 1882 immerhin 52 Fabrikarbeiter.175 Bei der Firma Eberle, Kälin & Co. dürfte die Zahl der Angestellten noch deutlich höher gewesen sein.
Besonders Eberle, Kälin & Co., die grössere der beiden Firmen, trat in einen mit harten Bandagen geführten Konkurrenzkampf zur Firma Benziger. Gegründet haben die Firma der Jurist und spätere Nationalrat Josef Anton Eberle (1808–1891) und der Kantonsschreiber und später ebenfalls in den Nationalrat gewählte Ambros Eberle (1820–1883) sowie dessen beide Schwäger Anton (1840–1923) und Werner Kälin (1833–1923). Ambros Eberle hatte bereits in den 1840er-Jahren in Schwyz eine Druckerei betrieben und gab ab 1846 das «Schwyzerische Volksblatt» (später «Schwyzer Zeitung») heraus. Die Firma Eberle, Kälin & Co. errichtete ein Fabrikationsgebäude in Einsiedeln, verfügte über dampfbetriebene Buchdruckschnellpressen und betrieb eine eigene lithographische Anstalt, eine Rosenkranzfabrikation und eine moderne Buchbinderei. In den 1870er-Jahren richtete die Firma eine Filiale in Sulz im Oberelsass ein. Bereits zu Beginn der 1860er-Jahre bestanden Pläne, die Firma Benziger auch in den USA zu konkurrenzieren und eine eigene Filiale in New York oder Cincinnati zu errichten. Die Pläne wurden über eine intensive Zusammenarbeit mit der Firma Pustet in Regensburg, einem der grössten Konkurrenzgeschäfte von Benziger, Tatsache. Die Firma Pustet gründete 1866 eine Filiale in den USA und sorgte ab 1868 auch dort für Absatz der Bücher der Firma Eberle.
Ab 1866 gab die Firma Eberle einen eigenen Volkskalender, den «Neuen Einsiedler Kalender», heraus, der den «Einsiedler Kalender» (seit 1841) konkurrenzierte. Besonders aber profilierte sich die Firma Eberle in der Herstellung und im Vertrieb von Gebetbüchern. Die Praxis von Eberle, Kälin & Co., Verlagswerke von Benziger nachzudrucken, gab häufig Anlass zu Konflikten. International war die alte Praxis der Raubkopie ab den 1850er-Jahren stark unter Druck geraten. Im August 1863 schrieb die Verlagsleitung in die USA: «Die Lage in Europa & die Auffassung in Europa ist seit wenig Jahren ganz anders als früher. Vor 10 Jahren lebte Belgien von franz. Nachdruck, jetzt haben England, Frankreich, Belgien, alle deutschen Staaten, Oesterreich, ganz Italien Nachdrucke gesehen & Verträge gegenseitig zu Schutz & Abhülfe. Selbst in der Schweiz sind 12 Kantone schon beigetreten. […] es folgt voraussichtlich für die ganze Schweiz der Zwang einzutretten in Gegenseitigkeit von Verfolgung des Nachdrucks.» Die Firma Eberle, Kälin & Co., die bereits zwanzig Bücher aus ihrem Verlag nachgedruckt hätten, gelte es in dieser Situation nachdrücklich an den «Pranger zu stellen als Nachdrücker».176 Auch für die Firma Wyss, Eberle & Cie. war der Nachdruck von Verlagswerken von Benziger ein wichtiger Pfeiler ihres Unternehmens. Die ersten zehn Gebetbücher, die bis 1866 in ihrem Verlag erschienen, waren alles Nachdrucke von Werken aus dem Benziger Verlag.177
Im Kanton Schwyz dauerte es letztlich noch rund zwanzig Jahre, bis das Nachdrucken von fremden Verlagswerken verboten wurde. Nachdem 1874 die Kompetenz zur Gesetzgebung in Fragen des Urheberrechts von den Kantonen auf den Bund übergegangen war, wurde 1883 das «Bundesgesetz betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst» geschaffen, das dieser bis dahin gängigen Praxis im Kanton Schwyz ein Ende bereitete. Drei Jahre später folgte das erste multilaterale internationale Urheberrechtsabkommen («Berner Konvention»).178
Am Platz Einsiedeln war Benziger zu einem Mindestmass an Koordination mit seinen Konkurrenten gezwungen. Dies betraf vor allem die Preispolitik gegenüber den lokalen Wiederverkäufern ihrer Verlagswaren.179 Auch bei der Umsetzung des eidgenössischen Fabrikgesetzes nach 1877 sprachen sich die Firmenleitungen ab. Aufrührerischem Verhalten unter der Arbeiterschaft sollte so frühzeitig ein Riegel geschoben, Anreize zur Konkurrenz zu wechseln vermieden werden.180 Allerdings waren Verstösse gegen die Abmachungen an der Tagesordnung. Auch schreckten alle Beteiligten weder vor Betriebsspionage noch vor öffentlicher Verleumdung ihrer geschäftlichen Konkurrenten zurück. Die Sprache, mit der die Konflikte ausgefochten wurden, trug teilweise martialische Züge. Als die Praxis des Nachdruckens zu Beginn der 1880er-Jahre auch in der Schweiz zunehmend unter Druck geriet, sprach die Verlagsleitung von einem «ersten nöthigsten Feldzug zur Wiedereroberung von vielen Kunden in Süddeutschland», die ihnen von den «frechen Nachdruckern» geraubt worden seien.181
Im Unterschied zum Konkurrenzverhältnis zum Kloster in der ersten Jahrhunderthälfte scheint bei diesen Auseinandersetzungen die politisch-ideologische Komponente nicht im Vordergrund gestanden zu haben. Zumindest legen die Quellen diesen Schluss nahe. Die Verleger aus den Familien Benziger, Eberle und Wyss, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts öffentliche Ämter bekleideten, vertraten politisch ähnliche Positionen und bewegten sich fast immer in der politischen Mitte. In der einschlägigen Literatur werden sie je nach Grenzziehung der gemässigt liberalen – dazu gehören Josef Karl B.-Meyer, Nikolaus B.-Benziger I, Plazid Martin Wyss, Ambros Eberle und Heinrich Wyss – oder der gemässigt konservativen Richtung – Karl B.-von Reding und Nikolaus B.-Benziger II – zugerechnet.182
Einfluss der Firma Benziger auf die regionale Entwicklung
Die Firma Benziger war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der mit Abstand grösste Arbeitgeber in Einsiedeln und ermöglichte Hunderten von Menschen einen konstanten Verdienst. In einer Danksagung der Arbeiterschaft im «Einsiedler Anzeiger» anlässlich der 100-Jahr-Jubiläumsfeier 1892 heisst es: «Denn unser Ort ist durch tausend Fäden an dem Aufblühen dieser Firma interessiert, die nunmehr seit 100 Jahren für zahlreiche Familien der Kornboden war, welchen die Natur unserem Gebirgstale versagt hat.»183
Es ist klar, dass die Konzentration so vieler Arbeiter in einer Branche auch Risiken barg. In Zeiten stockenden Absatzes und mangelnder Druckaufträge konnte die Firma ihre Angestellten nur mit Mühe beschäftigen. Dass sich die Verleger ihrer Verantwortung gegenüber der Einwohnerschaft durchaus bewusst waren, zeigt folgendes Beispiel: Im Juli 1870, nur wenige Tage nach der Kriegserklärung von Kaiser Napoleon III. an Preussen, schrieb die Verlagsleitung in die USA: «Mit dem ersten Kriegston hört für uns aller europäische Verkehr auf. Die Aufträge werden abbestellt, neue kommen nicht mehr, die Reisenden ruhen. Zahlungen werden zurückgehalten […] kurz die Cassa ist ohne Einnahmen. Mit den Ausgaben steht es anders, die gehen fort. Den kleinen Handwerker-Lieferanten, Künstlern […] &namentlich den hiesigen Arbeitern können wir Zahlung nicht zurückhalten. Namentlich für letztere zu sorgen ist unsere Pflicht.» Die Verlagsleitung bat die amerikanischen Filialen im selben Brief für Druckaufträge in den USA zu sorgen, damit die einheimischen Arbeiter weiterbeschäftigt werden konnten, und appellierte an das Pflichtgefühl ihrer Associés: «Es liegt ausser Zweifel, dass Ihr vaterländisch Gefühl für die Mitbürger Einsiedelns zu sorgen ebenso sehr Sie animirt …»184