Mut. Machen. Liebe. Hansjörg Nessensohn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hansjörg Nessensohn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783764192907
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viel dämlicher, als wenn man nur darüber nachdenkt. Und zurücknehmen lässt es sich auch nicht mehr, wenn es mal in der Welt ist.

      »Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Aber danke, damit ist immerhin meine erste Frage beantwortet.«

      »Bitte.« Mein Ton ist gereizt.

      Und um ein Zeichen zu setzen, dass für mich das Gespräch beendet ist, knautsche ich mein Kissen zurecht, was bei einem aufblasbaren Kissen nicht unbedingt die erwünschte Wirkung erzielt. Doch selbst als ich anschließend auf dem Bauch liegend meinen Kopf demonstrativ zur anderen Seite drehe, macht Liz mit ihrer Befragung weiter, als hätte sie noch nie was von Körpersprache gehört.

      »Und was ist mit der Liebe?«

      Meine Gegenfrage ist mehr ein Stöhnen. »Was soll damit sein?«

      »Spielt die auch eine Rolle in deinem erhofften perfekten Leben?«

      Es wird immer schlimmer.

      »Falls Sie … Falls du wissen willst, ob ich in einer Beziehung bin? Nein. Keine Lust drauf.«

      Ein nachgeschobener Halbsatz für den ich mir am liebsten eine Ohrfeige geben würde. Weil ich ahne, dass diese Hobby-Psychologin direkt wieder darauf einsteigen wird. Doch merkwürdigerweise passiert nichts. Und weil ich die plötzliche Ruhe auch nicht ertragen kann, drehe ich den Kopf zurück zu ihr und sehe verschwommen, wie sie mich aufmunternd anlächelt.

      »Ist alles nicht einfach, was?«

      Ich nicke schweigend.

      »War’s noch nie. Es war anders, aber nie einfach, das kannst du einer alten Schachtel wie mir glauben.«

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      Helmut liebte es, wenn sich Sonnenstrahlen in seine Haut brannten und hinter seinen geschlossenen Lidern die Flammen, die über seinen ganzen Körper tanzten, hellrot loderten. Es war immer ein Gefühl, als würde er sich auflösen. Oder fliegen. In eine Welt, die ganz anders war als diese hier. Und in die er sich in letzter Zeit wieder häufiger zurückzog, weil dort seine wiederkehrenden, unglücklichen Bauchgefühle keinen Zutritt hatten. Und auch keine dunklen, leuchtenden Augen. Die schon gar nicht.

      Dass er in Gedanken gern auf Reisen ging, war nichts Neues. Als Kinder hatten sein bester Freund Gerdi und er sich oft auf eine Wiese gelegt, den Schulatlas aufgeschlagen und sich vorgestellt, was sie an einem x-beliebigen Ort alles erleben würden. Neu war nur, dass Helmut es jetzt allein tat, ohne Atlas, ohne Abenteuergedanken und ohne Gerdi. Er ließ sich einfach treiben und in der Sonne gelang ihm das besonders gut.

       Und darum war er genau jetzt auch nicht mehr am Escher See, wo er mit Marlene und seinen Freunden den ersten warmen Frühlingssonntag verbrachte. Auch nicht mehr in Köln. Er war unterwegs in dieser anderen Welt, die heute nur aus einem grünen, runden Hügel bestand, den er federleicht hochrannte. Dieser Welt, in der die Luft in seinen Lungen so klar und voller Leben war, dass er auf dem höchsten Punkt sogar noch genug Energie hatte, um wild umherzuwirbeln. Die Aussicht war grandios und er begann damit, auf dem höchsten Punkt des Hügels ein Gebäude zu bauen, ein lichtdurchflutetes Gebäude ganz nach seinen Vorstellungen, das die Menschen um ihn herum zum Jubeln brachte, weil …

       »Da bist du ja!« Gerdi schob ein paar Brombeersträucher zur Seite. »Wir haben schon gedacht, du bist untergegangen.«

      Helmut fuhr hoch. Seine Reise war auf einen Schlag zu Ende, sein Fantasiehaus eingestürzt und die Landung unangenehm hart. Er rieb sich die Augen und versuchte unauffällig, wieder im Hier und Jetzt anzukommen.

       »Quatsch. Hab mich nach dem Schwimmen nur kurz zum Trocknen hierhergelegt.«

       »Ist das Wasser nicht noch viel zu kalt?«

       »Geht schon. Man darf halt kein Weichei sein.«

       »Das sagt der Richtige.« Gerdi setzte sich neben Helmut. »Aber sei froh, dass du schon im Wasser warst. Martin ist gerade gekommen.«

       Helmut wusste sofort, was Gerdi damit meinte. »Und, hat der Herr Wachtmeister schon wieder das offizielle Badeverbot ausgesprochen?«

       Gerdi bestätigte augenrollend. »Der geht hier doch selber ab und zu rein.«

       »Aber nur an den ungefährlichen Stellen. Bei mindestens 22 Grad. Und nur bis zu den Knien.«

       »Weil er nicht schwimmen kann, der Vogel. Soll er mich doch anzeigen.«

      Die beiden lachten über Martin, der seinen Beruf bei der Polizei für ihren Geschmack manchmal etwas zu ernst nahm. Und während Gerdi sich eine Zigarette anzündete, weil er vor seiner neuen Freundin Jutta nicht rauchen durfte, musterte Helmut ihn. Und er fragte sich, ob Gerdi auch noch diese Reisen unternahm. Oder ob das nur eine übrig gebliebene, lächerliche Kindheitsangewohnheit von ihm war.

      Er könnte die Frage einfach laut aussprechen, weil sie sich seit über zehn Jahren fast alles erzählten. Eigentlich genau seit dem Moment, als sie wegen einer Schulzusammenlegung in eine Klasse gesteckt wurden und deswegen aufhören mussten, auf den Straßen und in den Bombenruinen von Nippes in unterschiedlichen Banden gegeneinander zu kämpfen. Das war der Start ihrer Freundschaft. Von da an hatten sie alles zusammen gemacht. Lernen nur im Notfall, ihre Atlas-Reisen häufig, Mädchen aus ihrer Klasse ausspionieren eigentlich immer, gemeinsam auf Helmuts Schwestern aufpassen, wenn es nötig war. Und als sie alt genug waren, waren sie dreimal pro Woche nach Deutz in die Werkstatt und zur Tankstelle von Gerdis Vater geradelt und hatten als jüngste Tankwarte Kölns die wohlhabenden und meistens spendablen Autobesitzer bedient. Sie waren auch Freunde geblieben, als Helmut nach dem Tod seines Vaters die Schule verlassen und Geld verdienen musste, während Gerdi widerwillig das Abitur machte. Und weder Marlene noch eine von Gerdis wöchentlich wechselnden Freundinnen konnten ihrer Freundschaft was anhaben.

      »Jemand zu Hause?« Gerdi wedelte mit seiner Kippe vor Helmuts Gesicht.

       »Ja, warum? Bin nur noch ein bisschen verschlafen.«

       »Du wirkst in letzter Zeit oft etwas verschlafen. Darum.«

      Helmut wich Gerdis Blick aus. Es war ihm unangenehm, dass er das ansprach.

       »Ist nur die Arbeit. Ist gerade etwas viel. Überall wird gebaut, wir sind zu wenig Leute, die Oper muss fertig werden, ich muss für meine Beamtenprüfung lernen …«

       »Aha.«

       »Und meiner Mutter geht’s gerade auch nicht so gut.«

      Gerdi glaubte ihm nicht, das spürte Helmut. Aber was sollte er ihm sonst für eine Geschichte auftischen? Dass eine kurze, zufällige Begegnung an Karneval der Auslöser dafür war, dass seine unglücklichen Gefühle jetzt viel häufiger auftauchten als früher? Genau wie diese Bilder, die meistens nachts in seinem Kopf herumgeisterten und für die er sich tagsüber schrecklich schämte? Garantiert nicht, sie erzählten sich schließlich nur fast alles. Und das gehörte garantiert nicht dazu. Dann lieber doch das andere Thema.

       »Kannst du dich noch an unsere Reisen erinnern?«

       »Oh Mann, klar, waren wir da noch jung. Und dumm.« Gerdi drückte lachend seine Zigarette aus und spickte den Stummel in die Büsche. »Wie kommst du da jetzt drauf?«

       Helmut lachte unwohl mit. »Keine Ahnung. Ist mir nur vorher eingefallen, weil wir da zwar dumm waren, aber auch so … unbeschwert.«

       »Und jetzt bist du’s nicht mehr?«

      Der Themenwechsel hatte überhaupt nichts gebracht.

       »Doch, schon. Komm, lass uns zu den anderen zurück.«

      Helmut wollte schon aufstehen, doch Gerdi blieb sitzen.