»Aha. Und was war das in der Nacht nach deiner Karnevalsprügelei?«
»Da hatte ich eine Gehirnerschütterung. Das habe ich dir schon hundertmal erklärt.«
»Aha.«
»Sag nicht immer Aha.«
Marlene schaute ihn an, wie sie ihn in den letzten Monaten oft angeschaut hatte, und rückte in der Schlange einige Schritte auf. Helmut atmete einmal tief durch. Bitte nicht jetzt. Jedes
Mal, wenn sie auf diesen verdammten Abend zu sprechen kamen, reagierte er so unkontrolliert harsch, dass es ihm schon Sekunden danach leidtat. Und trotzdem war es nicht selten der Fall, dass sich daraus ein Streit um Nichtigkeiten entwickelte, obwohl sie sich früher nie gestritten hatten. Das durfte jetzt auf keinen Fall passieren. Schnell griff er nach Marlenes Hand und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ich werde mich nicht übergeben. Versprochen.«
Marlene gab ihm einen Kuss zurück. »Und wenn es passiert, liebe ich dich nicht weniger.«
Helmuts Herz machte einen Satz. Und er hoffte, dass es ein fröhlicher war, weil Marlene ihm quasi jetzt schon die Antwort auf seine Frage gegeben hatte. Doch ganz sicher war er sich nicht. Seit diesem Abend im Februar war er sich mit gar nichts mehr sicher. Auch nicht, ob der Schritt nach vorn, den er dank Gerdis Ansage gleich wagen würde, in die richtige Richtung ging. Immerhin wurden die Bilder, die ihn nachts heimsuchten, seit seiner Entscheidung für den Antrag weniger. Es muss also die richtige Richtung sein und der Aussetzer seines Herzens war garantiert ein fröhlicher.
»Helmi, hast du es dir doch anders überlegt?«
Marlene war schon wieder drei Meter vor ihm. Sie sah wieder mal unbeschreiblich gut aus in ihrem gepunkteten Sommerkleid. Helmut schloss eilig auf, während sie sich in ein aufgeregtes Gespräch mit der Familie vor ihnen vertiefte.
Er kramte nach den 4 Mark in seiner Tasche, die er gleich für die Tickets bezahlen musste. Eigentlich kostete die Fahrt nur 3 Mark 40 für zwei Personen, aber Helmut war gestern schon hier gewesen und hatte mit dem Kassierer dieses horrende Trinkgeld ausgehandelt, damit Marlene und er auch ja eine Gondel für sich allein haben würden. Keinesfalls wollte er seine Frage vor Publikum stellen.
»Wir sind gleich an der Reihe. Ging doch schneller als gedacht, was?« Jetzt war Marlene auch nervös.
»Hab ich doch gesagt.«
»Schlauberger. Viel Spaß!«
Sie winkte der Familie zu, die jetzt durch eine schmiedeeiserne Absperrung zur Einstiegsstelle durchgelassen wurde, während Helmut die Fahrkarten bezahlte und der Kassierer ihm verschwörerisch zuzwinkerte.
»Gute Wahl, Junge.«
Das Kompliment galt natürlich Marlene, die sich verständlicherweise wunderte. »Was meinte der gerade?«
Helmut tat ahnungslos. »Keine Ahnung. Dass wir mit der Seilbahn fahren wahrscheinlich.«
Marlene gab sich mit der Antwort zufrieden. Sie schlängelten sich durch das kleine Eisentor, zeigten ihre Fahrkarten vor und dann ging alles ganz schnell, fast zu schnell. Sie wurden im Abfahrtsbereich positioniert, beobachteten, wie ihre Gondel auf der gegenüberliegenden Seite glückliche Menschen auswarf und dann langsam zu ihnen herüberschlingerte, stiegen ein, mussten nervös lachen, weil es tatsächlich wackliger war, als sie gedacht hatten und wurden mit einem Ruck hochgezogen.
»Oh mein Gott.«
Marlene war völlig aus dem Häuschen. Die Menschen unter ihnen wurden kleiner, das Panorama um sie herum immer weiter.
»Schau mal, Helmi, der Dom. Und da, das Hansahochhaus. Ist das schön, alles. Und da drüben ist Mülheim. Helmi, das ist wirklich das schönste Geschenk, das ich jemals bekommen habe.«
Helmut folgte Marlenes Fingern, die in alle Himmelsrichtungen zeigten, und war von seinem ersten Mal echtes Fliegen nicht weniger fasziniert. Doch schon nach kurzer Zeit hatten sie die Mitte des Rheins erreicht und er realisierte, dass er handeln musste, sonst wäre die Fahrt vorbei und seine Frage ungestellt. Er griff nach der kleinen Schatulle in seiner Jacke und kniete sich in der engen Gondel, so gut es ging, vor Marlene hin.
Sie reagierte erschrocken. »Oh nein, ist dir jetzt doch schlecht?«
Helmut verneinte. »Ich muss dich was fragen und ich muss schnell sein, weil wir ja gleich drüben ankommen.«
Er räusperte sich einen Frosch aus dem Hals, der immer da war, wenn die Nervosität kaum auszuhalten war.
»Liebe Marlene, du bist die schönste und lustigste und klügste Frau, die es gibt. Und obwohl ich nicht genau weiß, was du ausgerechnet an mir findest, aber weil du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist und ich dieses Leben nur mit dir verbringen möchte und ich dich liebe und mir schrecklich leidtut, dass ich in letzter Zeit manchmal komisch war, und ich verspreche, dass sich das ab sofort wieder ändert, will ich dich fragen, ob du meine Frau werden willst.«
Helmut klappte die Schatulle mit dem Verlobungsring seiner Mutter auf und traute sich dann zum ersten Mal, Marlene in die Augen zu schauen. Ihr liefen Tränen über die Wangen und Helmut hatte für wenige Sekunden Angst, dass sie seinen Antrag nicht annehmen würde. Doch unter ihren Tränen strahlte sie übers ganze Gesicht.
»Ja, ich will.«
»Wirklich?«
»Natürlich. Wen soll ich denn sonst heiraten wollen.«
Marlene beugte sich zu Helmut runter und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. Und ohne dass sie es merkten, fuhren sie küssend in die Zielhaltestelle ein. Dort war das Gejohle groß, denn ihre Freunde standen wie verabredet bereit, um sie in Empfang zu nehmen.
Marlene war fassungslos. »Hast du das alles geplant?«
»Sicher.«
Helmut konnte nicht beschreiben, wie erleichtert er war, dass alles so reibungslos geklappt hatte. Er war verlobt mit der besten Frau der Welt, er würde ein tolles Leben führen, er würde eine eigene Familie haben, er würde ab sofort rundum glücklich sein, weil er genau das hatte, was sich viele andere wünschten.
»Bei deinem Vater habe ich übrigens schon um deine Hand angehalten, er ist nicht begeistert, aber einverstanden.«
»Ohne mich vorher mal zu fragen?«
»Er meinte nur, dass du eh nicht auf ihn hörst.«
»Das stimmt«, lachte Marlene.
Glücklich stiegen sie aus der Gondel und nahmen die Glückwünsche ihrer Freunde entgegen. Marlene zu ihrem Geburtstag, sie zusammen zu ihrer Verlobung. Es war genauso ausgelassen und fröhlich, wie Helmut es sich die ganze Zeit vorgestellt hatte.
Und dann besuchten sie gemeinsam die Bundesgartenschau. Sie bestaunten mit vielen anderen Menschen das Blütenmeer des Rheinparks, der noch vor wenigen Jahren ein einziger Schutthaufen gewesen war. Sie gönnten sich einen Kuchen und stießen mit Sekt an, wie es die Reichen aus Düsseldorf taten. Und sie standen vor den faszinierenden Wasserspielen und waren sich sicher, dass Köln und das Leben in dieser Stadt von nun an von Jahr zu Jahr nur noch schöner werden würde.
Helmut und Marlene hielten sich dabei fast den ganzen Tag an den Händen, weil sie ihr Glück nie wieder loslassen wollten. Erst auf dem Rückweg zur Seilbahn, mit der sie im Sonnenuntergang zurück zum linken Rheinufer fahren wollten, ließ Helmut Marlene kurz mit den anderen allein. Er wollte sich bei allen