Ich zähle jetzt bis drei. Egon Christian Leitner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Egon Christian Leitner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990471173
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bekanntlich von Popper. Ebenso, jedoch unbekannt und nahezu ungebraucht, der Begriff Grausamkeitsverbot. Den Poppperschen Begriff Stückwerktechnik hingegen kennt man öffentlich und der ist gerichtet gegen verantwortungslose Experimente in der Realität von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Worüber öffentlich zumeist nicht geredet wird, ist Poppers Fehlerkultur. Diese Fehlerkultur ist aber wesentlich für die offene Gesellschaft in Poppers Sicht. Die Sätze, die wir sprechen, hat Popper in Analogie gesehen zu den Sätzen, die Affen von Baum zu Baum tun. Ist der Satz falsch, ist der Affe auf der Stelle tot oder bald. Durchs Reden ersparen wir Menschen uns also Leid und Tod. Lassen unsere falschen Vorstellungen, unsere falschen Sätze, unsere Fehler eben an unserer Stelle sterben. Können dadurch überleben. Popper verlangte daher konsequente Fehlersuche. Kritik war für ihn also das Unterscheiden zwischen Leben und Tod. Zur Popperschen Fehlerkultur gehört in der Folge, dass gerade nach denjenigen Argumenten und Experten gesucht wird, die nicht der Meinung sind, der man selber ist. Diskussionssendungen sind heutzutage aber eher so beschaffen, dass immer nur ein Expertenmensch für ein bestimmtes Fach eingeladen wird. Der Expertendissens bleibt öffentlich unausgetragen. Diesen zu erwähnen wird eher den Moderatoren oder den Politikern überlassen. Richtig ist das so aber nicht in einer offenen Gesellschaft, nimmt man Popper ernst. Zum Beispiel in dieser Sendung hier heute, fehlen Ihnen allen da nicht die Gegenexpertinnen zum Zweck der lebhaften Wahrheitsfindung? Und erst recht die Verfassungsrechtler. Damit verbunden folgende Frage: Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, Ihre Politik popperianisch, also als konsequente rechtzeitige lernbereite Fehlerkorrektur und – wenn ja – kennen Sie zu diesem Zweck andererseits die Dörner-Experimente? Auch die sind Fehlerkultur. Diese Experimente gibt es seit über 50 Jahren und diese dienen der Schulung von politischen, ökonomischen und technischen Eliten in schwierigen, extrem komplexen Situationen. Die werden computersimuliert. Z. B. eine Stadt in der BRD mit hoher Arbeitslosigkeit. Oder z. B. ein Entwicklungsland mit hoher Sterblichkeit. Oder z. B. die ursächlichen realen Geschehnisse der Tschernobyl-Katastrophe. Das Seltsame an diesen sehr seriösen Experimenten ist, dass die allermeisten Versuchspersonen scheitern. Und je mehr Fehler sie machen, umso herrischer und uneinsichtiger werden diese Versuchspersonen, egal ob männlich oder weiblich. Die letztlich lebensgefährlichen Fehler kommen dabei oft daher, dass man diese Fehler im Routinealltag immer mehr und mehr zugelassen hat und die Grundregeln außer Kraft gesetzt hat und so immer weiter in die nicht mehr bewältigbare tödliche Ausnahmesituation gerät. In die Katastrophe dann eben. Und das war es dann eben. Tschernobyl z. B. Sind wir zurzeit, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, in einem solchen gewaltigen realen Dörnerexperiment seitens der Regierenden? Und: Aus welchen eigenen Fehlern haben Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, gelernt, z. B. aus der falschen Handhabung der Masken, z. B. aus der falschen Triage zum Schaden der zu Pflegenden und der Pflegenden, z. B. aus dem jahrelangen Ignorieren des Pflegenotstandes? Haben Sie daraus gelernt, mit Verlaub gefragt? Und zwar der Zukunft wegen. Z. B. was die künftige Arbeitssicherheit betrifft. Dass also die Menschen wieder in Arbeit kommen. Zugleich aber, dass sie dadurch weder an Leib noch an Leben Schaden nehmen. Diesem Zweck dienen, vermute ich, die von Ihnen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, forcierten und propagierten Masken, Apps und Tests. Bislang hatte es allerdings immer geheißen, dass Gefährdete und Kranke besonders geschützt werden oder eben gar nicht in Arbeit gezwungen werden. Systemwichtige Arbeitskräfte werden jetzt aber von Ihnen per Verfassungs- und Menschenrechtsbruch vom Schutz ausgenommen. Die müssen krank arbeiten. Corona hin, Corona her. Meine vertrauensvolle Frage an Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, fern von Verfassungs- und Menschenrechtsbruch wäre eigentlich gewesen, ob die Menschen, die jetzt nach Ostern wieder in Arbeit geschickt oder gelassen werden von Ihnen, zuvor wenigstens gesundenuntersucht werden? Z. B. mittels simpler Blutbilder. Irgendwie wie bei der Stellung beim Militär. Zumal ja jetzt angeblich irgendwie Krieg ist durch Corona. Einfache Gesundenuntersuchungen. Da braucht’s keine Coronaabstriche, kommt mir vor. Ich meine die Frage ernst. Und sie ergeht, bitte, auch an die Virologen. Genauso die Frage, ob das Ganze nicht doch – obwohl die Regierung dies ebenso bestreitet wie die realen Triagen – hinausläuft de facto auf Herdenimmunisierung. Der deutsche Virologe Schmidt-Chanasit hat einer solchen vor kurzem das Wort geredet. Es gehe gar nicht anders. Man müsse da durch. Die Jungen zuerst. Durchaus im Lebensinteresse der Wirtschaft, die wir ja alle seien. Meine Frage auch an die Virologen: Sollte in Österreich eine Herdenimmunisierung entgegen allen Kurzschen Beteuerungen in Wahrheit doch angepeilt werden, kann man eine solche Herdenimmunisierung geplant und kontrolliert durchführen, sozusagen unter medizinischer Kontrolle und Obhut? Und noch eine medizinische Frage, deren Nein-Antwort mir zwar klar ist, ich stelle sie aber trotzdem: Gibt man zuhause zu spät Sauerstoff? Könnte ein früheres Sauerstoff-Geben den Verlauf mildern? Oder würde es den verschlimmern? Im Hintergrund steht wieder das Problem der Triage. Gibt’s genug Sauerstoff für daheim und wer hilft bei der richtigen Handhabung?

      Fragen an den Kanzler. Video-Diskussionsbeitrag für Talk 1, ORF

      Die Frau, die auf der Dialyse starb, ich rannte, sie reagierten nicht, ich rannte um den Notkoffer, rannte. Der Mann der Frau holte die Frau oft ab. Er liebte sie. Ich glaube, er holte sie an dem Tag auch ab, ich weiß es nicht mehr. Ich glaube, er kam an dem Tag und wusste von nichts. Nein, ich sah ihn nicht an dem Tag. An einem anderen, glaube ich, später einmal noch, da ging er auf die Station, kurz. Einmal sah ich ihn dann später noch, ich wusste nicht, ob ich ihm sagen soll, wie seine Frau gestorben war. Ich tat es nicht. Ich überlegte mir auch, ob ich ihn anrufen soll. Tat ich auch nicht. Heute, Jahre später, in diesem Augenblick erst fällt mir ein, dass das vielleicht ein Unrecht war, dass ich ihm nicht erzählt habe, wie seine Frau gestorben war. Aber ich wollte ihm etwas ersparen. Auch später dann. Es war ein Unfall, ein Unglück. Es war ein sanfter Tod, schien mir, einer wie im Schlaf. Das hätte ich dem Mann sagen können. Das hätte es ihm vielleicht leichter gemacht. Aber es war nicht die Wahrheit. Gewiss, die Frau starb sehr leicht, und jedem Menschen wohl ist ein solcher Tod zu wünschen, sanft war der und nicht grausam. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Und wie ruhig seine Frau gestorben war, das hätte ich ihm damals, weil ich dabei gewesen und gerannt war, gar nicht so sagen können, ihrem lieben Mann, obwohl es wahr war. Die Frau starb sanft und schnell, aber was sie brauchte, war nicht da. Die Rettungswerkzeuge nicht und die rettenden Menschen auch nicht. So war das nun einmal. Sie ist sanft entschlafen. Aber was nötig war an Menschen und Material, stand für sie nicht zur Verfügung. Es ging zu schnell. Das Notwendige war nicht da. Es hätte aber da sein müssen. Was der Frau geschah, war aber ein Unglücksfall. Aber unvermeidbar war der Unfall nicht. Es wäre möglich und Vorschrift gewesen. Die Frau auf der Dialyse war, bin ich mir sicher, selber überrascht. Sie sackte schneller ab, als dass sie etwas sagen konnte. Sie meldete sich meistens rechtzeitig. Sie sackte oft ab, aber selten von sich selber unbemerkt. Das Selberum-Hilfe-rufen-Müssen war der grundlegende Fehler auf der Station. Es gab keinen Alarmknopf. Aber ich weiß auch nicht, ob sie am letzten Tag ihres Lebens schnell genug gewesen wäre, einen Alarmknopf zu drücken. Aber es gab gar keinen für sie. Aber es hätte einer da sein müssen. Für alle, für jeden ein eigener. Ich war da. In der anderen Dialysestation, in der neuen, in der des besten Arztes, den ich kannte, auf Bleiblers Station, gab es das alles, die Sicherheitsvorkehrungen, die Menschen, das Material. Die von jeder Stelle aus einsehbaren Behandlungsräume. Und dass nicht in jedem Dialyseraum eine Schwester ständig zugegen war, war ja auch falsch gewesen in der alten Dialysestation im alten großen Spital. Ich war da, rannte. An dem Tag damals hatte die Frau sich beim Dozenten Meier beklagt, dass sie in letzter Zeit während der Dialysen fast jedes Mal Krämpfe im Unterleib bekomme. Ich weiß nicht, ob der Dozent ihr daraufhin etwas geben ließ. Ich glaube, er sagte, sie werde etwas dagegen bekommen. Vielleicht auch genierte sie sich, weil ich im Raum war. Aber das glaube ich nicht. Denn im anderen Raum, wo sie sonst immer gewesen war, hatte sie meines Wahrnehmens nie von solchen Krämpfen berichtet. Hier getraute sie es sich. Ich war, glaube ich, stets dezent und diskret, sonst hätte ich meinen Ort dort auf der Station verloren; ich war, bilde ich mir ein, hilfsbereit, zuvorkommend, unaufdringlich und so unauffällig wie nur möglich. Ja, doch, war ich. War unsichtbar genug. Und immer da eben. Die Schwestern, Pfleger, die Ärzte gaben die Glocken nicht her, und das war falsch. Und ich, ich bin mir sicher, dass ich es sofort wahrgenommen habe, als die Frau kollabierte. Sie schaute in den Fernseher. Lächelte. Wirkte müde. Ich ging ein paar Schritte näher zu meiner Mutter hin. Mehr noch weg aus der Raummitte. Schaute ein paar Augenblicke