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Semper patet alia via. Das ist von Erasmus aus Rotterdam. Immer stehe ein zweiter Weg offen. Der Ausweg eben. Der Spruch erinnert mich an Werfels Jakobowsky und der Oberst. An den Film mit Danny Kaye. Der sagt auch in den schwersten, gefährlichsten Situationen immer, dass man immer 2 Möglichkeiten habe im Leben. Jede dieser Möglichkeiten berge in sich wieder 2 neue Möglichkeiten. Und Jakobowsky eben imaginiert und wählt sich inmitten von Not und Übel nach Möglichkeit die jeweils bessere. Am Ende geht’s gut aus. Ist offensichtlich eine gute Methode.
Zum Bachmannwettbewerb und wieso die Teilnahme meinerseits, dazu soll ich auch was sagen, sagten Sie mir am Telefon zirka, und was ich bislang so getrieben und geschrieben habe oder was oder wie, oder?
Ich wette 1. mit Ihnen, die heurige Veranstaltung wird lebhaft, einfalls- und hilfreich, vehement, umsichtig, spontan und menschenfreundlich sein. Alle Teilnehmenden werden dafür sorgen, die sind sich mit Gewissheit ihrer Verantwortung bewusst. (I eh ah.) Es kann ja sein, dass der Bachmannbewerb von Anfang an und durch all die Jahrzehnte nahezu nie im Sinne von Frau Bachmann war. Die vielen Schlachtungen nämlich und das Plastik und die Automaten aller Sorten hätten sie immer schon abgestoßen. Die Gewalt, die Grausamkeit, das Zerstörerische, Sinnlose. Weg damit! Heuer, just, wird das, wette ich, wirklich geschehen. Die Bachmann wird’s freuen.
2. Was ich am Bachmannwettbewerb gerade jetzt für die heutige Zukunft, Gesellschaft, Politik für höchst wichtig und für hochinteressant finde, ist seine Art von Transparenz und von Demokratie. Da wird nämlich, anders als sonst oft bis meistens, in Gegenwart und unter Mitwirkung großer Öffentlichkeit demokratisch gewählt, wer was kriegt, wer nicht. Mich erinnert das Ganze auch an das antike Theater, die antike Tragödie und Komödie in Athen. Die waren Erfindungen und Ausdruck der Athenischen Demokratie, und zwar nahezu von Anfang an. Zwar hat es in Athen bekanntlich auch bloße Zufallsentscheidungen durchs Los gegeben, was bestimmte Ämter und Funktionen betrifft. Was ja irgendwie erschreckend und lustig zugleich ist, aber zwischendurch durchaus auch Sinn und Zweck hatte, zumindest auf den ersten Blick, nämlich dass potentiell jeder drankommen kann hinein in ein Amt und dies sicherheitshalber schadensbegrenzt auf kurze Zeit. Die Wettkämpfe unter den Dramatikern waren freilich anderer Art. Eben irgendwie in Richtung heute und Bachmannwettbewerb, kommt mir halt vor. Nicht bloß per Zufall und per Los oder per Hierarchie. Wie diskutiert wird seitens der Kritiker*innen über die Lesungen und über die Preiszuteilungen, scheint mir demokratisch lehrreich. Gerade heute könnte man vom Bachmannwettbewerb viel lernen, die ganze Gesellschaft. Sozusagen irgendwie athenisch eben. Voraussetzt das alles, wie soll ich’s sagen, beim Wettbewerb seitens der Obrigkeiten wirklich moralisches und intellektuelles Niveau, auf gut Deutsch: menschliches Niveau. Erasmus aus Rotterdam, 15. Jahrhundert, der Humanist, nach dem ja so viel benannt ist heutzutage, hat übrigens viel Wichtiges zu dem gesagt, wie {kulturelle und} geistige Auseinandersetzungen sinnvoll sind und wann hingegen ein Graus und Grauen. Der Sozial-, Menschen- und Wirklichkeitswissenschaftler Pierre Bourdieu, 20. Jahrhundert, hat das Ganze freilich ganz genau analysiert und es gibt ja auch, soweit ich weiß, eine genaue Studie des Bachmannwettbewerbs, in der dieser ausdrücklich mit Bourdieuschen Mitteln analysiert wird. Wenn ich mich richtig erinnere, heißt die Autorin Moser, eine Kärntner Germanistin. Ich weiß nicht, wie diese kritische Studie aufgenommen wurde, und auch nicht mehr das Erscheinungsjahr. Wann auch immer, mir erscheint der Bachmannwettbewerb, jedes Mal, wenn etwas dabei gelingt, als vorbildliche Übung in Transparenz, Demokratie und Mitmenschlichkeit. Weil das, meines Erachtens, so ist, darf man ihn nicht abschaffen, sondern ist er gewissenhaft so zu gestalten, dass Demokratie und Redlichkeit gelingen. Schaufensterpuppen wie heuer als Publikumsersatz, wenn ich das Vorhaben richtig wahrgenommen habe, halte ich für eine fürchterliche Verdinglichung und für abstoßend und entfremdet. Für schrecklich. Habjan, wenn man ihn gebeten hätte, dass er seine wundervollen Puppen herleiht, das z. B. wäre, kommt mir vor, eine schöne Idee gewesen. Oder dass Habjan mit seinen Puppen das Publikum spielt. Gebrauchte Kinderstofftiere en masse wären auch eine gute Idee zusätzlich, kommt mir vor. Aber die Publikumspuppen heuer, kopflos und irgendwie mit und ohne Geschlecht oder doch bekleidet, furchtbar sind die meines Empfindens. Potentiell ist der Bachmannwettbewerb jedoch nach wie vor Ausdruck und Vorbild unserer Demokratie im besten Sinne und dass normalerweise Schulen, Klassen, nämlich engagierte Lehrer*innen mit ihren Schüler*innen dorthin gehen zuhören, das beeindruckt mich wirklich und ist meines Empfindens eben alles andere als 08/15. Mir kommt vor, Lebensfreude schaut so aus. Und Verantwortungsgefühl.
3. Für mich erhoffe ich durch die Teilnahme die Möglichkeit, Gedichte zu realisieren. Nichts eben ist heutzutage hilfreicher als Gedichte. Hab ich, wie gesagt, vom Kriegsberichterstatter Fritz Orter gelernt.
4. Unter anderem, neben einer Auswegereihe, habe ich einen Sozialstaatsschuber fabriziert, Sozialstaatsroman, Des Menschen Herz. Genutzt wurde der, die ersten 3 Bände, bislang nicht, wie ich es mir wünschte: nämlich z. B. dass jede*r – und sei es im mich demontierenden Streit – ihre und seine Geschichte dazuerzählt, ihre und seine Not. Dadurch Abhilfe schafft anderen und sich. Rauskommt, raushilft aus den etlichen Zwangssituationen, Ausweglosigkeiten, Schädigungen. Selbige habe ich in Familien, Hilfseinrichtungen und sozialen Bewegungen benannt. Menschenleben dort. Dass der Sozialstaatsroman aus Liebesgeschichten besteht, hat auch kaum wer bemerkt. Wie das ist, wenn die Liebe stärker ist als der Tod. Und wie, wenn nicht. Entscheidungen und deren Folgen.
5. Erich Fromm bedeutet mir viel; der hat Objektivität als die Bereitschaft, Fähigkeit, Fertigkeit kenntlich gemacht, Menschen nicht zu entstellen, Menschen nicht und Sachverhalte nicht. Darum geht’s mir. Bei Max Weber war’s detto mit der Objektivität, kommt mir vor. Der bedeutet mir auch viel. Der Linksweberianer Pierre Bourdieu auch. Der hat Menschen aus Zwangssituationen heraushelfen wollen und vor Gewalt und Betrug bewahren. Der Unterschied zwischen (guter) Literatur und (redlicher) Soziologie war für Bourdieu minimal. Um die Auswege geht’s immer. Die zu finden. Mit anderen zusammen. Und dass Menschen nicht Menschen entstellen. Der 1. Teil meines Sozialstaatsromans Lebend kriegt ihr mich nie handelt von Menschen in ihren Familien, der 2. Furchtlose Inventur von den Hilfseinrichtungen, die jeder Mensch oder jedes Menschen Liebste irgendwann brauchen in Leben und Not, der 3. Teil Tagebücher 2004–2011 von den Sozialbewegungen, den NGOs, der Zivilgesellschaft, der APO. Vom Kaputtmachen und vom Unkaputtbaren.
6. Im Oktober 1979 habe ich mit dem Schreiben begonnen. Mit 18 Jahren. Gertrude Steins Zarte Knöpfe und Bastos’ Menschensohn waren damals verstandes- und lebenswichtig für mich. Ebenso Gorkis Mutterbuch und das Handkes. Sallust sehr. Tacitus