Die achtsame Schule. Daniel Rechtschaffen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniel Rechtschaffen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783867812214
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demographischer Zugehörigkeit, von denen einige auch online erworben und ohne jegliche Vorbildung angewandt werden können.

      Achtsamkeitsübungen werden zunehmend auch international in SEL-Programme und Schulsysteme integriert. Es gibt viele grundlegende Achtsamkeitskonzepte und -praktiken, die in Anti-Mobbing-Kampagnen, Prüfungsvorbereitungen und anderen Lernprojekten eingesetzt werden.

      Einige Beispiele von Organisationen, die diesem Ansatz folgen: Mind Up Curriculum, .b-Curriculum, Learning to BREATHE Curriculum, Stress Reduction Workbook for Teens.

      All das oben Genannte

      Wie immer hat auch hier nicht die eine Seite recht und die andere unrecht. Wir brauchen einen mehrdimensionalen Ansatz, um diese Praktiken in die Arbeit mit jungen Menschen zu integrieren. Natürlich müssen wir bei der Ausbildung und Anleitung der Lehrer ansetzen. Natürlich ist es hilfreich, erfahrene Lehrer einzusetzen, die uns den Weg weisen und die Achtsamkeits-Bewegung unterstützen können. Natürlich ist die Integration in den alltäglichen Lehrplan unerlässlich, um die Lehrer dabei zu unterstützen, die Praktiken in ihrem unmittelbaren Umfeld umzusetzen. So bekommen selbst Menschen, die sonst nie auf den Gedanken kämen, Achtsamkeit zu praktizieren, einen kleinen Vorgeschmack darauf. Deswegen sollten wir sicherstellen, dass wir Achtsamkeit in bekömmlichen Portionen servieren und sie nicht mit zu schwer verdaulicher Kost überfordern.

      Der South Burlington School District in Vermont ist ein gutes Beispiel für ein ganzheitliches Konzept für Achtsamkeit in der Schule. Ich habe etliche mehrtägige Achtsamkeits-Retreats für Lehrer und Administratoren dieses Distrikts geleitet. Sie selbst haben Linda Lantieri und verschiedene andere Experten für die Weiterbildung der Lehrer an die Schulen geholt. Die Lehrer und Schultherapeuten haben Achtsamkeitspraktiken in den Lehrplan ihrer K-12 Schulen integriert, so dass die Kinder jeder Altersstufe von der Volksschule bis zum Schulabschluss davon profitieren können. Ich habe auch direkt in den Klassen ihrer Grundschule, Mittel- und Oberstufe unterrichtet, mit Lehrern, die mir wie ein Schatten folgten, um soviel wie möglich profitieren zu können. Dieser Schulbezirk hat sich dem Wohlergehen seiner Lehrer verschrieben und ihnen die Ressourcen zur Verfügung gestellt, damit die Lehrer das Gelernte auch weitergeben können. Das ist Integration in Aktion.

      Die Wissenschaft

      der Achtsamkeit

      Die großen Neurowissenschaftler unserer Geschichte hatten keine bildgebenden Technologien. Also saßen sie still da und beobachteten die vorbeiziehenden Phänomene von Geist, Körper und Herz. Eine der klassischen Achtsamkeits-Techniken, der Bodyscan, ist so eine Art inneres Abtasten. Während des Bodyscans lassen wir unsere Aufmerksamkeit vom Kopf bis in die Zehenspitzen wandern und beobachten dieselben Phänomene wie die Neurowissenschaftler auf ihren Bildschirmen. Als ich begann den Bodyscan zu üben, stellte sich sehr bald eine tiefe Entspannung ein, es fiel mir leichter mich zu konzentrieren und ich fühlte mich emotional ausgeglichener. Ich brauchte keinen Wissenschaftler, um mir zu erklären was da passierte. Ich konnte die Veränderungen durch eine Art inneres Auge wahrnehmen.

      Achtsamkeit ist eine „innere Wissenschaft“ und wir nutzen unseren Geist, unser Herz und unseren Körper für diese Forschung. Statt einer kalten wissenschaftlichen Studie untersuchen wir unser Innenleben mit Mitgefühl und Zartheit. Diese Erkundigung unseres Inneren kann persönliche Einsichten und mehr Selbstliebe zur Folge haben.

      Die andere Form wissenschaftlicher Forschung, die in Labors und akademischen Institutionen betrieben wird, kommt ganz objektiv zu denselben Ergebnissen, die Praktizierende seit tausenden von Jahren beobachten. Neurowissenschaftler, Ärzte und Genetiker zeigen auf, dass Achtsamkeit zu mehr Aufmerksamkeit, Mitgefühl, Zufriedenheit und Entspannung führt und Impulsivität, Angst und andere schwierige Emotionen reduziert.

      Im folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der für unsere Untersuchung von Achtsamkeit in der Schule relevanten, wissenschaftlichen Forschung. Ich hoffe, dass diese Forschungsergebnisse Sie inspirieren werden Ihre eigene Achtsamkeitspraxis zu entwickeln und Ihr Wissen gegebenenfalls mit Ihren Kollegen zu teilen.

      Nachgewiesene Effekte

      Die Anzahl wissenschaftlicher Artikel über Achtsamkeit hat sich in den letzten 30 Jahren von einem einzigen im Jahr 1982 zu 397 im Jahr 2011 vervielfacht (Mindfulness Research Guide, 2013).

      Als Jon Kabat-Zinn 1979 seine Stress Reduction Clinic im Massachusetts Medical Center eröffnete, fand sich der Begriff Achtsamkeit in keinem medizinischen Lexikon. Kabat-Zinn entwickelte an dieser Klinik ein Programm mit dem Namen „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“ (Mindfulness-Based Stress Reduction – MSBR), das zu Beginn als unwissenschaftlich abgetan wurde. Wie konnte einfaches Atmen und Selbstliebe für Patienten hilfreich sein?

      Kabat-Zinn überredete einige Ärzte, ihre behandlungsresistenten Patienten zu ihm an die Klinik zu schicken. Mit anderen Worten, alle Patienten, bei denen die westliche Medizin am Ende ihrer Weisheit angelangt war, landeten in der Stress Reduction Clinic. Nachdem sie acht Wochen lang Achtsamkeit praktiziert hatten, konnte man bei diesen „behandlungsresistenten“ Patienten bemerkenswerte Veränderungen feststellen. Die MBSR-Patienten verzeichneten einen dramatischen Rückgang der Symptome bei Erkrankungen wie Bluthochdruck, Psoriasis und Fibromyalgie. Chronische Schmerzzustände verbesserten sich „wie von Zauberhand“ und die Patienten berichteten ganz allgemein über ein gesteigertes Wohlbefinden.

      Nach Schätzung der Ärzte kommen 60 bis 80 Prozent ihrer Patienten wegen stressbedingten Problemen in ihre Praxis (Rosch, P., 1997). Migräne, Schlaflosigkeit, Angstzustände, Depressionen und eine breite Palette von Beschwerden sind heutzutage stressbedingt. Trotzdem werden nur drei Prozent der Patienten von ihren Hausärzten in Bezug auf Stress-Management beraten (Nerurkar, Yeh, Birdee und Phillips, 2011).

      So wirkungsvoll sich unsere westliche Medizin erweist, wenn wir eine Infektion mit Antibiotika bekämpfen, die uns unter anderen Umständen das Leben gekostet hätte, so kann sie bei vielen ganzheitlicheren Gesundheitsproblemen nicht wirklich helfen. Genau wie unser Schulsystem behandelt unser Gesundheitssystem in den seltensten Fällen den ganzen Patienten. Doch genau wie im Schulsystem können wir auch hier große Veränderungen beobachten. Die medizinische Wissenschaft erkennt langsam, dass die Gesundheit des Patienten von einem Zusammenspiel von Geist, Körper und Herz abhängt.

      Die nun folgenden Beispiele zeigen nur einige wenige der bemerkenswerten positiven Effekte von Achtsamkeit auf, die durch Forschungsergebnisse untermauert sind.

      • Körper: Achtsamkeit hat eine direkte positive Wirkung auf unsere Gesundheit, sie verringert Schmerzzustände und Bluthochdruck und verbessert die Symptome von Krankheiten wie Psoriasis und Fibromyalgie. Bei einer langfristigen Achtsamkeitspraxis konnte sogar eine erhöhte Aktivität der Telomerase festgestellt werden, ein Enzym in unserer DNA, das mit verzögerter Zellalterung, Langlebigkeit und anderen Gesundheitsfaktoren in Verbindung gebracht wird (Jacobs T. L. u. a., 2011).

      • Geist: Die Hirnforschung zeigt einen positiven Effekt von Achtsamkeit auf die Struktur und Funktionsweise unseres Gehirns und somit auch auf Aufmerksamkeitsspanne, räumliches Vorstellungsvermögen, Arbeitsgedächtnis und Konzentration. (Jha, A. P. u. a., 2007; Chambers, R. u. a., 2008; Zeidan, F. u. a., 2010). Achtsamkeit zu praktizieren kann zur vermehrter Durchblutung und Kräftigung von Arealen der Großhirnrinde führen, die für Aufmerksamkeit und emotionale Integration zuständig ist (Davidson, R. J. u. a., 2003). Eine Reduktion von grauer Substanz in der Amygdala und damit einhergehend eine Verringerung von Stress und Angst konnten beobachtet werden (Hölzel, B. K. u. a., 2011).

      • Herz: Achtsamkeit fördert das Gefühl von Sicherheit, die Fähigkeit, gehaltvolle Beziehungen eingehen zu können, Erfahrungen anzunehmen ohne die Fakten zu verleugnen, mit schwierigen Emotionen umzugehen und ruhig, belastbar und empathisch zu bleiben (Salmon, P. u. a., 2004) Achtsamkeit als psychologische Intervention ist bewiesenermaßen wirkungsvoll bei Drogenmissbrauch, Stress, Angst, wiederkehrenden depressiven Symptomen und Schlafproblemen. (Baer, R. A. 2003). Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) reduziert depressive Symptomatik und steigert das Wohlbefinden wirkungsvoller als Antidepressiva (Kuyken, W. u. a., 2008)

      • Verbundenheit: In einer Studie wurden die mitfühlenden Reaktionen beobachtet, als man die Probanden bat, sich eine Szene mit einem Schauspieler