Was sind Hormone?
Du kannst Hormone als Botenstoffe oder Nachrichtenüberbringer betrachten. Unser Körper hat ein internes Kommunikationssystem entwickelt, um Gehirn, Organe und Drüsen miteinander »sprechen« zu lassen. Das Hormonsystem ist komplett reguliert, sehr vorhersehbar, und es kontrolliert dich hinsichtlich deiner Gesundheit, deiner Gedanken, Stimmungen und vielem mehr. Dabei agieren Hormone in einer bestimmten Reihenfolge – einer speziellen Kommunikationskette. Ist sie an einer Stelle gestört, wird sich das auch auf den Rest der Kette auswirken. Genau wie bei einer Lichterkette am Weihnachtsbaum. Daher ist es wichtig, alle Hormone und Bereiche des Lebens zu betrachten, wenn du PCOS auf natürliche Weise in den Griff bekommen möchtest.
Ein Beispiel
LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (follikelstimulierendes Hormon) sind Hormone der Hypophyse. Sie regen die Östrogen- und Progesteronausschüttung in den Eierstöcken an. Wenn Progesteron und Östrogen vermehrt ausgeschüttet werden, dann ist das ein Signal an das Gehirn, weniger LH und FSH auszuschütten. Man spricht hier vom Feedbacksystem.
Doch Achtung: Dies ist eine sehr vereinfachte Darstellung. In diesem Prozess spielen weitere Hormone eine wichtige Rolle.
Das Metabolische Syndrom
Was wir auf keinen Fall außer Acht lassen sollten, ist die metabolische Komponente der Hormonstörung PCOS. Mindestens ein Drittel der PCOS-Patientinnen leidet nämlich ebenfalls am Metabolischen Syndrom,4 was dafür sorgen kann, dass die Hormone durcheinandergeraten. So wirst du in späteren Kapiteln feststellen, dass Übergewicht, vor allem Adipositas (starkes Übergewicht), und das »Zuckerhormon« Insulin deine Geschlechtshormone stark negativ beeinflussen können.
Übergewicht sowie eine Insulinresistenz bilden dabei neben Bluthochdruck und einer Fettstoffwechselstörung das sogenannte »tödliche Quartett«, welches das Metabolische Syndrom umschreibt. Es sind die vier Volksleiden unserer heutigen Gesellschaft, die sprichwörtlich gesagt »der Tod auf leisen Sohlen« sind.
Bis zu 70 Prozent der PCOS-Patientinnen sollen an einer Insulinresistenz bzw. Insulinfehlregulation (also einem Teilaspekt des Metabolischen Syndroms) leiden und wie schon erwähnt mindestens 33 Prozent am Metabolischen Syndrom in seinem vollen Spektrum. Somit könnte eine metabolische Dysfunktion bei einigen Frauen durchaus an der Entstehung des PCO-Syndroms beteiligt sein. Diese Annahme wird bestärkt, wenn man in Betracht zieht, dass eine Gewichtsreduktion und eine zuckerarme Ernährung bei vielen PCOS-Patientinnen schon große Erfolge in der hormonellen Regulation bringt. So kann bei übergewichtigen, unfruchtbaren Frauen nach einer Reduktion von etwa 10 Prozent des Körpergewichts die Periode wieder eintreten und die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft erhöht werden.5
Nichtsdestotrotz sollte nicht ausgeschlossen werden, dass erst die hormonelle Dysregulation zum metabolischen Problem führen könnte. Die Zusammenhänge sind noch nicht vollständig geklärt, und du wirst später erfahren, dass das PCO-Syndrom viele Gesichter haben kann.
Wie auch immer gilt es beim Metabolischen Syndrom oder Teilaspekten davon, wie Insulinresistenz, zu handeln, denn diese Dysfunktionen erhöhen das Risiko, dass wir später im Leben an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und/oder Krebs erkranken: die typischen Volkskrankheiten unserer heutigen Zeit.6 Unser Lebensstil, also die Ernährung, Bewegung, Rauchen, Stress und so weiter, spielt bei der metabolischen Problematik eine Schlüsselrolle: Er kann sie entweder begünstigen oder eben nicht. Mit unserem Lebensstil haben wir einen erheblichen Einfluss auf unseren Körper. Es ist bekannt, dass eine ungesunde Lebensweise mit ungünstiger Ernährung, viel Stress und wenig Bewegung metabolische Dysfunktionen mitauslösen kann,7 und im Umkehrschluss macht es so ein Lebensstil wahrscheinlich, dass sich Hormonstörungen wie das PCO-Syndrom manifestieren können.
Alles im Körper ist vernetzt
Der Körper ist durch und durch vernetzt. Nicht nur die Gesamtheit unserer Hormone bildet ein System, sondern unser gesamter Körper ist ein in sich geschlossenes System, das in all seinen Teilen und mit der Umwelt kommuniziert. Die Ansicht, dass wir Körperteile und Organe getrennt voneinander betrachten könnten, ist mittlerweile veraltet. Alles hängt miteinander zusammen und beeinflusst sich gegenseitig. So haben unsere Stressdrüsen einen weitreichenden Einfluss auf den gesamten Rest des Körpers, beeinflussen zum Beispiel den Darm, und der Darm wiederum beeinflusst das Immunsystem, was wiederum die Geschlechtshormone beeinflusst und so weiter.
Sind deine Gene schuld am PCOS?
Oft – und mir wurde das auch so mitgegeben – denken wir, dass Krankheiten in unseren Genen liegen und wir ihnen hilflos ausgeliefert sind. Wir tendieren dadurch dazu, in eine Opferrolle zu fallen und das Leben so zu betrachten, als hätten wir einfach die falschen Karten gezogen. Doch unser Leben ist kein Kartenspiel. Wir haben viel mehr Einfluss auf die Expression unserer Gene, als wir bisher angenommen haben.
Du bist dir sicherlich bewusst, dass Diabetes Typ 2 ein Resultat von einer zuckerreichen Ernährung sein kann, und hast bestimmt auch schon gehört, dass wir Diabetes entgegenwirken können, indem wir uns zuckerarm ernähren und regelmäßig bewegen. Das bedeutet, dass die Veranlagung, an Diabetes zu erkranken, zwar in unseren Genen liegen kann, wir aber einen enormen Einfluss auf den Ausbruch dieser Volkskrankheit haben. Wir können Diabetes entgegenwirken, wenn wir unseren Körper richtig nähren – mit Nahrung, Bewegung, Entspannung und Selbstliebe.
Doch schauen wir uns unsere Gene mal etwas genauer an und betrachten wir dabei, welche Rolle sie bei PCOS spielen. Viele Studien weisen darauf hin, dass sie zumindest mitverantwortlich für das Auftreten von PCOS sein können. Hast du PCOS, ist es also wahrscheinlich, dass auch deine Schwester, Mutter oder Großmutter diese Erkrankung haben oder zumindest die genetische Voraussetzung dafür.8
Was viele nicht wissen: Wir können unsere Gene beeinflussen.
Auch wenn du die genetische Vorbelastung in dir trägst, solltest du nicht den Kopf in den Sand stecken und dich deinem Schicksal ergeben. Was viele nicht wissen, und was lange unvorstellbar erschien, ist die Tatsache, dass wir unsere Gene beeinflussen können. Mit unserem Lebensstil können wir sie tatsächlich an- und ausschalten. Auch unser Umfeld spielt eine große Rolle in der Genexpression. Nicht alle Gene sind nämlich jederzeit aktiviert. Diese Form der Genetiklehre ist relativ neu und nennt sich Epigenetik. Sie sagt: Auch wenn du die Voraussetzung in deiner DNA trägst, PCOS zu entwickeln, wird dieses Gen nur transkribiert, also angeschaltet, wenn äußere Umstände dazu führen. Diese äußeren Umstände sind zum Beispiel deine Ernährung, Stress oder Umweltgifte. Jede Körperzelle trägt im Zellkern einen vollständigen Satz unserer Gene. Das bedeutet, dass jeder Zellkern sechsundvierzig Chromosomen beinhaltet. Jede Zelle trägt genau die gleichen sechsundvierzig Chromosomen in sich. Würde man sich unsere Chromosomen unter einem Mikroskop anschauen, dann würde man die DNA-Stränge erkennen, aus denen sie sich zusammensetzen. Auf einem DNA-Strang befinden sich die Baupläne für diverse Körperteilchen. Es ist eine Art Code, der von bestimmten Molekülen abgelesen und angewendet werden kann. Dieser Vorgang wird auch Proteinsynthese genannt. Eventuell hast du davon mal was im Biologieunterricht gehört. Falls du dich nicht mehr richtig erinnern kannst, dann schau dir doch dieses Bild dazu an.
Auf unserer DNA befinden sich aber nicht nur die Baupläne für Proteine, sondern zum Beispiel auch für Enzyme und Hormone (die im Prinzip auch Proteine sind). Der Bauplan wird mithilfe von bestimmten Enzymen abgelesen und umgeschrieben. Das ist ein etwas aufwendigerer Prozess, den ich hier nicht beschreiben möchte. Du brauchst letztlich nur zu wissen, dass sich auf unserer DNA sämtliche Baupläne befinden, damit bestimmte Körperstoffe hergestellt werden können.