Deutschenkind. Herbjørg Wassmo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Herbjørg Wassmo
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Современная зарубежная литература
Год издания: 0
isbn: 9783867548663
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Gunn und war sehr jung. Jünger als einige von den Eltern. Sie hatte Grübchen und viele große weiße Zähne. Die sahen ganz echt aus.

      Gunn war schön, fand Tora. Schöner auch als die Mutter, weil sie fröhlicher war.

      Das Haar war blond und gelockt, wie bei dem Engel auf dem großen Glanzbild, das Tora eingerahmt über dem Bett hängen hatte. Die Kinder nannten Fräulein Helmersen Gunn und bekamen einen ganz sanften Blick, wenn sie von ihr sprachen. Bei vielen Vätern war das auch so.

      Sie war fertig ausgebildete Lehrerin, obwohl sie noch so jung war. Man schuldete ihr großen Dank dafür, dass sie aus dem milden Süden und von frommen Eltern hier herauf nach Øya gekommen war, ans Meer, zu Kälte und Dunkelheit.

      Elisif hielt es für eine göttliche Fügung, dass sie Gunn noch ein zweites Jahr behalten durften.

      Die Kinder suchten einen Vorwand, um auch am Nachmittag hinauf zum Hof zu gehen, sie stellten neugierige Fragen und brachten Kabeljauzungen und selbstgebackenes Brot mit. Tora sah Gunn vor sich, wenn sie abends allein in ihrer Kammer lag und nicht schlafen konnte.

      Sie sah sie immer mit großem, offenem Mund und mit tiefen Grübchen in den Backen. Es war so, als ob jemand den Zeigefinger in ihre Backen gedrückt hätte und die Druckstellen nie mehr verschwunden wären.

      Tora träumte, dass sie Gunn war. Sie löste manchmal die Zöpfe und kämmte sich die Haare nach oben, damit es so aussah wie bei Gunn. Aber ihr Haar hatte eine ganz andere Farbe, und sie hatte einen ganz anderen Kopf. Sie kletterte auf einen Stuhl und betrachtete ihr Spiegelbild über dem Ausguss.

      Es half nichts, soviel sie auch bürstete und sosehr sie auch lächelte. Toras Gesicht war und blieb schmal und grau mit dünnen Lippen und einer allzu großen Nase. Diese Nase war übersät mit Sommersprossen. Die Haare waren dicht und widerspenstig und gänzlich ohne Locken. Sie umrahmten das kleine Gesicht wie die Borsten einen abgenutzten Besen.

      Sie war Tora. Da war nichts dran zu ändern. Elisif hatte ihr mehr als einmal gesagt, dass sie nicht verstehen könne, dass eine so schöne und gut gebaute Frau wie Ingrid sie bekommen habe. Es müsse das fremde Blut sein und der Sünde Sold, die das bewirkt hätten.

      Tora verstand allmählich, was sie meinte, und wurde rot bis zu den Ohrläppchen.

      Das fremde Blut war das Schlimmste, das gehörte zum Krieg, von dem die Mutter niemals sprach. Das mit der Sünde Sold nahm Tora nicht so schwer. Da konnte man schummeln, das hatte sie gesehen. Aber wenn auch der Spiegel über dem Ausguss Tora erzählte, wer sie war, so lebte sie doch ihr eigenes geheimes Leben unter dem Federbett in ihrer Kammer. In der Dunkelheit und allein mit sich war sie die, die sie sein wollte. Da streifte sie unter dem kleingeblümten Bettbezug ihre Haut ab, wärmte sich mit ihren eigenen kalten Händen, liebkoste sich selbst, während sie eine andere Tora heraufbeschwor. Wenn sie allein zu Hause war, konnte sie die eigentliche Tora vollständig vergessen.

      Für eine Weile konnte alles, was am Tag an ihr nagte, verschwinden, als ob es nie da gewesen wäre. Die Gefahr? Die verschwand auch.

      Sie war lieb zu ihrem eigenen mageren Körper, bis er glühte und zitterte und die Füße warm wurden. Sie war frei von allen Stimmen und Augen und bestimmte selbst, wer sie sein wollte. Sie wusste, dass sie »so etwas« mit sich eigentlich nicht machen durfte. Aber wenn sie es tat, ohne sonderlich viel dabei zu denken, dann konnte es wohl nicht so gefährlich sein.

      5

      Seit dem Tag, als Ole ihr erzählt hatte, dass sie aus der Fotze ihrer Mutter herausgekommen sei, musste Tora sich beinahe erbrechen, wenn sie daran dachte, dass die Leute so etwas machten … Dass die Mutter und Henrik … Oder der Pastor! Der Pastor hatte vier Kinder!

      Und Elisif, die so fromm war, ließ sich von Torstein hereinlegen, so dass jedes Jahr ein neues kam.

      Da war es besser, es selbst zu machen und die Gefahr zu vergessen. Trotzdem konnte sie lange im Dunkeln in der Kammer liegen und darüber nachgrübeln, wie sie es eigentlich machten, was Ole da erzählte.

      Sie war einmal mit Jørgen und einigen anderen Kindern hinter dem Hügel gewesen, und sie hatten die Pferde beobachtet, die dort weideten.

      Der Hengst vom Pastor wurde ganz wild und kam in den Pferch, um eine Stute zu besteigen. Tora konnte nicht verstehen, dass ein Hengst vom Pastor sich nicht besser benahm. Aber gleichzeitig wurde sie von dem seltsamen Wunsch ergriffen, zuzusehen. Der Hengst zeigte sein großes Glied, und Tora spürte die Gefahr und gleichzeitig eine quälende Neugier.

      Die Pferde jagten eine Weile an der Einzäunung entlang, und als Tora merkte, dass es ernst war, tat sie so, als ob sie die Augen im Ärmel versteckte. Aber sie hätte sich die Mühe sparen können. Niemand hatte Zeit, auf sie zu achten. Alle standen mit offenem Mund und feuchten Augen da und starrten auf den Pferdepimmel. Als der Hengst ihn in der falben Stute verschwinden ließ und wieherte und schnaubte, konnte sie deutlich sehen, dass Elisifs Jørgen gleichsam in den Knien zusammensackte und Ritas Zungenspitze im einen Mundwinkel erschien.

      Blitzartig wusste Tora, dass sie alle hier am Zaun auf den Hengst starrten, wie er bei der Stute pumpte, und dass alle das seltsame heimliche Ziehen im Unterleib verspürten wie sie selbst. Sie erlebten etwas gemeinsam, ohne dass sie es wagten, einander anzusehen. Tora versuchte sich vorzustellen, wie es wohl wäre, gerade jetzt die Stute zu sein. Erst hatte sie gezittert. Dann stand sie nur da. War gleichsam gar nicht beteiligt. Vielleicht schämte sie sich? Das musste es sein!

      Sie mochte es wohl nicht, dass die Kinder zusahen. Es musste auch schrecklich wehtun, bei dem großen Pimmel.

      Nein, so sah es nicht aus. Dann hätte die Stute nicht stillgestanden. Es liefen warme und kalte Schauer durch Tora hindurch. Es war wie so lange und so schnell zu laufen, dass sie Blutgeschmack im Mund hatte, wie an dunklen Herbstabenden Versteck zu spielen. Ja, das hier war beinahe aufregender, als auf den Eisschollen in der Bucht zu segeln.

      Schließlich knickte der Hengst über der Stute zusammen und schnaubte. Er schleuderte den Kopf in die Höhe, dass die Mähne nur so flog.

      Dann glitt er ermattet von der Stute herunter und zog auch den Pimmel mit. Das ging Tora zu schnell. Erst hatte sie geglaubt, dass alles schön sei. Der Hengst, der den großen braunen Kopf hochwarf, und die Mähne, die im Wind flatterte.

      Nun schien der Hengst nicht mehr viel zu taugen. Der Pimmel schlenkerte schlaff von einer Seite zur anderen und schrumpfte vor den Augen der Kinder ein. Er tropfte ein wenig.

      Rita glotzte noch eine ganze Weile, nachdem alles vorüber war, dann brach es aus ihr heraus: »Das Schwein! Hat in die Stute gepinkelt!«

      Jørgen sah sie verächtlich an, spuckte aus und schleuderte ihr ins Gesicht: »Das ist Samen, kapierste, du doofe Nuss!«, und spuckte noch einmal.

      Und dann hielt er einen kurzen Vortrag über allerlei Dinge. Und Ole mischte sich ein und sagte, dass sie alle aus der Fotze ihrer Mutter gekommen seien und dass man sich deswegen nicht zu schämen brauche.

      Sie sprachen übrigens mit keinem Erwachsenen über dieses Ereignis. Und sie fragten niemals danach, was sie so gerne wissen wollten. Aber gelegentlich saßen sie auf der Kirchhofsmauer und stritten sich, was sie denn nun wirklich damals auf der Weide aus so kurzer Entfernung gesehen hatten.

      Jørgen wollte den Pimmel des Hengstes immer noch größer machen, als er eigentlich gewesen war.

      Rita schalt ihn einen Lügner. Sie zeigte mit gespreizten Fingern in der Luft die Größe, aber Jørgen beharrte auf seinem Standpunkt. Schließlich schubste Jørgen sie von der Mauer.

      Es hätte ein Ende mit Schrecken nehmen können, wenn nicht die wortkarge und schüchterne Lina plötzlich gesagt hätte, dass sie einen richtigen Männerpimmel gesehen habe. Die Münder öffneten sich entzückt und erschrocken zugleich. »Ne-ee«, kam es ungläubig.

      Lina warf triumphierend den Kopf zurück und entfernte mit einem Hölzchen den Dreck aus den abgetretenen Profilen ihrer Stiefel. Sie spitzte den Mund, bis er aussah wie ein kleiner Schnabel, und schaute in die Luft und wollte die anderen nicht ansehen.

      »Bah,