Obwohl es noch nicht mal fünf Uhr war, hatte die Sirene viele Dorfbewohner aus den Betten gerissen. Sie bildeten eine Art Halbkreis um die Brandstelle. Manchen sah man an, dass sie ihre Bettbekleidung anbehalten hatten, provisorisch überdeckt durch Mäntel oder Pullover, was man so in der Eile gefunden hatte.
»Der äschert uns noch das ganze Dorf ein«, rief mit dramatischer Gebärde eine Nachbarin, die in ihrem Morgenmantel herausgestürmt war.
»Wer so was bloß macht? Wer so was bloß macht?«, klagte eine jüngere Frau.
»Bei dem ganzen Pack, das hier rumläuft, wundert mich gar nichts mehr«, lallte ein alter Mann mit Spazierstock, der offenbar in der Eile vergessen hatte, sein Gebiss einzusetzen.
»Ach, warte mal ab, das ist wahrscheinlich einer, an den überhaupt keiner denkt«, sagte der alte Zimmermann. »Meistens kommen doch diese Spitzbuben aus dem eigenen Dorf.«
»Gnade dem Gott, wenn ich den erwische«, knurrte ein stämmiger Bauer. »Der kann von Glück sagen, wenn die Polizei den hops nimmt.«
Auch Geister-Gertrud war unter den Schaulustigen, eine Lehrerwitwe, die sich einbildete, das zweite Gesicht zu haben, und viel wirres Zeug redete. »Das sind bloß erst die Vorboten«, sagte sie beschwörend. »Wenn der Himmel brennt, dann brennt es auch auf der Erde. Der Halleysche Komet kommt ja nun immer näher auf uns zu. Das kann doch jetzt jeder mit bloßem Auge sehen. Ich garantiere euch: Ehe der Sommer ins Land gegangen ist, ist es vorbei mit Mutter Erde.«
»Ach, hör doch auf zu spinnen, Gertrud«, fuhr der alte Schmied dazwischen. »Das Feuer hier ist bestimmt nicht vom |33|Himmel gefallen. Der Komet läuft hier wahrscheinlich irgendwo zwischen uns rum.«
Wieder stürzte ein Holzträger um. Funken tanzten über der Rauchsäule, die durch den durchgebrannten Dachstuhl stieg.
Cord fühlte sich unwohl in seinem Tanzkostüm. Es war ihm peinlich, dass Jelena neben ihm stand. Zum Glück konnte man in der Dunkelheit nicht erkennen, wie stark sie geschminkt war. Doch ihr Parfümduft behauptete sich auch noch gegen den Qualm. Sie schwieg verstört, wagte es nicht einmal, ihren Begleiter anzusprechen. Stattdessen wandte sich ein Nachbar Kröger zu.
»Na, prasselt ja wieder prächtig«, spottete der Mann. »Da wird einem doch richtig warm.« Nachdem er Cord Kröger näher in Augenschein genommen hatte, fügte er hinzu: »Bist wohl auch noch nicht im Bett gewesen, Kollege, was? Wo kommst du denn noch her so spät inner Nacht?«
Cord ließ die Frage unbeantwortet. Da stieß ihn der Nachbar kumpelhaft an, indem er einen kurzen Seitenblick auf Jelena warf. »Aber nicht schlecht die Dame, wirklich. Nicht von schlechten Eltern.«
Cord tat, als habe er nichts gehört. »Die hätten die Bullen da man rausholen sollen«, sagte er stattdessen, indem er seine Augen über den Rinderstall schweifen ließ. Tatsächlich drang Muhen und Blöken aus dem Fachwerkbau neben der brennenden Scheune. Die Tierlaute mischten sich mit dem Prasseln und Knacken des Feuers und dem Knattern des Wasserstrahls. Immer lauter tönte nun auch das Heulen eines Martinshorns. Offenbar näherte sich ein zweiter Feuerwehrzug. Auch ein Polizeiauto kam mit Sirenengeheul auf den Hof gerast.
Wieder krachten Balken zu Boden, Funken sprühten auf. Plötzlich stieg Rauch aus dem Bullenstall.
»Mensch, jetzt brennt es auch im Rinderstall«, rief Kröger aufgeregt. »Die Biester müssen raus, verdammt noch mal.«
|34|Im gleichen Atemzug rannte er auch schon auf das Stallgebäude zu, froh, der peinlichen Situation mit Jelena zu entkommen, endlich diese Tatenlosigkeit zu überwinden.
Er spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schlug, als er vor der Stalltür stand. Brennende Strohhalme tanzten wie Glühwürmchen im Dämmerlicht. Er ignorierte die Warnrufe der Feuerwehrleute, schob den Riegel zur Seite, riss das Stalltor auf. Beißender Qualm wallte ihm entgegen. Die Bullen hatten sich ängstlich an die gegenüberliegende Mauer gedrängt. Er brach sich eine Latte von einer Trennwand, lief auf die Tiere zu und schlug mit der Latte auf sie ein, um sie in Richtung Ausgang zu treiben. »Raus hier, raus, ihr Biester!«, brüllte er. »Oder wollt ihr ersticken?«
Die verängstigten Tiere setzten sich in Bewegung, trotteten durch das geöffnete Tor ins Freie. Gott sei Dank! Endlich!
Gerade aber hatte der letzte Bulle den Stall verlassen, da krachte eine schwere Ladung von brennendem Heu und Balken durch den Dachboden und versperrte den Ausgang.
Cord Kröger stockte das Blut, das Atmen fiel ihm immer schwerer. Ich sitze hier fest, schoss es ihm durch den Kopf, gefangen. Ein Wasserstrahl knatterte gegen den brennenden Heuhaufen, löschte das Feuer, verstärkte aber gleichzeitig die Rauchentwicklung. Cord wurde schwindlig. Bloß nicht schlappmachen, stieß es ihm durch den Kopf. Bloß raus hier, bloß weg, verdammt. Er spürte, wie ihm die Beine weich wurde, wie er zu taumeln begann. Der Rauch brannte ihm so in den Augen, dass er sie gleich wieder zusammenkniff. Zwischen dem Knistern und Knacken hörte er das Blöken der Kühe, das Tatütata von Martinshörnern und unverständliche Schreie. Fast war ihm, als würde er auch Musik aus dem Klanginferno heraushören, Schlagerfetzen wie »Anita, Anita« – aber das war wohl nur das Martinshorn, wenn er nicht gar schon anfing zu fantasieren.
|35|Plötzlich riss ihn ein Knall aus seinem Dämmer. Entsetzt sah er, dass sich ein Topf mit Schmieröl in Brand gesetzt hatte, er spürte, wie ihn die Hitzewelle erfasste. Eine furchtbare Angst durchfuhr ihn, Todesangst. Doch sie lähmte ihn nicht, sie gab ihm einen letzten Schub, half ihm, sich aufzubäumen gegen das drohende Unheil. Panisch blickte er sich um.
Schließlich entdeckte er das Fenster. Die Hoffnung mobilisierte seine letzten Kräfte. Er torkelte auf das Fenster zu, zertrümmerte mit einer Latte Glas und Fensterrahmen und zwängte sich hinaus.
Er war wie benommen, als er sich hinter dem Stall im taufeuchten Gras wiederfand. Keuchend sog er die frische Nachtluft ein. Ihm wurde schwarz vor Augen. Feuerwehrleute stürmten auf ihn zu, fragten nach seinem Befinden. Obwohl er beteuerte, dass alles in Ordnung sei, bugsierten sie ihn zu einem Krankenwagen. Doch abgesehen von einigen Schürfwunden hatte er die brenzlige Situation im Stall unbeschadet überstanden.
Seine Kleidung allerdings hatte stark gelitten. Hemd und Hose waren verschmiert und zerrissen. Doch das allgemeine Schulterklopfen und die anerkennenden Blicke machten den Schaden mehr als wett. Er fühlte sich wie ein Held. Die Bäuerin fiel ihm um den Hals und dankte für die mutige Hilfe.
Auch der Ortsbrandmeister lobte ihn, wenn er auch einschränkend hinzufügte, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn ein Feuerwehrmann mit Schutzkleidung den riskanten Einsatz übernommen hätte.
Cord hielt Ausschau nach Jelena. Seine Tanzpartnerin stand immer noch wie verloren in ihrem eleganten Seidenkleid inmitten der Schaulustigen.
»Was machst du für gefährliche Sachen«, begrüßte sie ihn. »Das Herz hat mir stillgestanden.«
|36|»Ach, sah schlimmer aus als es war«, wehrte er ab. »Aber jetzt bin ich wirklich bettreif, stehend k.o.« Er reichte ihr seine rußverschmierte Hand und zog sie in Richtung Auto.
Die Flammen waren inzwischen so gut wie gelöscht. Dennoch richteten die Feuerwehrleute ihren Wasserstrahl beharrlich auf die Reste der niedergebrannten Scheune, um einen möglichen Schwelbrand zu verhindern.
Auf dem Hof blökten die Bullen, die gerade mit viel Mühe in eine andere Scheune getrieben wurden. Drei waren schon ausgerissen, man wollte sie einfangen, wenn es richtig hell war.
Beim Weggehen sah Cord Kröger, wie Björn am Lattenzaun lehnte. In der einen Hand hielt er eine Zigarette, in der anderen seinen Feuerwehrhelm.
»Rauch nicht so viel, Björn«, rief er ihm zu.
Der junge Feuerwehrmann starrte ihn mit seinen müden Augen an, als sei er ganz woanders. Er benötigte einen Augenblick, bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte.
»Alles in Ordnung, Chef.«
»Dann ist ja gut. Aber sieh mal zu, dass du langsam ins Bett kommst.«
Als Kröger seinen Nissan aufschloss, sah er,