Schweinetango. Heinrich Thies. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Thies
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783866740822
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der Fliegenbeseitigung ergriff Anna Kröger wieder das Wort. In allen Einzelheiten erzählte sie von dem Brand, |42|den sie selbst beobachtet hatte. Jelena schmierte sich nach der kurzen Verstörung ein Marmeladenbrötchen und nippte an ihrem Kaffee. Schweigend fand sie sich damit ab, dass die alte Frau an ihrer Person kein Interesse zeigte. Cord war nicht entgangen, dass Jelena sich nach dem Aufstehen ein dezentes Make-up aufgelegt hatte. Er schämte sich vor ihr. Nicht nur, weil seine Mutter das Gespräch so hemmungslos an sich riss und fortfuhr, nebenbei Fliegen zu fangen, sondern auch wegen der zurückliegenden Nacht. Kaum hatte er sich ins Bett gelegt, war er auch schon eingenickt. Diese Russin musste ihn für einen Versager halten, für ein impotentes Muttersöhnchen.

      Björn kam zur Tür herein. Der hoch aufgeschossene Junge war bereits wieder in Feuerwehruniform und brachte einen intensiven Rauchgeruch mit in die Küche. Schüchtern grüßte er in Jelenas Richtung.

      »Ich geh dann noch mal wieder hin«, teilte er seinem Chef mit. »Am besten, ich nehm gleich den alten Fendt mit, dann kann ich vielleicht mit dem Frontlader bisschen beim Aufräumen helfen. Geht doch klar, Cord, oder?«

      »Ja, mach man, Björn«, sagte Cord. »Sieht auch besser aus, wenn wenigstens einer vom Hof da die Stellung hält.«

      »Ganz fleißiger Junge«, sagte Anna Kröger, als Björn wieder hinausgeschlurft war. »Der ist erst gegen sechs nach Hause gekommen, und um zehn ist er schon wieder raus aus den Federn. Ganz feiner Junge, wenn er bloß nicht immer so viel spucken würde.«

      Cord erklärte seiner Besucherin, dass der Junge ein Zimmer auf seinem Hof bezogen habe. Mit seinen Eltern sei er schon längere Zeit »über quer«. Sein Vater, ein dorfbekannter Säufer, habe ihn oft geschlagen. Nach den Sommerferien werde Björn eine landwirtschaftliche Lehre bei ihm beginnen.

      |43|»Wenn du dich angestrengt hättest, hättest du auch schon so ’n Jungen in dem Alter haben können, Cord«, scherzte seine Mutter und lächelte herausfordernd. »Aber heutzutage«, fuhr sie mit Blick auf Jelena fort, »heutzutage findet ja eher ein Strauchdieb ’ne Braut als ein rechtschaffener Bauer.«

      »Ach, Mama, jetzt fang doch nicht wieder mit der alten Leier an.«

      »Das is ja wohl nichts Unrechtes, he, he, he.« Die alte Frau kicherte in sich hinein. »So jung bin ich ja leider auch nicht mehr, dass ich noch jahrelang auf Enkelkinder warten könnte. Aber noch is nicht aller Tage Abend, he, he, he.«

      Jelena senkte verschämt den Blick. Peinliches Schweigen legte sich über die Frühstücksgesellschaft. Schließlich ergriff die Bäuerin wieder das Wort. »Noch ’n bisschen Kaffee?«

      Jelena lächelte gequält und schüttelte den Kopf. Dann bat sie Cord, sie bald nach Hause zu fahren. »Meine Mutter weiß ja gar nicht, wo ich bin.«

      Das Angebot, kurz zu Hause anzurufen, lehnte sie jedoch ab.

      Cord bemühte sich erst gar nicht, sie zum Bleiben aufzufordern. Als habe er nur auf ein Stichwort gewartet, sprang er sofort auf. »Ich muss heut Nachmittag auch noch spritzen«, murmelte er vor sich hin. Jelena unterließ es nachzufragen, was er damit meinte. Denn sie verstand nicht, dass es darum ging, das Getreide gegen Unkraut, Pilze und Schädlinge mit Pflanzenschutzmittel zu besprühen.

      Immer noch hing Rauchgeruch in der Luft. Herbert begann zu kläffen, Cords Jagdhund, ein Deutsch Drahthaar mit graubraunem Fell, war in der großen Diele eingesperrt. Er sprang an seinem Herrchen hoch und jaulte und winselte, als wollte er sich über die lange Vernachlässigung beklagen. »Is ja gut, alter Junge«, redete Cord auf ihn ein, während er ihm das struppige Fell massierte. Dann schoss Herbert auch auf Jelena zu, sprang ebenfalls an ihr hoch und versuchte sie zu beschnüffeln. Jelena wich ängstlich zurück. »Platz«, kommandierte |44|Cord Kröger. Sofort legte sich Herbert seinem Herrn ergeben zu Füßen.

      Auf dem Weg zum Auto zeigte Kröger seiner Besucherin kurz den Hof. Unter dem Scheunenvordach stand sein Prunkstück: der neue Trecker – ein imposantes Gefährt mit grüngrauer Metalliclackierung, Hightechkabine und wuchtigen Reifen.

      »Das is er.« Kröger mühte sich redlich, seinen Stolz im Zaum zu halten, denn das Gerede der vergangenen Nacht war ihm mittlerweile peinlich. Jelena aber spielte nun mit.

      »Na, das ist wirklich ein schöner Traktor, da würde ich auch gern einmal mitfahren und die weite Aussicht genießen«, sagte sie.

      »Warum nicht? Musik gibt’s da oben auch.«

      Eingedenk seiner nächtlichen Lobpreisung sah er keine Veranlassung mehr, technische Einzelheiten vorzuführen.

      Bevor er seine Besucherin zum Auto führte, zeigte er ihr aber noch seine Schweineställe – fensterlose Flachbauten mit grün lackiertem Stahlblech verkleidet.

      »Alles vollautomatisch. Das ganze Füttern steuert der Computer. Ich muss nur alle drei Tage mit dem Frontlader bisschen Mais und so nachfüllen, und dann holt sich der Computer, was er für die Futtermischung braucht: Schrot, Kraftfutter, Wasser und der ganze Mist wird automatisch zusammengerührt.«

      Jelena staunte. »Aber wie kommt das denn zu den Tieren hinein?«

      »Das wird durch Rohre gepumpt und landet am Ende in den Buchten. Ich kann ganz genau eingeben, wie viele Schweine versorgt werden müssen, und dann verteilt der Computer das Zeug. Genau nach Diätplan – dreimal am Tag ist Raubtierfütterung. Du kannst es dir ja mal angucken …«

      Mit diesen Worten lotste er seine Besucherin auch schon zum ersten Stall. In den Buchten war es stockdunkel. Das |45|änderte sich erst, als er den Lichtschalter betätigte. Geblendet von dem ockerfarbenen Licht grunzten die Schweine in ihren engen Buchten auf und starrten die Besucher an.

      »Ist es immer so finster hier?«, fragte Jelena beklommen.

      »Ja, meistens. Is doch klar: Je dunkler, desto weniger bewegen sich die Viecher. Und je weniger die sich bewegen, desto schneller werden sie fett, das ist wie bei den Menschen. Paar Stunden am Tag schaltet sich das Licht natürlich an, denn zum Fressen brauchen die Tiere natürlich Licht. Sonst gehen die nicht ran an das Futter, und wenn sie nicht fressen, dann werden sie nicht fett. Nach spätestens sechs Monaten müssen die schlachtreif sein, sonst zahl ich drauf.«

      »Die armen Schweine.«

      »Na ja, klingt vielleicht brutal, aber ich muss natürlich auch leben. Schweinehaltung ist heute ein knapp kalkuliertes Geschäft. Da bewegt man sich immer haarscharf über der Verlustzone und manchmal auch darunter. Du weißt doch selbst, wie wenig ein Kilo Koteletts heute kostet und dass die Supermärkte sich mit ihren Scheiß-Sonderangeboten gegenseitig unterbieten. Ich sag immer: Wer nicht mehr als fünf Euro für ein Kilo Schnitzel bezahlen will, der hat auch kein Recht, sich als Tierschützer aufzuspielen.«

      »Und wir setzen uns eine Maske auf und tanzen Schweinetango«, sagte Jelena. »Nach Tanzen ist deinen Schweinchen bestimmt nicht zumute.«

      »Dafür müssen die Schweinchen auch nicht so schwitzen.«

      Er führte Jelena in weitere Ställe. Einen früheren Rinderstall hatte er für Jungschweine zur sogenannten Vormast umgebaut. Dies war die erste Station, in die die Ferkel kamen, die Cord Kröger im Alter von acht Wochen von den Züchtern aufkaufte. Hier drang durch die geöffneten Tore immerhin noch Tageslicht zu den Tieren vor, und anstelle der sonst üblichen Spaltenböden war der Stall mit Stroh ausgestreut.

      |46|»Dass sie erst mal ’n bisschen zu Kräften kommen.«

      Ein anderer Stall war nahezu leer. Nur wenige Schweine bewegten sich dickbäuchig und schwerfällig durch einen Gang oder standen teilnahmslos in ihren Buchten. »Die andern sind vorgestern weggegangen. Die landen morgen schon bei dir inner Fleischtheke«, erklärte er grinsend. »Diese hier müssen noch ’n paar Tage, aber spätestens Ende der Woche gehen die auch weg.«

      Der Himmel hatte sich bezogen, als die beiden wieder ins Freie traten. Doch es war immer noch mild. Aus der Marsch rief ein Kuckuck, so durchdringend, dass es wie Bellen klang. Jelena sog die frische Frühlingsluft tief ein. »Da kann man doch froh sein, dass man als Mensch geboren ist«, sagte sie.

      »Da is was