Beleidigt sog Walter mit zusammengekniffenen Augen an seiner Kippe, ließ den Rauch durch die Lungenflügel ziehen und in dünnen Schwaden durch die Nase entweichen.
Ein Handy klingelte. Mechanisch griffen die Landwirte in ihre Jackentaschen, um zu prüfen, ob der Anruf für sie war. Er war für Olaf.
»Hallo Mama. Is’n los?«
Walter zog die Augenbrauen hoch und blickte kopfschüttelnd zu Cord herüber.
»Was? Die Milchkühlung dröhnt?«
(…)
»Das ist normal, Mama, wirklich. Deswegen brauchst du doch hier nich …«
(…)
»Nein, Mama, ich hab noch nicht zu viel getrunken, ich …«
Verschämt wendete sich der dicke Olaf von seinen Berufskollegen ab, die das Gespräch aber trotz der lauten Musik weiter mit anhören konnten.
»Nein, verdammt. Ich pass schon auf, ich lass mir kein Kind andrehen.«
»Je-jetzt geht’s wieder zur Sache«, kommentierte Walter und fiel in den Refrain des gerade laufenden Schlagers ein: »Anita, Anita.«
»Was ist los? Was? Also, ich finde jetzt reicht’s. Also, Mama, Mama …«
(…)
Olaf schrie immer lauter gegen die Musik und seine Mutter an. Doch vergebens. Schließlich legte er das Handy entnervt auf den Tisch. Als es mit dem Geschnatter am anderen Ende der Leitung vorbei war, holte er sich das Telefon zurück.
»Also tschüss denn, bis morgen früh, tschü-hüss.«
|9|Mit dem Ausdruck der Erschöpfung stellte er das Handy ab und wandte sich wieder den Kumpels zu.
»O Mann ey, die Frau nervt.«
»D-das würd ich n-nicht so sehen«, entgegnete Walter. »D-deine M-mutter m-macht sich nur Sorgen um ihren Olaf.«
»Verarschen kann ich mich auch allein«, wehrte Olaf ab. Und dann lenkte er den Blick zurück auf die Tanzfläche.
»Guckt euch mal die beiden an. Die treiben es im Stehen.«
In der Tat hatte sich ein Paar derart ineinander verkeilt, dass von Tanzen nicht mehr die Rede sein konnte.
»Die müssen ja mächtig D-druck d-drauf haben, boh ey«, stotterte Walter Kneifzange und entlockte den Berufskollegen ein verbindendes glucksendes Lachen. Es schloss auch den »treuen Heinrich« ein, einen 55-jährigen Landwirt im grauen Anzug, der es im Allgemeinen vorzog zu schweigen und abzuwarten, was ihm die Damenwahl bescherte. Doch trotz des Frauenüberschusses ging er immer öfter leer aus. Sein Ruf als Schlaftablette hatte sich allmählich verfestigt.
»Wenn du mich noch liebst, hüll’ dich nicht in Schweigen, ich lieb’ dich immer noch, willst du mir nicht verzeih’n« Die Tanzfläche war plötzlich merkwürdig leer. Nur zwei Paare wirbelten durch den Saal. Eine dicke Frau in weitem Kleid tanzte allein, drehte sich um sich selbst.
Eine Parfümwolke streifte Cord Kröger. Der Duft von Vanille und Sandelholz ging von einer Frau aus, die in ihrem hochgeschlossenen dunkelgrünen Seidenkleid merkwürdig bieder wirkte, andererseits aber stark geschminkt war und einen auffallend prallen Busen spazieren führte. Ihr schulterlanges Haar war weißblond – wahrscheinlich gefärbt, ebenso unecht wie das Rouge auf ihren Wangen. Trotzdem: Kröger war wie gebannt. Er behielt die Dame im Blick.
»Die ha-hat es dir wohl angetan, Chef?«, sagte Walter, dem nicht entgangen war, welchen Eindruck die Blonde auf Cord |10|gemacht hatte. »Da-das ist die schöne Russin, ni-nimm dich ja in Acht vor der.«
»Ach, lass mich doch in Ruhe. Du kennst sie ja gar nicht.«
»Und ob ich die ke-kenne, Chef. Das ist Je-Je-lena. Wir haben schon so ma-manches Tä-tänzchen zusammen gemacht. Scharf wie Nachbars Fiffi.«
»Und warum hat sie dich dann abblitzen lassen?«
»Wer erzählt denn so-so-so ’n Scheiß?« Walter mimte Entrüstung. »Ich hab die No-notbremse gezogen, sonst hätt ich gleich die g-ganze Sippschaft auf’m Hof gehabt, mit diesen Ru-russlanddeutschen is nich zu spaßen.«
»Quatschkopp.«
Die drei Bauern setzten ihre Scheingefechte noch eine Weile fort. Danach gingen sie dazu über, die hohe Politik und die niedrigen Schweinepreise zu debattieren. Um sich gegen die Stimmungsmusik zu behaupten, schrien sie sich an. Schließlich bereitete die Damenwahl dem Palaver ein Ende. Cord Kröger war der Erste, der aufgefordert wurde. Die Briefträgerin aus seinem Nachbardorf war es, die ihn per Augenaufschlag zum Tanz bat – eine Frau in seinen Jahren, die immer wieder mal durchblicken ließ, dass ihr keine Arbeit zu schwer sei. Doch bei aller Sympathie war »Jutta von der Post« einfach nicht der Typ Frau, der Cords Fantasie beflügelte.
Während er mit der Briefträgerin tanzte, war er in Gedanken bei einer anderen, bei Jelena. Dummerweise hatte die sich bereits einen Tanzpartner geangelt.
Schon kurze Zeit später, Mitternacht war gerade vorüber, sollte es aber doch noch zu einer unverhofften Begegnung kommen. Es war beim »Schweinetango«, dem Höhepunkt im Single-Programm von Käpt’n Kuss. Schon die Ankündigung wurde mit dem üblichen Gejohle aufgenommen. Alles erhob sich von den Plätzen, scharte sich um die Tanzfläche. Käpt’n |11|Kuss stieg für das Vorspiel in Gummistiefel und verwandelte sich in einen Bauern mit speckigem Lederkäppi. Seine Lebensgefährtin mimte die vornehme Dame:
»Was für ein widerlicher Gestank«, mokierte sich die Lady. »Das riecht ja hier wie im Schweinestall. Ekelhaft.«
Daraufhin der Bauer theatralisch derb: »Verehrte Dame, Sie haben vollkommen recht. Das riecht hier nicht nur wie im Schweinestall, dies hier ist ein Schweinestall, eine einzige Sauerei, wenn Sie verstehen, was ich meine, hö, hö, hö.«
Obwohl der Sketch nicht neu war, sprang das Lachen gleich über. Die Männer schüttelten sich, die Frauen kicherten und kreischten.
Die vornehme Dame geziert: »Das ist ja schröcklich, wo bin ich hier nur hineingeraten.«
Der Bauer: »Ach, ich glaube, Sie passen hier ganz gut rein, Verehrteste.«
Die vornehme Dame entrüstet: »Wie soll ich das verstehen!?«
Der Bauer: »Na, das werden Sie gleich sehen. In unserm Schweinestall geht nämlich die Post ab. Hier tanzt der Eber mit der Sau.« Und zum Publikum gewandt stellte Käpt’n Kuss die Frage, die alle schon erwarteten: »Wollen wir es der Gnädigsten mal zeigen?«
Sofort erhob sich zustimmendes Gejohle, versetzt mit Zurufen wie »Ja, zeig’s ihr« oder »Besorg es der Lady«. Und während Grunzen und Quieken vom Band im Saal widerhallte, trippelte ein Dutzend Frauen mit Schweinemasken auf die Tanzfläche – wieder begrüßt von großem Gejohle. Wie gewohnt, hatten sich die »Freiwilligen« schon Stunden vorher für den Spaß gemeldet.
Der Bauer: »Herzlich willkommen, meine Lieben. Hallo Berta, hallo Paula, hallo Knuffi. Lasst sehen, wie viel Speck ihr in der letzten Woche angesetzt habt, und vor allem: Sucht euch einen starken Eberhard aus, hahaha.«
|12|Applaus und »Yeaah«-Rufe.
»Seid furchtbar und mehret euch.«
Im nächsten Moment stürzten sich die Schweinefrauen mit frivolem Grunzen auch schon auf die bereitstehenden Männer und zerrten sie auf die Tanzfläche. Auch Cord ereilte das Schicksal. Fast wäre er lang hingeschlagen, so eilig hatte es seine Schweinedame. Der legendäre Schweinetango nahm seinen Lauf:
»Der Eber sprach zu seiner Frau, komm her, du süße kleine Sau, wir machen heut ’ne Schweinerei und spielen wieder Nackedei. Ja Nackedei, Nackedei …«
Das war zwar streng genommen kein Tango, aber der Spaß war groß. Die Umstehenden grölten den Text mit und zeigten feixend auf die Tänzer. Da die Masken die Sicht behinderten, geriet manches Paar ins