Vermutlich war er ohnmächtig von den giftigen Gasen geworden, als er versucht hatte, ein Absaugrohr für die Güllepumpe in Stellung zu bringen. Wahrscheinlich hatte er kaum etwas gemerkt von seinem Tod, war sanft betäubt worden wie unter Narkose.
Für die Hinterbliebenen aber war es schlimm. Nicht nur, dass von einem Tag auf den anderen der Vater, Ehemann und Hofbetreiber nicht mehr da war. Zu Trauer, Schmerz und Zukunftssorgen kam auch noch die Peinlichkeit der unappetitlichen Todesursache. Vor allem Cord hatte unter Hohn und Spott zu leiden. Er ging ja noch zur Schule, besuchte die zwölfte Klasse des Gymnasiums.
»Ach du Scheiße«, hatte einer seiner Klassenkameraden gesagt, als er von dem Vorfall in der Güllegrube berichtet hatte. Und die anderen hatten sich prustend abgewendet und gelacht, wie blöde gelacht. »Tagelang hat es in der Kapelle noch gemüffelt«, wurde erzählt. Dabei hatte die Frau des |28|Bestattungsunternehmers den Leichnam mit Duftstoff eingerieben, um den Jauchegestank zu überdecken.
Der Tod war auf diese Weise zum Witz geworden, Kröger senior hatte nicht nur sein Leben, sondern auch seine Würde eingebüßt. Cord schämte sich für seinen Vater. Es war ihm, als würde ihm dieser elende Güllegeruch bis zum Ende seiner Tage anhaften und ihn in der Wahrnehmung aller anderen zu einem Ekelpaket machen, über den man die Nase rümpfte – einem Stinkstiefel in vollem Wortsinn.
Eine praktische Folge dieses Todesfalls war, dass Cord nun so bald wie möglich den Hof übernehmen musste. Denn der Betriebshelfer, den die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft schickte, war keine Dauerlösung. Gleich nach dem Abitur sollte Cord in die Landwirtschaft einsteigen. Das hatte er seiner Mutter versprochen, hoch und heilig. Ganz durcheinander und verzweifelt war sie in der ersten Zeit gewesen.
Eigentlich hatte er andere Pläne gehabt, eigentlich wollte er nach Abitur und Bundeswehr Landwirtschaft studieren. Doch nun hatte er auf einmal alle Entfaltungsmöglichkeiten verloren. Die praktischen Herausforderungen waren stärker als sein Freiheitsdrang. Nach dem Abitur begann er eine landwirtschaftliche Lehre, und dank Sondergenehmigung musste er nur ein Jahr auf einem Lehrhof verbringen. In den restlichen zwei Jahren seiner Ausbildung war er schon Herr auf seinem eigenen Betrieb.
Gebäude und Geräte waren in miserablem Zustand. Sein Vater hatte nicht viel getan, um Anschluss an die moderne Landwirtschaft zu halten. Die beiden Trecker waren schrottreif, die Ställe feucht und einsturzgefährdet; vor der Haustür hatte sich ein Misthaufen aufgetürmt. Für die notwendigen Renovierungen und Neuanschaffungen musste er hohe Kredite aufnehmen. Um über die Runden zu kommen, pachtete er immer mehr Land dazu. Dadurch kam aber auch immer mehr Arbeit auf ihn zu. An die Anstellung einer Hilfskraft war |29|natürlich nicht zu denken. Nur in der Erntezeit ließ er sich tageweise helfen.
Seine Mutter war seine entscheidende Stütze. Ja, mehr als das. Sie hatte bereits zu Lebzeiten ihres Mannes den »Schreibkram«, wie sie es nannte, übernommen und die Übersicht über Ein- und Ausgaben gehabt. Daran hielt sie fest. Noch zwanzig Jahre blieb der Hof auf ihren Namen eingetragen. Und wenn Cord größere Anschaffungen oder Veränderungen plante, dann sprach Anna Kröger selbstverständlich in ihrem resoluten Befehlston mehr als ein Wörtchen mit.
Anfangs hatte sie zum Beispiel heftig dagegen angekämpft, als Cord die Kühe abschaffen wollte.
»Du bist wohl nicht mehr bei Trost«, hatte sie geschimpft. »Wenn wir die Kühe nicht gehabt hätten, dann wären wir doch längst in Schulden versunken.«
»Dann kann ich ja ’ne Kuh heiraten«, hatte er ärgerlich erwidert. Ein Argument, dem sich auch seine Mutter nicht verschließen konnte. Denn an der Verheiratung ihres Sohnes war auch sie interessiert. Wo sollten sonst die Enkelkinder herkommen? Der Hof sollte ja schließlich nicht an die Verwandtschaft fallen.
Nein, auch für seine Mutter war es ein Herzenswunsch, Großmutter zu werden. So ließ sie sich denn am Ende davon überzeugen, dass die Kühe eine unüberwindliche Hürde auf dem Weg zu den erwünschten Nachkommen darstellten und daher abgeschafft werden mussten. Mit Blick auf die ersehnten Enkelkinder unterstützte sie auch die Brautsuche ihres Sohnes – und zwar manchmal mehr als Cord lieb war.
Er fuhr die Abkürzung quer durch die Marschwiesen. Während er sein Auto auf die schmale Allerbrücke zwischen Bierde und Eilte lenkte, musste er daran denken, wie seine Mutter beim letzten Mal auf seine Nachtbekanntschaft eingeredet hatte. Sie hatte es übernommen, seinen Gast zu verwöhnen |30|und ein üppiges Frühstück mit Rührei und aufgebackenen Brötchen bereitet. Doch der Preis dafür war hoch: In einem fort hatte sie der Frau erzählt, wie schwer die Zeiten für die Landwirtschaft waren und was ihr Sohn (mit ihrer bescheidenen Hilfe) alles getan habe, um sich für die Zukunft zu rüsten. Hoffentlich, dachte Cord Kröger, hält sie diesmal die Klappe.
Seit dem Stopp auf dem Feldweg hatte er mit Jelena kein einziges Wort mehr gewechselt. Als er den Ort Ahlden passierte, wies er seine Begleiterin darauf hin, dass im Ahldener Schloss einst vor dreihundert Jahren eine hochwohlgeborene Prinzessin gefangen gehalten worden war, die ihren fürstlichen Gemahl mit einem Grafen betrogen hatte. »Interessant«, kommentierte Jelena und strich ihm übers Knie. Was sie sich wohl von mir erwartet, fragte sich Cord.
Büchten, Grethem, Gilten – sein Heimatdorf Bothmer rückte näher. Die Windmühle an der Leine zeichnete sich vor dem sternenklaren Himmel ab. Da entdeckte er plötzlich den Feuerschein am Himmel.
»Verdammte Scheiße, das darf doch nicht wahr sein«, stieß er hervor.
»Was ist denn?«
»Na, siehst du das nicht? Es brennt, verdammt! Bei uns im Dorf – schon wieder. Hoffentlich ist es nicht bei uns auf’m Hof.«
Je näher sie kamen, desto heller strahlte der Lichtschein. Schwarze Rauchwolken stiegen auf.
»So’n Mist«, fluchte Kröger. »Der Feuerteufel hat scheinbar wieder zugeschlagen. Vor einer Woche hat er erst bei unsern Nachbarn ’ne Scheune abgefackelt.«
Jelena sah ihn verwirrt an. »Furchtbar, da kriegt man ja Angst.«
|31|Cord schnaubte vor Aufregung, während er den Blick von der Straße auf den noch weit entfernten Feuerschein richtete.
»Das brennt in der Nähe von dem alten Schrottplatz, wahrscheinlich bei Baumanns. Da muss ich jetzt natürlich mal kurz hin. Wer weiß, was da los ist.«
Jelena seufzte. Die Liebesnacht hatte sich förmlich in Rauch aufgelöst.
Es knackte, knallte und prasselte, als er die Autotür öffnete. Eine Scheune stand in Flammen. Gewaltige Hitze schlug ihnen entgegen. Die Strohballen loderten auf wie Zeitungspapier. Überall auf dem Hof rannten Feuerwehrleute in rotweißen Westen mit Leuchtstreifen herum. Sie rollten Schläuche aus, schraubten Verbindungsstücke zusammen, schleppten Leitern an, zogen Absperrbänder. Unter den Feuerwehrleuten entdeckte Cord Kröger auch Björn, den Jungen, der ihm seit einigen Monaten auf dem Hof half. Der Jugendfeuerwehrmann war einer der Eifrigsten. Cord schämte sich, dass er tatenlos daneben stand, während der Junge mit seinen siebzehn Jahren bei den Löscharbeiten seinen Mann stand.
Plötzlich übertönte ein mächtiges Rumsen die Brandgeräusche. Jelena erschrak, blickte erst ängstlich in Cords Richtung und dann auf die brennende Scheune. Funken stoben auf, es krachte explosionsartig. Der Dachstuhl war zusammengesackt. Eine neue Hitzewelle stieg auf. Die Bauersfrau schlug entsetzt die Hände über die Augen. »Herrgott, die schöne Scheune«, wimmerte Erika Baumann. »Das Feuer frisst sich ja immer weiter. Warum macht denn die Feuerwehr nichts?«
»Ach was« erwiderte ihr Mann. »Lass bloß brennen den Mist. Lass bloß abfackeln. Was sollen wir mit den verkokelten Balken anfangen? Hauptsache, dass der Stall kein Feuer fängt. Da sind noch die Bullen drin, die kann ich doch nicht einfach rauslassen, die Viecher.«
|32|Die