Schöner fremder Himmel. Marco Frohberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marco Frohberger
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783937881935
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Gastgeber: Sehe, ihr klebt wie angegossen am Glas. Schaut tief hinein – wartet doch quantentheoretisch jetzt auf den Spin! Oder möchtet ihr kurz einmal denken, im Ernst jetzt, die Karre stehen lassen? Aber das werdet ihr nicht tun – der Quantentheorie nach vielleicht aber doch?

      2. PLATZ

      Weiße Welt Christiane Schwarze

      Akwasi tunkt mit der rechten Hand ein Fufu-Bällchen in die scharfe Pfeffersoße. Schluckt dann die klebrige Masse aus Maniok und grüner Kochbanane, ohne zu kauen, hinunter.

      Er beobachtet das einlaufende Frachtschiff.

      Als schließlich eine Containerbox nach der anderen am Haken eines Kranes in die Höhe gehievt wird, fühlt er sich seinem Traum ganz nah.

      Hier am Rande des Meeres kann Akwasi tief atmen. Kein beißender Rauch in seinen Lungen.

      Kein Gestank nach verschmortem Kunststoff. Keine heißen Flammen, die gemeinsam mit der sengenden Sonne seine Haut glühen lassen.

      Selbst seine Füße brauchen nicht aufzupassen, denn hier knirschen unter den Gummilatschen keine scharfen Glassplitter.

      Der Bauch des Schiffes ist gefüllt mit dem, was die Ferne hinter dem Meer ausgespuckt hat. Kaputte Computer, Waschmaschinen, Kühlschränke.

      Akwasi stellt sich diese ferne Welt weiß vor und silbrig-glänzend.

      Die Hafenarbeiter sagen: „Dorthin ist es weit.“

      Akwasi schreckt das nicht. Als er mit seinem großen Bruder Yawo den Berg Atiwiredu überquert hat und zu Fuß bis in die Hauptstadt Accra gelaufen ist, dauerte der Weg auch viele Tage.

      Er riecht gebratenen Fisch. Kauft aber keinen. Fufu-Bällchen sind billiger und müssen reichen.

      Denn seit er den Stern gefunden hat, spart er jeden Pesewa. Immer wenn er hundert beisammen hat, lässt er sie in einen Cedi wechseln. Den Geldschein steckt er dann zu den anderen in einen Beutel, den er immer bei sich trägt.

      Yawo hat laut gelacht, als er ihm den Stern zeigte, und auf das Wrack eines Autos gedeutet.

      Doch er lässt sich nicht abbringen. Sterne glänzen vom Himmel. Also muss da, woher der Stern kommt, der Himmel sein.

      Akwasi hat eines Abends beobachtet, wie junge Männer sich in einem Container versteckt haben und dieser kurz darauf von dem Kran auf ein Schiff gehoben worden ist.

      Yawo hat gesagt: „Viele gehen hier weg, doch nur wenige kommen dort an.“

      Das silbrige Weiß stapelt sich inzwischen auf offenen Lastwagen. Akwasi kennt ihr Ziel. Der Himmel hinter dem Meer wirft seinen Müll auf die große Halde am Stadtrand von Accra.

      Seine Hände kennen jeden Griff: Mit einem Stein das Glas der Bildschirme zerschlagen und die Rechner zertrümmern. Festplatten und Kabel in ein Feuer werfen. Warten bis sich dicke schwarzgelbliche Schwaden mit dem Rauch der vielen anderen Feuer auf der Deponie vereinen. Wenn der Kunststoff verbrannt ist, mit Wasser löschen. Aus den schwarz verkrusteten Resten Kupfer und Aluminiumteile herausholen. Diese seinem älteren Bruder bringen. Yawo gibt ihm dann ein paar Pesewas und verkauft das Metall einem Händler.

      Hundert Pesewas sind ein Cedi. Das weiß Akwasi. Aber nicht wie viel Cedi er dem Mann geben muss, damit er auch ihn in einem Container versteckt.

      Doch er hat sich dessen Gesicht an dem Abend genau eingeprägt. Und erkennt ihn deshalb sofort wieder. Neben dem Fischverkäufer redet er mit jungen Männern, die ihm Geldscheine geben.

      Akwasi stellt sich vor ihn und zeigt ihm seinen Beutel. Der Mann greift schnell zu und sagt: „Komm morgen Abend.“

      Warum nur grinst er schief bei diesen Worten? Warum tuscheln einige der jungen Männer und andere blicken ihn mitleidig an?

      Akwasis Hand umklammert den Stern.

      3. PLATZ

      Fishing Salmons and Stuff Jenifer Becker

      Wir stranden in einer Kleinstadt und halten beim Supermarkt. Der Parkplatz ist fast leer, nur ein paar Kleinfamilien rollen ihre Einkaufswagen über die weißen Parkstreifen und weichen routiniert den eingezäunten Grünanlagen aus, um ihre Beute zurück zu den Geländewagen zu schaffen. Der Mediziner sieht etwas mitgenommen aus. Er sagt nichts und steigt aus dem Auto, ich bleibe noch kurz sitzen und beobachte, wie sich einzelne Rentner aus einem rotlackierten Reisebus hieven, der gerade am Ende des Platzes geparkt hat. Der Mediziner dreht sich um und hebt kaum merklich sein Kinn. Ich denke, lass uns ein verdammtes Hotelzimmer mieten und in der Sauna vögeln, so wie im Hundertwasserhotel in Magdeburg, sage aber nichts, weil wir diesen Wildcamping-Scheiß wirklich durchziehen wollen und außerdem ist es unser (vorerst) letzter Urlaub als richtiges Pärchen. Nächsten Monat fliegen wir mit neuen Partnern in südpazifische Urlaubs- oder Outdoorparadiese, darum sollten wir unser Vorhaben auch so umsetzen, wie wir es geplant hatten.

      Ich steige aus dem Auto und knalle die Tür zu. Der Mediziner wartet auf mich, sodass wir uns im Gleichschritt in Richtung Schiebetüren und Wurstwarentafeln bewegen.

      Der Mediziner wohnt sechs Blocks von meiner Wohnung entfernt. Ich habe ihn vor zwei Jahren in einem heruntergekommenen Club getroffen, mit blitzenden Augen und nach weiblichen Körpern lechzend. Nach den ersten drei Nächten änderte sich dieses brutale Flimmern, es schien weicher und sanfter, funkelnd, leuchtend, und ich wusste, der Mediziner war verliebt, und darum war ich es auch.

      Er zeigte mir seine Geburtsstadt und seine Familie, kochte für mich, streichelte meinen Rücken und weinte an meiner Brust, bis wir genug von der absoluten Zweisamkeit hatten und jeden Abend Mangosorbet auf der belebtesten Straße der Stadt löffelten, um uns über die Passanten zu beschweren, sie wegwünschten oder ihre Kleidung und Stufenschnitte ändern wollten, damit die Welt ein besserer Ort wäre, zumindest ein für uns besserer Ort. Wir waren wirklich verliebt.

      Bis wir nicht mehr verliebt waren. Er sagt, das ist eben so. Ich sage, lass uns trotzdem fliegen. Warum auch nicht, ein bisschen länger Pärchen spielen tut ja auch nicht weh.

      Für die Tickets hat der Mediziner vierzig Euro gezahlt, freie Platzwahl, kein Gepäck. Ich bin mir nicht sicher, welche CO2-Bilanz Ryanair hat, aber dann hätten wir es einfach lassen sollen, wenn uns die CO2-Bilanz wirklich interessiert hätte.

      Jetzt stehen wir im norwegischen Supermarkt und überlegen, ob wir uns einen Radiotransmitter kaufen sollen, um unsere iPods anzuschließen, weil wir vergessen haben, CDs zu brennen, stattdessen kaufen wir Café do Brasil für vier Euro (400 ml gezuckerter Eiskaffee aus dem Tetrapack) und eine Flasche Extra-Cola.

      Die Kleinstadt ist so ruhig wie die Postkarten, die im Tourishop zusammen mit den Fellmützen an die deutschen Rentner verkauft werden, direkt neben dem Toilettenhäuschen. Als hätte mir jemand eine Plastiktüte über den Kopf gezogen, dabei fühlt sich die Stadt im Rücken auch nicht besser an, zumindest gab es dort Menschen auf zwei Beinen, mit zwei Händen, einem Gesicht, Frisuren und Urlaubswünschen, und jetzt sitze ich wieder alleine mit dem Mediziner im Auto, wo wir uns doch immer das Alleinsein gewünscht haben, zwischen der Kinowerbung und dem Thairestaurant.

      Wir fahren durch enggesäumte Wälder und sprechen über die Ölkrise, bis wir auf einen Straßenausläufer treffen, an dem wir parken können.

      Vielleicht hatten wir das Mai-Wetter etwas unterschätzt – es ist saukalt, aber ich lasse mir nichts anmerken, wahrscheinlich, um dem Mediziner noch irgendetwas zu beweisen, auch wenn ich ihn genauso wenig behalten möchte wie er mich. Ich ziehe alle Kleidungsstücke an, die ich mitgebracht habe. Der Mediziner schlüpft in seinen dunkelblauen Wollpullover, den er sich zu Weihnachten selbst geschenkt hat.

      Um einen passenden Platz für unser Nachtlager zu finden, stapfen wir eine Stunde lang durch das Unterholz, die Äste knacken, der Wald scheint ruhig. Wir bewegen uns wie Wesen mit gepolsterten Rucksäcken, die sich vorsichtig aus der Zivilisation