Schöner fremder Himmel. Marco Frohberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marco Frohberger
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783937881935
Скачать книгу
gewinnt oder verliert. Was soll man da einer buckligen Frau Rede entnehmen? Das Schnüffeln entmündigt das Aufrechtgehen? Oder entmündigt das aufrechte Gehen vielleicht das Schnüffeln?

      Darauf einer der Gäste: Habt ihr mal ein aufrechtes Bier da?

      Der Physiker errechnete die Unschärfe seiner Gedanken und wies mit Begeisterung auf unser Misstrauen hin. Gab zu bedenken, dass das Betrachten die Dinge verforme, verlangte aber im gleichen Atemzug von uns die Bereitschaft, uns auf unerklärbare Erklärungen einzulassen, und sagte: Hört nicht auf Bucklige, schaut nicht in finstere Winkel, schaut in die Quanten! Lasst euch von denen ins Jenseits … befördern wie einen Code!

      Wir: …? (Verstanden wir Kot?)

      Der Physiker: Nehmt die Hand von der Nase! Auch Kot ist im Code. Stellt euch nur einmal, fuhr er geduldig fort, ein unfassbar großes Feld vor, auf dem vor Milliarden Jahren alles chaotisch angelegt war und woraus – hätte nicht Eva in ihren Apfel gebissen – ein paradiesisches Paradies hätte werden können.

      Ein junger Gast: Wenn nicht der Schlaf in dunkle Ecken … wenn nicht das Bier … vermutlich in Kot, wenn nicht der Kot mutmaßlich in Energie …

      Die Oma (seufzte): Dass doch das Paradies schöner wäre!

      Der Physiker (als wir ihn baten, endlich die Gläser zu füllen): Da also dieses Feld aus zig Trilliarden kleinen – er zog einen Bleistift vom Ohr, zeichnete lauter Kügelchen aufs Tischtuch, gab jedem mehr oder weniger schwarze Kreuze (sagte, sie gradieren physikalische Eigenschaften) und bestand darauf, dass diese auf das Tuch gezeichneten Kügelchen nun ebenfalls Quanten seien. Nannte die chaotischsten unter ihnen „Materie“, andere der Einfachheit halber „Atome“, nicht, weil sie etwa das Gleiche wären, sondern damit wir uns darunter etwas vorstellen könnten. Behauptete, dass auch wir jetzt solche Kügelchen seien. Großmütterchen, fuhr er dann fort, sah erst die Oma, dann der Reihe nach uns an: Ihr oder diese herumhüpfenden Gören könnt gar nicht viel tun, denn Zeugung und Geschlechtsakt gehen ganz ohne euch vor sich, eben quantenphysikalisch.

      Wir: schütteten Wein nach und fühlten uns entspannt und erleichtert. Durften jetzt unseren Planeten neutral betrachten. Uns ganz ohne Geistesgestörtheit in vino veritas fallen lassen; denn weder würde (während eines Koitus) ein uns infizierender Code in uns gelangen, noch beim Baby wieder heraus.

      Der Gastgeber: Bedacht, Bedacht! Bei der Geburt infizierten euch zwar nur eure Eltern, aber die erkrankten doch wohl schon an ihren. Und die? An Urahnen oder früheren Sündern! Erkranken, sich anstecken, kann zigfaches Pech über euch …

      Der junge Gast von vorhin: Wäre Morphium nicht …?

      Der Gastgeber klatschte in die Hände und rief: Prost dem griechischen Schlafgott! Aber sind da nicht noch Mohammed, Jesus und Buddha? Er nannte noch David, den Ehebrecher, Goliath, den Widersacher, und sagte: Diese Gangster schwirren nun alle durch eueren Körper. Selbst von Merkur, dem Gott des Warenaustausches, seid ihr nicht frei. Quanten, gelobte er, sind alles! Quanten sind Energie in den Gärten der Liebe, des Wachsens und des teuflischen Fehltritts. Quanten sind und waren Chaos, Erleuchtung, Hass, Tod, Sünde, Laster, Hölle und Gier. Gier über den ganzen Planeten!

      Die Frau des Physikers: Verlangen wir den Planeten?

      Der Physiker, wie von der Wespe gestochen: Verlangen? Und dann?

      Dann begann er zu schreien: Es gibt in diesem Mistbeet des Immersoweiter Momente, die wie zweifache Nacht mit betäubendem Lärm einschlagen. (…!) Die eine solche Verwüstung anrichten, dass sie die unsterblich geglaubten Reste Goliaths mit einem Schlage vernichten! Die den Plan meiner Kügelchen (er zeterte jetzt zum Tischtuch hin) ins Nichts …

      Die Oma: Und ohne dass ihr es bemerkt, gerät eure Wahrheit ins Aus! Und aus dem Opa wird eine Oma geboren!

      Ein Gast: Wahrscheinlich ein Mamakindchen. Käme bloß mal ein Wüstling wie David raus, oder ein waschechter Bastard!

      Ich: Und wir Quantenleute können bloß sitzen und warten?

      Der Physiker: Wie gern würde doch einer seine Molekülchen mal einer Hexe verpassen. Er deutete jedoch mit gemischten Gefühlen auf diese Potenz (von Einfaltung und Entfaltung) hin, die von alleine einsetze, nannte sie „Drehung um die eigene Achse“, sah uns an, nickte und sprach: Ihr werdet ihn noch erleben! (…?) Fügte auf unser Nichtwissen den „Spin“ hinzu und zauberte eine Flasche Fernet-Branca unterm Tisch hervor.

      Wir mussten noch einmal zu diesem Feld, auf dem wir angelangt waren, mussten uns dort haushohe Wellen vorstellen … bis einer: Herrschaft ja, sieht ja aus wie Wüste und Lotterleben sagte und der Physiker wieder nickte: Wir kämpfen bis auf die nackte Erde (dann, ziemlich kleinlaut): Und wo wir gestern scheiterten, beginnen wir heute noch einmal, um morgen dasselbe zu versuchen. Unser Tun zieht sich über die ganze Weltkugel hin, denn jedes Quant ist wie ein Anruf von außerhalb: gigantischen Informationswellen ausgesetzt. Solltet ihr aber denken, na, gut, alles ist menschlich, dann gebt auf keinen Fall zu, dass ihr vorprogrammiert seid. (Wir ließen uns Wein einschenken.)

      Der Gastgeber erhob sein Glas: Prost den Quanten! Prost eurem Code!

      Ein Jugendlicher (so angetrunken wie angestunken): Vertrauen wir auf unser Geschick! Hicks! Errichten wir Lebensräume und Hypothesen! Bin überzeugt, dass wir das alles uns selber verdanken! Müssen euch Besserwisser, hicks, nix fragen! Pfeifen a - auf eure Be - denken! Zum Wohle dieser (Hicks) Gesellschaft!

      Der Physiker: Aber, aber! Bist ja mit deinem Geschick dem Taschenspieler so nah wie dem Kobold, der sich gemäß einem kodierten Trick ins Gewissen einschleicht, um dort zu essen, zu koten und Fett anzusetzen. Setzt du nur auf dein Hicks? Spürst du kein Wachsen der Psyche, kein bisschen Anlass, manchmal wie deine Mama zu schaudern? Keinerlei Bammel, mein Freud?

      Ein Gast: Freudscher Versprecher!

      Die Frau des Physikers: Befreit doch den Kümmerling mal. Seht ihn doch mal als normalen Menschen … wie er da so bescheiden, nur eben betrunken, am Fenster steht.

      Der Physiker: Vielleicht könnten seine Kopfmolekülchen die Glasscheibe als Öffnung verstehen …, wir: Könnten sie! Könnten aber auch was Entgegengesetztes …, sieht also der arme Trunkenbold im Fenster das Nichtoffen (den Quanten so lieb wie das Offen), passiert weiter nichts. Sieht er aber das Offen, sieht er … (der Betrunkene: bloß nicht die nackte Erde) eine noch viel nacktere Frage: Wie kann man nun dieses Stück Erde (falls es das nicht von alleine schon tut) zum Wachsen bringen? In seinem Kopf, ganz zweifellos, würden Synthese und Antithese aneinander geraten wie Partisanen an ihren Aggressor.

      Die Frau des Physikers: Wenn die bucklige Frau kein Einsehen hätte! Wenn sie den jungen Mann nicht fragen würde, was suchst du vor deinen Füßen, sondern: Mach’s wie ich! sagt. Bepflanz dieses Stück Erde wie einen Garten. Denn wo, in welchen Wolken wächst schon gutes Gemüse? (Wir: …! …?)

      Die Oma: Ein kleiner Mensch soll sich bescheiden, sonst wird er nie eine Oma. Zieht doch wohl jeder seine Karre …, wer will denn, HerrGottJa, dagegen was haben?

      Der Gastgeber: PotzBlitzJa!

      Ich meine, es war jetzt die Frau, die uns das Märchen auftischte:

      Es war einmal ein Mädchen, das schleppte einen uralten Code mit sich rum. Es mühte sich damit ab, zog ihn wie ein Scheusal im Bollerwagen hinter sich her. Es machte das, da es ein gutes Herz hatte, gern; hoffte doch insgeheim, dass das Ziehen eines Tages, wenn es größer würde, ein wenig leichter ginge.

      Und wie es heranwuchs, wurde der Bollerwagen kleiner und das Ziehen um einiges leichter. Da dachte das Mädchen: Jetzt habe ich mich so viele Jahre an das Scheusal gewöhnt, das allerwege munter die Peitsche hinter mir her schwang, und möchte doch lieber das Wägelchen ein wenig mehr füllen. Es nahm also von den Feldsteinen welche, die wie Tatzen oder Fratzen aussahen, und legte sie in den halbleeren Karren. Es nahm auch liegen gebliebene Knochen oder verworfene Hörner von Kühen, Ziegenkrallen, verkohlte Stöcke und legte das alles hinein, um das Fuhrwerk wieder auf Trapp zu bringen.

      So geschah es, dass das Ziehen wurde wie vordem. Das Mädchen freilich ging bald gekrümmt und seine Haare waren schlohweiße Zotteln geworden. Und