Wichmann hatte für den Besuch der Oper ein Mietauto bestellt, dessen Form etwas neuer und eleganter war als die der üblichen Taxen. Er bestieg es beizeiten und gab die Adresse der Familie Casparius an. Frau Anna Maria hatte liebevoll einen Imbiß vorbereitet, den man zusammen einnahm, während der Wagen unten wartete. Frau Anna Maria sah in ihrem einfachen Seidenkleid, mit den glühenden Wangen wie die Freude und Erwartung selbst aus. Die Drillinge schliefen schon unter der Obhut der Nachbarin, der der übrigbleibende Teil der belegten Brötchen überlassen wurde. Die Herren knöpften die Mäntel zu, Anna Maria verabschiedete sich von ihren drei Lieblingen, dann stieg man gemeinsam die Treppe hinunter, an den töricht gemusterten Glasfenstern vorbei, und schlüpfte in das wartende Auto. Frau Anna Maria begann sich sicher zu fühlen wie die Prinzessin im Zauberland.
Ihre helle Fröhlichkeit steckte Wichmann an. Er floh in das Arglos-Unverbindliche ihrer Festerwartung und ließ sich gern vorplappern, daß sie heute wieder einmal, wie einst als Backfisch, die Sekunden gezählt habe bis zum Beginn des großen Abends. Casparius summte »Hoolde – A-ii-da!« und hoffte, daß der fremde Tenor sich seiner südlichen Sangessprache nicht werde berauben lassen zugunsten holzhackerischer Konsonanten. »Wichmann, es ischt wahr … liebend dahinschmelzen kannscht du nur auf ›A‹ und ›O‹ und nicht auf ›Str‹ und ›Pfr‹… Vielleicht liegt’s daran, daß wir Deutschen niemals die rechten Troubadoure geworden sind.«
Der Angeredete konnte sich nicht enthalten, heimlich an den geliebten Klang zu denken. Marion … Aber »Grevenhagen« war voll Konsonanten, und das Wappen dieses Geschlechts war ein Zaun, der eine Rose einhegte.
Der Wagen federte gut, wenn er auch nicht so leicht dahinglitt wie ein gewisses dunkelfarbiges Kabriolett. Die Residenzstraße wurde erreicht. Wagen hinter Wagen fuhr vor, schnittige Formen, viele ausländische Wagen waren darunter. Die Fülle der Menschen, die eleganten Abendmäntel, kunstvoll gelegte Locken, blitzende Ohrringe und Diademe verrieten schon an den Treppenstufen des Opernhauses den »großen Tag«. An der erleuchteten Kasse stand »Ausverkauft«. Unverbesserlich hoffnungsfreudige Herren, schmollende Damen warteten noch bei den uniformierten und betreßten Dienern auf den Glücksfall frei werdender Plätze. Wichmann verteilte die erworbenen Karten an seine beiden Gäste; Anna Marias Augen wurden groß, und ihre Lippen bildeten die reizend runde Öffnung einer Seerose, auf die ein Fisch überraschend zuschwimmt.
»Ha … no! Aber Herr Wichmann! Erster Rang! Das könne mir doch gar net annehme?«
»Nehmen Sie es ruhig an, gnädige Frau. Ich bin oft genug Ihr Gast gewesen. Im übrigen: für die Kollegen zu bluten ist eine Art Junggesellensteuer, mit deren freiwilliger Entrichtung wir Hagestolze uns das moralische Recht auf unser sonst so bequemes Dasein sichern.«
»Nein … so einer sind Sie? Da muß man Sie recht schröpfe, damit Sie Ihr bequemes Dasein eines Tages doch endlich dick haben und ein reizendes Mädle glücklich mache?«
»Machen Sie einen ersten Versuch dazu, liebe Frau Casparius, indem Sie sich mit Ihrem Gatten heute ganz als meine Gäste betrachten.«
»Da danke mir halt recht sehr!« Auf den Wangen erschienen die Grübchen. Die breite Treppe zum ersten Rang, in Gold und Rot, nahm die Freunde und die junge Frau auf. Man stieg langsam die Stufen hinauf und genoß dabei die flimmernde Atmosphäre zwischen Uniformen, Smokings und gewagten Toiletten. Die weiße Stirn von Frau Anna Maria hatte sich gerötet, während ihre flinken Augen Natur und Kultur der Damenwelt erfaßten.
»Das Diadem ischt übrigens weg«, sagte Casparius.
»Was für …«
»Das Diadem … vor dem die Silvia Sauberzweig jeden Abend g’schtande ischt.«
»Vielleicht hat er’s in den Laden hereingenommen.«
»Nein … es ischt verkauft.«
»Hast du dich etwa dafür interessiert, Kasper?«
»Warum soll ich mich net für Platindiademe interessieren? Meine Frau will ja auch einen Tenor singen höre.«
»Und was hat es gekostet?«
»Der Preis des Diadems war 28ooo M …«
»Hast du das für die Silvia festgestellt?«
»Ganz recht. Sie hat’s so gern wisse wolle.«
Frau Anna Maria gab an der Garderobe ihr Tuchmäntelchen mit den Überziehern der beiden Herren zusammen ab. Sie drückte, selbst blühend wie eine Heckenrose, den Heckenrosenstrauß, den Wichmann ihr überreicht hatte, an die Brust gegen die helle Seide ihres Kleides. Ihr Gatte betrachtete sie mit einem unverhohlen verliebten Blick.
Der Logenschließer verkaufte jedem der beiden Herren ein Programm, und man trat durch die schmale Tür in den Innenraum der Oper.
In dem leisen Summen der Stimmen und der Instrumente, in dem Aufklingen eines Geigentones, im Klappen der Polstersitze schwirrte die Erwartung.
Die mächtigen Lüster leuchteten über Ränge und Parkett.
Der eiserne Vorhang hatte sich schon gehoben. In schweren, prunkenden Falten fiel der goldgebortete Plüsch vom Himmel bis zum Boden der Bühne. Die edlen Hölzer und die Bronze, mit der Wände und Rangbrüstungen verkleidet waren, spiegelten das Licht. Die Reihen füllten sich. Sammet und Seide, Hermelincapes und Zobel erschienen; schlanke Frauengestalten und kleine dicke; geschniegelte junge Herren und gepflegtes Grauhaar; fremdländische Diplomaten und Militärs; ein einzelner Straßenanzug, der den festlichen Stil des Ganzen als Gegensatz noch mehr empfinden ließ. Die Mitglieder des Orchesters fanden sich schon zahlreicher ein, das Stimmen der Instrumente wurde vielfältiger, alle Notenständer füllten sich mit Blättern. In den Rängen und im Parkett suchten einzelne kleine Operngläser nach Bekannten. Da und dort begrüßte man sich. Auch die meisten der Logen waren schon besetzt. Nur einzelne standen noch leer.
Die beiden jungen Herren und ihre Dame hatten sich in den Sitzen der ersten Rangreihe bequem zurückgelehnt. Sie konnten Zuschauerraum und Bühne leicht übersehen und brauchten nicht die Hälse zu recken.
»Ist das schön!«
»Gefällt es Ihnen so gut, Frau Anna Maria?«
»Wie im Himmel.«
Wichmann lächelte und studierte scheinbar das Programm, während sein Blick heimlich immer wieder hinüberflog auf die andere Rangseite.
Loge 7 war noch nicht besetzt.
In den Garderoben schallte das erste Klingelzeichen. Die Menschen an den Türen drängten sich. Reihen standen auf, um die Nachzügler an die Plätze zu lassen; wieder klappten die Sitze. Beim zweiten Klingelzeichen begann das Licht der Lüster zu erlöschen. Im Orchester erschien der Dirigent, das Stimmen der Instrumente verstummte zur gespannten Stille. Die letzte Helle im Zuschauerraum verschwand, nur die gedeckten Lampen über den Notenständern glühten. Ein schnell verhuschender Schimmer aus hellem Spalt fiel noch einmal in den dunklen Raum. Loge 7 war besetzt worden. Oskar Wichmann hatte die schmale dunkle Frau mit den weißen Armen erkannt. Sie hatte sich geneigt, als ob ihre Hände etwas aufnehmen wollten, und hatte sich dann niedergelassen. In dem Schatten des Raumes, im Aufschwellen der Ouvertüre sah Oskar Wichmann nur sie, ein Traumbild.
Vielleicht lagen ihre Hände jetzt über biegsamen Rosenstielen, und die knospenden Blüten ruhten auf ihrem Schoß. Die Fülle der Musik schwang im Raum, der Gesang der Geigen, das Todesahnen der Harfe. Die Luft wallte in klingenden Wellen, die sich nicht nur dem Ohr mitteilten. Mit Schmeicheln und Brausen umfingen sie den Menschen und drangen in ihn ein. Das Blut ließ sich ergreifen von den Rhythmen des Sieges und der Liebe. Das besondere Ich, der begrenzte Körper weiteten sich in dem Lied der Instrumente, das menschliche Sehnsucht mit vollem Mute sang. In dem Dämmer des Raumes, das satt war von verborgenem Goldschimmer, tanzten die süßen und mächtigen Töne. Sie weckten die Ahnung des Kommenden, sie schwollen in Visionen des prächtigen Lebens und liebenden Todes; nur ein Sohn des Südens hatte sie so ungebrochen aus dem Äther erlauschen können. Die Hörenden waren dem Freudenfeste der Töne und dem schaurig-stillen