Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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nach Tips für die Rennsaison des nächsten Frühjahrs, und zwei Herren wußten über geheime Hoffnungen verschiedener Ställe Auskunft zu geben.

      Marion löste sich aus der Unterhaltung, an der sie nur durch ihre Anwesenheit teilgenommen hatte, und ging langsam durch die offenstehende Tür nach dem Salon, in dem das Kaminfeuer brannte, und von dort weiter in den ersten Empfangsraum mit dem Büfett. Sie hatte nur ein einziges Mal auf Oskar Wichmann gesehen, fragend, fast befremdet.

      Und war doch im Tanz die Seine gewesen.

      Der junge Mann stand noch im Kreise Grevenhagen gegen über. Das war der Herr, der durch Geburt, durch Reichtum und Erfahrung besaß, was Wichmann immer unerreichbar blieb, und er konnte mit grauem Haar herablächeln auf den Jüngeren, den er nicht zu fürchten brauchte.

      Oskar Wichmann erinnerte sich, daß die gesellschaftliche Übung es erlaubte, an einem »jour fix« ohne Zwang zu kommen und zu gehen. Als das Gespräch die ersehnte Pause machte und die Gruppe der Sprechenden sich auflöste, ging er für sich allein durch die Flucht der ineinander laufenden Räume zurück. Schildhauf war bei von Linck hängengeblieben.

      Im Salon am Kamin schwoll ein dröhnendes Lachen alter Herren auf, und der Vorübergehende bemerkte Fräulein Hüsch, die einen Kranz betagter und vermögender Verehrer gefunden hatte. Sie saß in einem kleinen Sessel, kühn das Knie entblößend, und rauchte. »Wenn Sie den Kuß als ›Drucksache‹ auffassen wollen, hat er mit Aktenbündeln allerdings etwas zu tun«, sagte sie eben.

      Korts hatte sich als Zuhörer dieses Schauspiels einen Stehplatz gesichert, und Wichmann schätzte, daß dieser Gast dem Hausherrn heute allein eine halbe Kiste Havanna kostete.

      Am Büfett bewegte sich Casparius. Es war ihm gelungen, den Diener von einer Flasche Likör zu verdrängen und der Dame des Hauses selbst einzuschenken. Ach, sieh an, der Schwabe und die Sumpfblüte!

      Wichmann wußte nicht, warum er auf einmal einer heiteren Stimmung fähig wurde. Er übernahm es, zu Marion Grevenhagen und dem Kollegen Casparius zu gesellen, und er wagte es, zu ihr auf fröhliche Art zu sprechen.

      »Gnädige Frau, Sie haben heute den vielleicht größten Erfolg Ihres Lebens davongetragen. Ein Feind der Frauen und der Wunderblumen hat sich Ihnen offenbar unterworfen. Er bringt seine Huldigung mit dem Besten, was sein Herz kennt, mit dem Geist und der Süße des stummen Getränkes, und wenn es möglich wäre« – Wichmann schaute suchend über die raffiniert garnierte Platte –, »so wird er Ihnen noch ein Schinkenbrötchen kredenzen, das Symbol seiner schlichten und zuverlässigen Ergebenheit.«

      Frau Grevenhagen sah erstaunt und nicht ohne Interesse auf die Freunde, als erwarte sie, daß dieser Faden weiter ausgesponnen werde.

      »Wichmann, Sie haben das gut g’sagt, und ich bitte mir zu gestatten, gnädige Frau, daß ich Ihnen das beschte Schinkenbrötchen verehre.« Casparius hob den Teller mit der Rechten, legte die Linke ans Herz und machte einen tiefen Bückling, ohne im mindesten zu zittern. »Die Herrlichkeiten dieser Welt sind vergänglich, die herrlichstenam schnellsten, aber ich bitte untertänigst darum, den Gedanken an meine Bewunderung und Ergebenheit wenigstens so lange festzuhalten, bis dieses Schinkenbrötchen zwischen Ihren Perlenzähnen verzehrt ischt. Dann mag vergange sein, was vergange ischt – Schall und Rauch –, und ich werde gern in den Staub meines unbekannten Erdendaseins zurücksinken.«

      Frau Grevenhagen nahm die sonderbare Huldigung freundlich an. Sie aß den leise krachenden Toast und den rosa Schinken mit seinem blütenweißen Fettrand.

      »Sind Sie schon lange in unserer Stadt?« fragte sie.

      Casparius schob Wichmann die Antwort zu.

      »Erst seit einigen Wochen, gnädige Frau.«

      »Habe ich Sie reiten sehen?«

      »Ich habe nicht zu hoffen gewagt, daß Sie sich noch daran erinnern …›Reiten‹ ist auch zuviel gesagt. Ich saß stumm und steif auf meinem Fuchs und sah das Bild, das ich niemals vergessen werde! Die Grauschimmel in der Morgenfrühe.«

      »Ja, es sind schöne Tiere. Reiten Sie gern?«

      »Mehr gern als gut. Aber ich werde weiter üben.«

      »Es gefällt Ihnen in unserer Stadt? Haben Sie schon vieles kennengelernt?«

      »Nicht viel mehr als das Ministerium, den Park und die Kreuderstraße.«

      »Ach ja, Sie wohnen auch hier.«

      »Gegenüber, gnädige Frau«, Wichmann glühte unter Frau Grevenhagens aufmerksamem Blick, »bei Frau Geheimrat von Sydow.«

      »Es freut mich, wenn es Ihnen in unserer Stadt gefällt.«

      Die Dame des Hauses schien den jungen Herrn damit aus dem Gespräch zu entlassen. Sie führte die Hand mit dem feinen Porzellanteller zum Büfett, um den leer gegessenen abzustellen, da lösten sich ihre Finger scheinbar einen Augenblick zu früh. Wichmann griff hilfsbereit zu und faßte den Teller, den die andere Hand noch nicht losgelassen hatte. Durch das Porzellan ging eine Schwingung, die getrennte Hände für die Zeit eines Herzschlages verband. Wichmann durchfuhr das Empfinden, Bewegung aus ihrer Bewegung empfangen zu haben, so stark, daß seine Entschuldigung nur noch ein Stammeln war.

      Die Hausherrin entschwand seinem Gesichtskreis und widmete sich ihren anderen Gästen.

      Auf die Schulter des Assessors legte sich eine Hand. »Wichmann, Menschenskind … bleibe Se no voll bei Verstand.«

      Da Casparius satt war und Wichmann nicht hoffte, mit Frau Grevenhagen noch einmal ins Gespräch zu kommen, ließen sich die beiden Kollegen die Mäntel geben und gingen. Der harte Schnee des Gartenweges schrie unter ihren Schritten. Die Schatten der Bäume fielen wirr, durchlichtet vom Mond, von erleuchteten Fenstern und vom Laternenschein. Als sich das Rosentor mit einem Klicken schloß, bemerkte Wichmann einen Herrn von schmaler Figur, der am Zaun gelehnt haben mußte und jetzt mit schnellen Schritten die Kreuderstraße hinunter der Stadt zu lief. Als Wichmann Casparius mit einer Kopfbewegung darauf aufmerksam machte, nickte der Kollege gleichmütig.

      »Der viel besprochene Dr. Musa. Sardelle, Sardelle … schmeckte scharf und ischt nix dran.«

      Wichmann nahm sich den schwäbischen Philosophen mit hinauf in seine Bude; er fürchtete sich vor dem Alleinsein. Eine Flasche »Cognac«, deren Etikett die französische Herkunft bestätigte, kam aus dem Renaissanceschränkchen hervor. Die beiden jungen Männer ließen sich auf den Sesselplätzen nieder und blieben noch bis Mitternacht zusammen, ohne ein Dutzend Worte geredet zu haben. Diese Stunden aber waren für ihre Freundschaft bindender als alles, was sie vorher miteinander erlebt und gesprochen hatten.

      Wichmann hatte das Gefühl, einen Menschen zu finden, auf den er sich verlassen konnte und den er nicht zu hassen und nicht zu verachten brauchte, wenn er an Marion Grevenhagen dachte.

      Denn Wichmann war es zumute wie damals, als er zum erstenmal allein eine weglose Wand anging, als er ausbrechende Steine in der haltsuchenden Hand fühlte und nicht wußte, ob er je weiterfinden konnte. Marion war ihm fremd und fern gewesen an diesem Abend. Das Haus beschützte sie. Sie war die Gemahlin Grevenhagens, und Oskar Wichmann war ein sehr kleiner Regierungsassessor. Er wollte niemals mehr dieses Haus betreten, niemals mehr … wollte … Was wollte er? Er hätte ihre Füße küssen können, aber sie wußte nur, daß er nicht gekommen war, als sie ihn um einen Tanz gebeten hatte. Er hätte sie mit Blumen überschütten mögen, aber sie wohnte in den Räumen, in denen jedes Zeichen seiner Liebe das Verbrechen an einem Heiligtum war.

      Heiligtum? Vielleicht war sie eine Dirne, die an Alfons Musa schrieb? Alphonse …

      Oskar Wichmann schenkte mit zitternder Hand dem Freunde ein. Alphonse?

      Er schlief nicht, wenn er daran dachte.

      Um sich selbst zu entkommen, ging er von nun an häufig des Abends zu Casparius in die winzige Wohnung mit den schreienden Drillingen, bewunderte die Stupsnäschen und die wachsenden Blondhaare und tröstete die kleine strickende Frau Casparius, wenn sie weinend aufstampfte, weil ihr Mann nie ein ernstes und imponierendes Wort sprach. »Immer bloß die Witze!