Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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      Zwei Tage vergingen, an denen Oskar Wichmann nicht als er selbst gelebt zu haben glaubte. Das Dienstzimmer, die Akten, die geheimrätliche Wohnung sah er nur durch einen dichten Schleier. Melodien wehten um ihn her, unwirkliche Bilder hielten ihn gefangen. Aida hatte sich auch für ihn verwandelt. Sie ging in schwarzer Spitze, durch die ihre elfenbeinfarbene Haut schimmerte, biegsam war ihre Gestalt, ihre Augen waren Erinnerung und Sehnsucht nach einer fernen, unbekannten Heimat. Marion, Marion …

      Wichmann erschrak, als er auf einsamen Parkwegen den Namen laut vor sich hin gesprochen hatte. Warum waren ihre Lippen müde gewesen, als sie durch den Morgen ritt? Drüben wohnte sie in dem Hause hinter dem Ahornbaum. Der Verzauberte schaute hinüber und sah sie nicht. Wann ging sie ein? Wann aus? Er wußte es noch immer nicht.

      Er hatte in der Nacht am Schreibtisch gesessen und hatte an sie geschrieben und hatte gewußt, daß er alle seine Briefe wieder zerreißen werde, ehe sie ein andres Auge sah. Torheit! Aber die Messer des Verstandes wurden schartig an der sturen Wiederholung, mit der das Gefühl seine Wünsche vorbrachte.

      Dann war der Brief gekommen.

      Martha hatte ihn gebracht. Pünktlich wie an jedem Tag, an dem der Regierungsassessor zum Dienst ging, stellte sie das Frühstück auf den Tisch am Fenster und legte die beiden Zeitungen und die eingegangene Post auf den Schreibtisch des verstorbenen Geheimrats. Flüchtig wie in all dieser Zeit nahm Wichmann die eingegangene Korrespondenz auf, um an der Schrift den Absender zu erkennen.

      »Herrn Dr. Wichmann …«

      Das hatte sie geschrieben.

      Wichmann hielt den weißen Umschlag in der Hand, einen Umschlag, wie er ihn schon einmal zwischen den Fingerspitzen gefühlt hatte. Der Absender war nicht angegeben. Die Adresse war mit dünnen, weit gezogenen Buchstaben geschrieben.

      »Herrn Dr. Wichmann …«

      Der Federhalter, der dies schrieb, hatte in ihrer Hand gelegen. Wann? Warum? Was war das für eine Stunde gewesen, in der Marion, die Gattin des Justus Grevenhagen, den Namen Wichmann schrieb?

      Der Empfänger nahm das Briefmesser und öffnete schnell, fast gewaltsam. Er las mit einem Schimmer vor den Augen, in dem die Buchstaben verschwammen. Dann stieß er einen lachenden, heiseren Ton aus.

       »Sehr geehrter Herr Dr. Wichmann!

       Für den Fonds, der zur Unterstützung bedürftiger Studenten der Rechtswissenschaft bestimmt ist und den ich im Auftrag der Stifter mit verwalte, erlaube ich mir, auch Sie um eine Spende zu bitten, deren Höhe Sie bitte selbst bemessen mögen. Ich danke Ihnen heute schon im Namen der Empfänger, deren Würdigkeit, wie ich Ihnen versichern kann, streng geprüft wird. Marion Grevenhagen«

      Marion! Ja gewiß, Leute, die den ersten Rang in der Oper bei erhöhten Preisen bezahlen, die ein Dutzend Rosen schenken und bei Hattig essen, solche Leute gehören ja zu den Kreisen, in denen man Spendenlisten mit der Hoffnung auf erhebliche Beiträge versenden kann.

      Ach, Marion, ist das der gleiche Brief, mit dem du Herrn Dr. Musa beglückt hast?

      Die Liste der Spender und Spenden lag bei. Sie enthielt den Namen des Herrn von Linck … 300 RM, Regierungsrat Schildhauf … 50 RM, Fräulein Ramlo – das war ja wohl die Dame mit dem Pagenkopf – 100 RM. Dr. Musa – ah, Musa! – 20 RM. Es folgte ein unbekannter Name: 250 RM. Wichmann lachte hell hinaus. Die Befreiung von dem Alpdruck Musa gab ihm eine übermütige Stimmung. Er holte den Füllhalter aus der linken Brusttasche und schrieb: Dr. O. Wichmann: 300 RM.

      Bist du jetzt zufrieden, Marion? Der Regierungsassessor hatte damit sein Konto angegriffen, dessen Zinsen sein Gehalt aufbesserten. Aber warum nicht? Er mußte ein andermal sparen. Ein andermal. Nicht an deinen Wünschen, Marion!

      Wichmann las sechsmal die Liste durch.

      Außer ihm und Musa war niemand von den Herren des Ministeriums darauf zu finden.

      In der linken Schublade des Schreibtisches lag das beste Briefpapier.

      Wichmann holte es hervor.

       »Sehr verehrte gnädige Frau!

       Es ist mir eine große Freude, für einen Zweck, den Sie fördern, einen Beitrag leisten zu können.

       In Ergebenheit …

       2 Anlagen«

      Der Schreiber knickte den Bogen, legte den ausgeschriebenen Scheck und die Spendenliste, die er schon auswendig wußte, bei und schloß den Umschlag.

      Es war zehn Minuten vor neun Uhr. Wichmann fuhr in den Mantel und verließ das Haus. Den Brief, den er frankiert hatte, warf er gegenüber in den Empfangskasten am Gartenzaun der Kreuderstraße 3.

      Er wagte nicht zu hoffen, daß er mehr als einen vorgedruckten Dank erhalten werde.

      Die Tage verstrichen wieder ohne Ereignis. Wichmann empfand, wie seine Vorstellung von der Geliebten blasser wurde und wie seine Sehnsucht nach ihr wuchs. Die unaufhörliche und fruchtlose Beschäftigung seiner Phantasie machte ihn gereizt und launisch. Mehr als einmal sah er Blicke der Kollegen und sonstigen Mitarbeiter auf sich gerichtet. Sein Verhältnis zu Grevenhagen wurde noch kühler. Er selbst fühlte sich nicht glücklich. Daß er sich nicht überwinden konnte, die Kreuderstraße zu verlassen, war ihm ein Stachel, der seine Selbstachtung verletzte. Die Untätigkeit, in der er verblieb, peinigte sein Herz und brachte ihn zu den wütendsten Ausfällen gegen die eigene Entschlußlosigkeit. Dennoch blieb er auch am folgenden Donnerstag dem Haus im Garten fern.

      Der Winter begann um diese Zeit endlich seine Kraft zu verlieren. Der Frost brach sich, die Schneemassen schmolzen grau und schmutzig dahin. Im Park wurde die Schlittschuhbahn gesperrt, das Eisloch für die Enten vergrößerte sich auf natürliche Weise. Von den Bäumen tropfte es, die Parkwege weichten auf. Vögel begannen schon zu singen. Zum Reiten kam Wichmann nicht mehr so häufig wie im Winter. Herr von Schilling, der Besitzer des Fuchses, nahm sein Tier jetzt selbst in Anspruch, und Mietgäule durch den Park zu treiben, spürte Wichmann wenig Lust. Im Ministerium herrschte ein großer Arbeitseifer vor dem Abschluß des Rechnungsjahres am 31. März, und der Assessor fügte sich dem Zwang, Dienst zu tun. Das neue Bücherverzeichnis, zu Händen von Fräulein Hüsch, hatte er nebenbei fertiggestellt. Die Gerüchte der mittäglichen Tafelrunde überstürzten sich, ohne daß Wichmann recht auf sie hinhörte, er begriff nur, daß die Ernennungen in kurzem vollzogen werden sollten.

      Einmal hatte er den Nachmittag des »jour fix« benutzt, um das Haus Grevenhagen wieder aufzusuchen. Er fand Marion verändert. Sie sprach mehr und bewegte sich schneller, als werde sie von einer Unruhe getrieben. Manchmal zuckten ihre Hände. Dr. Alfons Musa stand am Kamin neben dem Flackerfeuer; Marion sprach ihn nicht ein einziges Mal an, und er sah nicht nach ihr. Stets war sie in einem Kreise von Herren und Damen, der sich bald löste, bald neu füllte. Sie trug ein schwarzes Kleid wie immer. Neben der stolzen Mutter Grevenhagens schien sie wie ein verirrter Vogel, dessen buntes Gefieder in der Gefangenschaft verborgen wird. Als Wichmann sich verabschiedete, begegnete sie ihm mit einem so schmerzlichen Blick, daß er Qualen empfand, sie nicht in den Arm nehmen und in ihrer Trauer trösten zu dürfen. »Verfügen Sie über mich«, murmelte er. Ihre Augen verrieten ihm, daß sie verstanden hatte.

      Der Wunsch, für Marion immer erreichbar zu sein, hielt Wichmann in den folgenden Tagen für jede freie Minute im Hause fest. Er verzichtete darauf, mit den sportlustigen seiner Kollegen am Sonnabend nachmittag zum Waldlauf zu gehen. Am Sonntag stand er früh auf und verließ um acht Uhr das Zimmer, damit es um neun gereinigt und geordnet sein konnte. Er setzte sich ans Fenster und versuchte zu lesen, aber nichts konnte seine Gedanken fesseln. Er beobachtete die Meisen, die durch die Zweige des Ahornbaumes huschten, er sah den taunassen Gartenweg, den braungrünen Rasen, der unter dem Schnee hervorgekommen war. Das eine Fenster der Gartenvilla, das ihm sichtbar war, blickte hellblau im Widerschein des Himmels. Ein Gären und Drängen lebte in der Luft, die sich mit Feuchtigkeit und erster Frühlingswärme gesättigt hatte.

      Frau