Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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wie Gott es ihm gegeben hat.«

      »Sie sind aber ein arger Schmeichler, Herr Wichmann. Wenn Sie immer so schmeicheln?! Es ist doch wüscht, wie ich schwätz’! Können Sie sich vorstelle, daß Frau Grevenhagen so schwätze würd’?«

      Wichmann lachte. »Nein, aber sie ist auch eine ›Sumpfblüte‹, wie Ihr Gatte einmal festgestellt hat, und Sie sind ein Heckenröschen.«

      »Sumpfblüte? Das hat er g’sagt? Ha gewiß, ein bißle unheimlich ischt sie scho, weil mer nicht schlau aus ihr wird. Aber apart, so apart und interessant! Ihr Mann gefällt mir auch sehr gut, weil er so was Stolzes an sich hat und dabei freundlich – ich beneid’ dich, Eugen, daß du alle Tage zu dem hingehen darfscht.«

      »Gehe nie zu deinem Fürscht – wenn du nicht gerufen würscht. Ich dräng’ mich da gar net so arg vor, mein Herzlieb. Und so sind die Gaben und Möglichkeiten eben meischtens falsch verteilt.«

      Frau Anna Maria aß den Hummer mit Geschick. Die drei Speisenden waren die einzigen im Raume, bis eine weitere Gesellschaft von Gästen eintrat. Die junge Dame war darunter zu erkennen, die mit Wichmann über die Oper diskutiert hatte, auch Herr von Linck war den Freunden bekannt. Man grüßte sich.

      »Die mag ich net, die ischt so eingebildet mit Ansichten, die sie sich gar net selber ausgedacht hat. Aber wissen Sie, Herr Wichmann, was mir für ein Gedanke gekommen ischt, wie Sie da so hohe Sache erzählt habe, für die ich viel zu dumm bin?«

      »Nein?«

      »Wir lebe doch eigentlich ein sehr künschtliches Leben – mir esse den Hummer, den mir in der Nordsee g’fange habe, und trinken den Wein, der im schnöden Frankreich wächst, und dazu gibt’s ein bißle Kaviar von der fernen Wolga und einen Strauß von Rose für die Dame mitten im Winter. In der Oper singt ein italienischer Tenor, und ’s grüne Wasser fließt wirklich auf der Bühne – und wir wisse, wie’s im alten Ägypten vor fünf- oder vor zehntausend Jahr zugange ischt oder zugange sein soll. Es ischt doch alles arg kompliziert, und mir denke bloß, es wär’ so selbstverständlich.«

      »Da haben Sie recht, Frau Anna Maria. Wenn ich Ihre Gedanken weiterspinnen darf, es gibt auch Menschen, die künstlich geworden sind und ohne das Komplizierte gar nicht mehr dasein können. Es gibt auch Bücher und gibt auch Opern, bei denen das der Fall ist – dann gibt es wieder andere Menschen und Werke, die sind so natürlich und kräftig geblieben oder so weit ins einfache Innere der Dinge vorgestoßen, daß sie immer und überall zu leben vermögen, auch wenn der französische Wein ausbleibt und die Rosen im Winter erfrieren. Unter den Menschen gibt es sogar nicht wenige, die das noch vermögen, wenn sie eben müssen. Das hat der Krieg gezeigt.«

      »Ah … ja … wissen Sie, jetzt denk’ ich grad, ob die Dame da drüben, die die Opern abschaffen möcht’, eigentlich so was sein könnt’ im Ernscht – ich glaub’s beinahe net. Und dann – ja – das ischt eigentlich interessant, daß mer seine Mitmenschen auch einmal so einteilt – können Sie sich Frau Grevenhagen als Bäuerin vorstellen?«

      Wichmann sah auf das weiße Tischtuch und die roten Hummerscheren und hörte die Klänge der verdeckten Kapelle, in denen das Erleben des Abends ausschwingen konnte. »Als Bäuerin – nein – aber …«

      »Aber?« bohrte Casparius.

      »Als Druidenpriesterin oder so etwas.«

      »Mach dir keine Illusionen, Wichmann, sie kann net hexe. Aber das Weib eines Salonanarchischte sein … des ging’ vielleicht. Kann sein, daß ihr des ungewöhnlich genug wär’.«

      Wichmann wurde feindselig. »Musa, meinst du?«

      »Ha nei … bloß allgemeine Theorie.«

      »Was hascht du denn bloß gegen die Frau, Eugen? Wenn eine Frau einen solchen Mann hat wie die, braucht sie keinen Anarchischten mehr. Er wirkt so kühn und ritterlich und trägt sie gewiß auf Händen …«

      »… und kauft ihr ein Diadem für 28ooo Mark!«

      »Ha, des war des? Das ischt auch wirklich wunderschön und paßt so ganz zu ihr.«

      Wichmann vermochte seiner stillen Erregung nicht Herr zu werden. Was hatte Casparius von seinem Gespräch mit Marion gehört? War Kaspar der einzige Unberufene gewesen, der das kurze Verstehen zweier Menschen erlauschte? Und was wußte er von Musa?

      Wichmann leerte sein eben eingeschenktes Glas Burgunder auf einen Zug.

      »Kaspar … grad heraus … wie bist du auf diesen Anarchisten gekommen?«

      »Jetzt laß mich bloß zufrieden. Ich werd’ doch nicht den Heiligenschein der Gemahlin unseres Chefs antasten. Ich mein’ bloß so im allgemeinen, ihr Typ, der will immer was Besonderes habe. Ob’s ein Großfürscht ischt oder sein Attentäter, das ischt dann wurscht, ’s tut’s auch einmal ein Ministerialrat und Herrenreiter …«

      Wichmann sah unbefriedigt über den Freund weg. Er konnte Frau Anna Maria jetzt verstehen. Es war wirklich zum Wildwerden mit des Eugen Casparius unaufhörlichen philosophischen Witzen. Casparius mußte irgendeinen Verdacht haben. Es mußte irgendein Geschwätz umgehen. Hätte er damals nur diesen Brief aufgerissen und gelesen! Was hätte der Postbote schon anders machen wollen als schelten? Aber er, Wichmann, war ein ewig Zaudernder. Er wollte die Fäden endlich zerreißen, die ihn hinderten, und nach der Einzigen fassen.

      Nach ihrem »Ja« mußte er wissen, ob sie ihn wirklich liebte, Gedanke des Himmels, oder ob sie nur mit ihm spielte. Er konnte nicht mehr sein ohne die Entscheidung.

      Frau Anna Maria plauderte, und Wichmann lächelte, ohne sie recht zu hören. Casparius stand mit dem Hummer auf dem Kriegsfuß und hielt sich an den Wein.

      Als es ein Uhr geworden war, brach man auf. Trotz der beißenden Kälte empfanden alle den Wunsch, ein Stück zu Fuß zu gehen. Frau Anna Maria hatte sich von dem eleganten Ober den Heckenrosenstrauß in Papier binden lassen, damit er nicht Schaden nahm. Sie lief jetzt vergnügt zwischen ihren beiden Kavalieren.

      »Guck … Heckenrösle … nei, nix sage, Wichmann … da vorn im Schein der Bogenlampe, wie g’falle dir die zwei?«

      »Net schlecht. Zwei so stattliche Menschen und gut angezoge. Viel mehr kann ich von der Rückansicht her net erraten.«

      »Des ischt das vielbesungene Fräulein Hüsch.«

      »Ach so? Des würd’ mich interessieren, die kennezulerne … Wer ischt denn der Herr? Ischt der auch aus eurem Minischterium?«

      »Net aus unserem. Des ischt doch der Regierungsrat Schildhauf, wenn mich net alle Auge täusche? Jetzt nehme die zwei sich ein Taxi.«

      »Das machen wir auch bald, Kasper, eh uns die Nasen erfrieren.«

      Als man mit dem von Wichmann vorgeschlagenen Gefährt die Wohnung des Ehepaars Casparius erreichte, wurde Wichmann noch zu einem Mokka eingeladen.

      »Es war ein wunderbar schöner Abend! Von dem Abend erzähle’ noch unsre drei Töchter, wenn sie groß sind. Das habe mir Ihne zu verdanke, lieber Herr Wichmann. Und eigentlich – ja eigentlich möcht’ ich jetzt wisse«, sagte Frau Anna Maria, während sie das duftende Gift einschenkte und ihr Gatte die Zigaretten anbot, »ob ein Mann oder eine Frau heutigentags noch so lieben könnt’ wie der Radames und die Aida … so ganz wahnsinnig. Wie ich in der Oper g’sesse bin, ischt es mir so vorkomme, und selbscht bei meinem guten Eugen spür’ ich noch so einen Schwung.« Sie lachte liebenswert, und Eugen schmunzelte.

      Wichmann versuchte zu denken. Es war vergeblich. So ganz wahnsinnig? Wer wußte es denn? Er wußte nur, daß etwas geschehen mußte, wenn er nicht zugrunde gehen sollte in dem Strom seines Gefühls, dessen Ziel er selbst nicht kannte. Aber was? Was wollte er? Sie an sich reißen? Die Augen schließen, nichts mehr wissen, nichts mehr fühlen als sie, ihren Leib, das Klopfen ihres Blutes, und ihr Geheimnis in sich hineindrücken!

      Als diese Nacht zu einem frostigen Morgen erwachte, hatte Oskar Wichmann die Augen noch immer offen. Aber der Gedanke, wie er Marion finden und wie er Marion prüfen könne, war zu keinem Ende gekommen. Er hatte nur ihre weißen Hände