Vom Angsthasen zum Liebesküken. Luna Lavesis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Luna Lavesis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906212876
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und es soll für uns alle ein schönes Erlebnis werden!“ Scheinbar hatte sie alle Mühe, die Heranwachsenden zu überreden, an einem Samstagvormittag in der Schule zu erscheinen, denn diese protestierten lautstark gegen ihre beraubte Freizeit, welche sie offenbar lieber zockend an ihren Spielekonsolen verbracht hätten. Dass auch ein wenig Vorfreude auf den großen Tag spürbar war, verbargen sie jedenfalls äußerst geschickt hinter ihrem pubertierenden Gemotze.

      Ich beobachtete meine Vorgesetzte aus der Ferne und bewunderte nicht nur ihr musikalisches Talent, sondern auch ihren freundlichen und gleichzeitig bestimmten Umgangston mit den Heranwachsenden. Dass sie sich als Musiklehrerin bereiterklärt hatte, den obligatorischen Beitrag zum Schulfest-Programm beizusteuern, hatte schon mehr als ein Dankgebet nach sich gezogen – wäre dies doch eigentlich meine Aufgabe als Klassenlehrerin gewesen. Für eine souveräne musikalische Darbietung fehlte mir jedoch sowohl die Erfahrung als auch das Talent, und ich war heilfroh, dass ich mir in Anbetracht der umfangreichen Unterrichtsvorbereitungen, die unter den gegenwärtigen Umständen bei mittlerweile vollem Deputat für mich anstanden, nicht auch noch einen Kopf darum machen musste, wie ich es verhindern könnte, mich und die Schüler beim Schulfest zu blamieren.

      Am frühen Abend des nächsten Tages knallte ein Sektkorken und schoss in die Baumwipfel der Platanen im Schulhof. Schüler und Eltern hatten bereits ihren Nachhauseweg angetreten, und an einer Biertischgarnitur unter den schattenspendenden Laubbäumen hatten sich nach den Aufräumarbeiten ein paar Kollegen versammelt, um auf den erfolgreichen Verlauf des Schulfestes anzustoßen. Etwas abseits von der Gruppe hatten sich zwei meiner Kolleginnen zu mir gesellt. Unsere Füße baumelten lässig von der leeren Bühne herab und wir ließen die letzten fünf Monate Revue passieren, in denen sich über die pädagogische Arbeit hinaus eine Freundschaft zwischen uns entwickelt hatte.

      „Es ist so schön, dir begegnet zu sein, Annie“, gestand mir Cecilia, die mir im Laufe der vergangenen Monate, basierend auf ihren eigenen Erfahrungen als Hauptschullehrerin, immer wieder hilfreiche Tipps zur Klassenführung und Unterrichtsgestaltung gegeben hatte. „Ich wünschte, du würdest an unserer Schule bleiben …“

      „Ja, das wäre schön“, sagte ich, ohne dies ernsthaft für möglich zu halten, da nach den Sommerferien meine Rückkehr an meine Stammschule dienstlich vorgesehen war. In der Tat hatte ich mich bis jetzt ausgesprochen wohl hier gefühlt. Zwar war ich nach wie vor der Meinung, dass meine wahre Begabung eher im Entwickeln der Lese- und Schreibkompetenz von Schulanfängern lag, doch die Werkrealschüler waren mir ans Herz gewachsen, und an die Stelle des anfänglichen Unmuts über den etwas unfreiwilligen Arbeitsplatzwechsel war ein vertrauensvolles Miteinander getreten, meistens zumindest. Auch vonseiten des Schulleiterteams und im Lehrerkollegium hatte ich Offenheit, Wertschätzung und Unterstützung erfahren und mich darüber hinaus stets willkommen gefühlt.

      Etwas versonnen blickte ich eine Weile auf meine Füße hinunter, dann hob ich den Kopf wieder und sah, wie die Rektorin an der Seite ihres Mannes den überdachten Pausenhofgang entlang ging. Sie war auf dem Weg zu ihrem Auto und winkte mir und meinen beiden Kolleginnen im Vorbeigehen lächelnd zu. In diesem Moment beschlich mich ein Bauchgefühl, das ich nicht für mich behalten konnte.

      „Cecilia“, platzte ich plötzlich heraus. „Ich habe gerade den dringenden Impuls, nicht an meine Stammschule zurückzugehen! Ich glaube, ich sollte bleiben. Hier an dieser Schule.“

      „Nein! Wirklich? Das würde mich unendlich freuen, Annie! “, entgegnete Cecilia merklich fröhlich gestimmt. Dann fügte sie mit einem Lächeln hinzu: „Und nicht nur mich, so viel weiß ich. Wir können dich nämlich hier gut gebrauchen.“ Sie drückte mich an sich, um mich einen kurzen Augenblick später abrupt wieder von sich fortzuschieben. „Wenn das so ist, dann solltest du schnell handeln!“, wies sie mich an. „Es ist nicht mehr viel Zeit bis zum Ende des Schuljahres, und wenn du das wirklich willst, solltest du jetzt das Gespräch suchen.“ Sie nickte in Richtung Parkplatz. „Wenn du dich beeilst, dann erwischst du die beiden noch. Worauf wartest du noch?! Los …, lauf, Annie!“

      Mit einem Satz sprang ich von der Bühne, eilte meiner Schulleiterin hinterher und erreichte sie gerade noch rechtzeitig, bevor sie durchs Tor auf die Straße fuhr. Verdutzt ließ sie die Scheibe herunter.

      „Ich fürchte, ich muss noch schnell etwas loswerden …“, sprudelte es aus mir heraus, dann musste ich laut schnaufen, infolge meines kurzen Sprints. „Ich könnte mir sehr gut vorstellen, auch im kommenden Schuljahr noch hierzubleiben und die Klasse weiterhin zu begleiten, wenn das in Ihrem Sinne ist …“

      Statt eine Antwort zu geben, stellte die Rektorin den Motor wieder ab und stieg aus. Unerwartet umarmte sie mich und drückte mir einen lauten Schmatzer auf die Wange. Dann lockerte sie ihren Griff und gestand: „Das habe ich mir, ehrlich gesagt, die ganze Zeit gewünscht. Ich schaue am Montag, was ich tun kann …“

      Am darauffolgenden Montag wurde ich per Lautsprecheransage aus dem Unterricht zitiert:

      „Frau Frank, bitte ins Sekretariat!“

      Die Stimme unserer Sekretärin unterbrach eine stille Arbeitsphase der Englischlernenden, die an diesem Tag ausgesprochen motiviert mit ihrem Wochenplan beschäftigt waren.

      „Ich bin gleich wieder da“, informierte ich abschließend auch diejenigen Schüler, die gerade draußen auf dem Flur arbeiteten, und eilte über die Treppe drei Stockwerke herunter ins Sekretariat.

      „Sie werden bereits erwartet“, empfing mich die Sekretärin, und mit einer entsprechenden Handbewegung wies sie mir freundlich lächelnd den Weg in das unmittelbar angrenzende Rektorat.

      Als ich eintrat, entfuhr den Lippen meiner Rektorin gerade ein Schnalzen, als Ausdruck immenser Erleichterung. Sie lehnte sich in ihren Bürosessel zurück, nachdem sie den Telefonhörer aufgelegt hatte und strahlte. „Ich habe mir die Ohren wund telefoniert, Frau Frank, um Ihnen diese Mitteilung machen zu können. Ich war erfolgreich: Sie können an unserer Schule bleiben.“

      Ein ungebremster Freudenschrei hallte durch das Rektorat, bevor ich der Dame, die sich einen Großteil des Vormittags für mein Anliegen eingesetzt und sich soeben aus ihrem Stuhl erhoben hatte, um den Hals fiel. „Ich freue mich so darüber! Danke!“

      „Es war nicht ganz einfach“, erklärte sie nicht ohne Stolz. „Aber ich habe die Schulrätin so lange bequatscht, bis sie die uns bereits zugewiesene Kollegin an Ihre ehemalige Stammschule „umgeleitet“ hat, sozusagen im einfachen Austausch. Herzlich Willkommen an unserer Schule!“

      Mit einem breiten Grinsen auf meinem Gesicht schritt ich wenige Minuten später die Treppen empor, erfüllt mit einem Gefühl großer Erleichterung. Zurück im Klassenzimmer unterbreitete ich meinen Schülern, dass sie noch ein weiteres Schuljahr mit mir als Klassenlehrerin Vorlieb nehmen müssten. Ich stand da, sah in ihre Augen und spürte, dass die soeben vollzogene Weichenstellung wichtig für meine zukünftige Entwicklung sein würde und dass ich genau am richtigen Ort war – auch wenn ich noch nicht genau sagen konnte, warum …

      FÜLLE IST NICHT IMMER FINANZIELLER NATUR

      Anfang August – die Anspannung der letzten arbeitsintensiven Schulwochen war gerade im Begriff, von mir abzufallen – machte ich auf meinem täglichen Spaziergang an der ortsansässigen Bankfiliale halt, um meine Kontoauszüge ausdrucken zu lassen. Als ehemalige Bankkauffrau hatte meine Mutter uns stets nahegelegt, die Kontoauszüge regelmäßig zu kontrollieren und damit nicht zu warten, bis die Bank diese nach einer bestimmten Zeit per Post zusenden würde. Ungläubig blieb mein Blick auf dem fettgedruckten neuen Kontostand unten auf dem hellblauen Zettel im C6-Format haften. Wieso, fragte ich mich, hatte ich im Vergleich zum Vormonat so viel weniger Guthaben auf meinem Konto? Ein zweiter Blick fiel auf die Gutschrift meiner monatlichen Dienstbezüge, die um einen beträchtlichen Teil geringer ausgefallen waren als zuvor. Mir kam schlagartig mein Antrag auf Freistellung von vor über zwei Monaten in den Sinn, und allmählich dämmerte es mir … Sollte das etwa bedeuten, dass trotz der versäumten Frist ein positiver Bescheid erteilt worden war?!

      Zu Hause angekommen, schaute ich in mein E-Mail-Postfach,