OUTPOST. Gerd Frey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd Frey
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658524
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bewegten sich beunruhigende Formen. Es handelte sich um Marwaks eingekapselte Seele! Kolvar war vor ein paar Wochen mehr durch Zufall auf diesen mächtigen Zauberspruch gestoßen, mit dem man die Seelen soeben Verstorbener in der materiellen Welt binden konnte. Er begann vorsichtig in den Krater hinabzusteigen, um die gebundene Seele in sich aufzunehmen und damit Marwaks Fähigkeiten den seinen beizufügen.

      Der Boden erzitterte plötzlich. Grollen, Brüllen und Schmerzensgeschrei drang aus den Tiefen der Erde, sodass er entsetzt zurückwich. Etwas schien sich unter ihm durch den Boden zu graben. Genau im Zentrum des Kraters riss die Erde auf und eine gewaltige klauenbewehrte Hand schnappte nach Marwaks Seele. Die Hand gehörte zu einem schwarzen Ungeheuer, das sich laut brüllend aus dem Loch zwängte und dann mit seinem schuppigen Schwanz nach Kolvar schlug. Der Angriff traf ihn hart und schleuderte ihn quer durch die Luft. Er landete wie eine weggeworfene Puppe am Rand des Kraters. Die riesige Hand des Monsters umfasste die blau schimmernde Seele. Tastete sie prüfend ab. Dann schloss sich die Hand um die Kugel und die Kreatur grub sich wieder im Boden ein.

      Kolvar lag zusammengekrümmt auf der ausgedörrten Erde. Lange gelang es ihm nicht, das heftige Zittern seines geschwächten Körpers zu unterdrücken.

      Den Zugang zum Geheimgang aufzuspüren, erwies sich schwieriger als gedacht. Kolvar hatte von dessen Existenz nur durch Zufall erfahren. Er hatte genau am Tag der Sommersonnenwende einen Dieb auf seinem Anwesen gestellt. Die Dreistigkeit des Ganoven imponierte ihm, sodass er dem Dieb gestattete, sich durch die Preisgabe einiger Geheimnisse freizukaufen. Eine kleine Strafe musste dennoch sein, weshalb sich der Halsabschneider jetzt nur noch in einer alten, seit Jahrhunderten vergessenen Sprache artikulieren konnte. Kolvar war jedoch sicher, dass der Bursche gerissen genug war, um auch dies zu seinem Vorteil zu nutzen.

      Obwohl er von dem Geheimgang hinter dem mittleren Bücherregal des Arbeitszimmers wusste, benötigte er länger als erwartet, um den winzigen, in einer der Zierleisten versteckten Schalter zu finden.

      Mit einem trockenen Ächzen des Holzes öffnete sich das Bücherregal wie eine Tür von ihm weg und gab den Blick auf eine dunkle, nach unten führende Treppe frei. Kolvar würde die Bücher nachher genauer in Augenschein nehmen. Da verbarg sich sicher manch wertvoller Schatz.

      Die massiven Steinstufen der alten Treppe waren mit einer dicken Schicht Staub bedeckt. Er lief langsam hinab, darauf bedacht, dabei nicht zu viel Staub aufzuwirbeln. Der gläserne Löwenkopf seines Zauberstabes spendete genügend Licht, um die nähere Umgebung zu erhellen. Marwak schien den Gang nicht allzu oft benutzt zu haben.

      Kolvar konnte es noch immer nicht begreifen. Wie hatte es Marwak nur wagen können, ihm eine so offensichtliche Falle zu stellen. Eine derartige Arroganz und Selbstüberschätzung sah ihm gar nicht ähnlich.

      Kolvar runzelte die Stirn. Vielleicht hatte Marwak unter einem mächtigen Bann gestanden und war nicht mehr Herr seiner selbst gewesen. Dies würde immerhin auch das Auftauchen dieser entsetzlichen Bestie erklären. Kolvar wollte gar nicht darüber nachgrübeln, was die Kreatur mit der erbeuteten Seele alles anzustellen vermochte. Marwak würde mit Sicherheit keinen Spaß daran haben.

      Am Ende der Treppe öffnete sich der Gang zu einem kuppelförmigen Raum. Im Raum selbst befanden sich zwei Tische, ein schmaler Schrank, der ihm bis zur Stirn reichte, ein Bücherregal und eine mit Edelsteinen verzierte Truhe, die genau in der Mitte des Zimmers auf einem runden Podest stand. Der Tisch war mit einer Vielzahl an Phiolen, verschieden großen Glasbehältern und Reagenzien zugestellt, der andere diente als Sekretär. Auf dem Sekretär befand sich ein unverschlossenes Tintenfass neben einem zur Hälfte beschriebenen Pergament. In der Ablage lehnte eine Schreibfeder, an deren Spitze Reste von Tinte getrocknet waren. Kolvar hob das Blatt an. Unbekannte Schriftzeichen! Alles machte den Eindruck, als wäre Marwak bei etwas unterbrochen wurden und hätte den Raum in großer Eile verlassen.

      Kolvar schaute sich das Bücherregal genauer an. Darin befanden sich hauptsächlich Folianten, die sich mit Alchemie, Giften, magischen Tränken und Ähnlichem beschäftigten. Nichts wirklich Außergewöhnliches. An der Wand zwischen den beiden Tischen hing ein schwerer blauer Gobelin. Ein wertvolles, mit aufwendigen Stickereien versehenes Stück. Kolvar befühlte den Stoff. Der Gobelin war weich und ohne sichtbare Alterserscheinungen, als hätte man ihn erst vor Kurzem angefertigt. Diesen Schatz würde er sich nicht entgehen lassen.

      Das wertvollste Objekt schien sich jedoch innerhalb der Truhe zu befinden. Überraschenderweise war sie unverschlossen. Kolvar hob die Abdeckung. Innen war die Truhe mit rotem Samt bespannt. In zwei separaten Aussparungen befanden sich ein kleines Buch und eine silberne Kapsel. Kolvar verstaute beides in seinem Gewand.

      Eine seltsame Unruhe erfasste ihn plötzlich. Sein Körper erspürte instinktiv, dass eine Veränderung eingetreten war. Nicht sofort fassbar, berührte sie dennoch die Ebenen des Unbewussten. Er besaß ein untrügliches Gespür für Gefahr und hatte jetzt das drängende Bedürfnis, so schnell wie möglich von hier wegzukommen.

      Er hatte sich kaum umgewandt, als der Boden erzitterte. Staub und kleine Steine rieselten von der Decke. Kolvar tippte auf die grauenhafte Kreatur, die sich Marwaks Seele bemächtigt hatte und in ihm wohl neue Beute witterte. Er lief, so schnell es ihm möglich war, wieder die Treppe hinauf. Mit wem oder was hatte sich der alte Zauberer da nur eingelassen?

      Kolvar sondierte mit schnellen Blicken die Umgebung. Er konnte es sich nicht leisten, in dem riesigen Schloss die Orientierung zu verlieren.

      Ohrenbetäubendes Krachen hinter ihm. Steine polterten zu Boden. Der Gang, durch den er gerade lief, schien kein Ende zu nehmen: eine von Marwaks lächerlichen Fallen, die ihm im Augenblick jedoch zum Verhängnis zu werden drohte. Silbern fächerte Mondlicht durch die schmalen Fenster links von ihm. Kolvar schüttelte verwirrt den Kopf, schließlich war es mitten am Tag. Endlich erreichte er die schwere massive Tür am Ende des Ganges. Er stieß sie auf und betrat die mit prachtvollen Gemälden und Wandverzierungen geschmückte Eingangshalle. Rechts und links von ihm führten breite Treppenfluchten zur nächsten Etage.

      Die Präsenz eines mächtigen Wesens erstickte jegliche magische Energie im Raum. Die Kreatur suchte ihn, während ihm nur noch ein Ausweg blieb. Kolvar lief auf das massive Eingangsportal zu. Die Türen waren mit eindrucksvollen Schnitzereien versehen. Teufelsköpfe, in deren Augenhöhlen rote Edelsteine blitzten. Höhnisch starrten sie ihm entgegen. Kaum näherte er sich den beiden Türhälften, wanden sich schmale Äste aus dem alten Holz. Sie wuchsen in rasender Geschwindigkeit und schlangen sich dabei so dicht umeinander, dass sich die Tür nicht mehr öffnen ließ.

      Kolvar hob den Stab. Seine Hände zitterten, während er den Zauber des Einfachen Verkümmerns sprach. Seine magischen Kräfte waren jedoch noch vom Kampf gegen Marwak geschwächt. Kurzzeitig schrumpften die Äste um eine Winzigkeit, nur um sich daraufhin umso machtvoller zu entfalten. Kolvar war gefangen. Obwohl er nicht genau wusste, was da auf ihn lauerte, war er sicher, dass es sein Ende bedeuten würde.

      Der Boden bebte. Dumpfe, machtvolle Schläge. Die Erschütterungen waren so stark, dass Kolvar den Halt verlor und schmerzhaft gegen das Treppengeländer torkelte. Ihm blieb keine Wahl. Er zog eine winzige blaue Perle aus seinem Umhang und schleuderte sie so heftig auf den Boden, dass diese zerplatzte. Ein greller Lichtblitz erhellte die Eingangshalle und ein schimmerndes Portal entfaltete sich direkt vor ihm. Kolvar besaß nur diese eine Perle und es ärgerte ihn furchtbar, dass er das seltene Artefakt einer Portalmagie bei so einer unergiebigen Gelegenheit verschwenden musste.

      Das wabernde Oval zeigte einen Ausschnitt sonnenbeschienen Waldes, auf den Kolvar mit wehendem Mantel zulief. Als hinter ihm der Boden aufbrach und wütendes Brüllen alle anderen Geräusche hinweg fegte, trat er schon in das weiche Gras einer weit entfernten Lichtung.

      Die Aussicht aus dem Kristallglasfenster seines Arbeitszimmers erlaubte Kolvar einen umfassenden Blick auf den weitläufigen Garten seines Anwesens. Die altersschwache Sonne spendete mehr Licht und Wärme als üblich und hüllte die kunstvoll beschnittenen Bäume in sanftes rötliches Licht. Der Gärtner, den Kolvar seit einiger Zeit beschäftigte, vollbrachte wahre Wunder. Die aus aller Welt stammende Flora gedieh prächtig. Der wolkenlose Himmel überspannte die Landschaft mit der Illusion von Frieden und Unschuld.

      Kolvar