OUTPOST. Gerd Frey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd Frey
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658524
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des Anzugs) und drückte schließlich auf die grüne Auslöseplatte.

      Weißes Licht … Augenblicke stillen Verharrens … schließlich ungebremstes Fallen, in eine nicht auslotbare Tiefe. Dieses Gefühl entsprach exakt Martins Horrorvorstellung, in einem abstürzenden Fahrstuhl gefangen zu sein. Augenblicke später packte etwas seinen Körper und riss ihn aus dem weißen Licht.

      Er stand wieder in der Kommandozentrale seines kleinen Raumschiffs … jedoch um eine ganze Stunde in die Vergangenheit versetzt. Seltsam ernüchtert zuckte er mit den Schultern. Er hatte sich den Vorgang irgendwie … spektakulärer vorgestellt.

      Martin schaute sich prüfend um. Eine Stunde zuvor hatte er für längere Zeit im beengten Vakuumsanitärmodul gesessen (ohne den hochleistungsfähigen Luftabsauger unmöglich) und Toilettenpapierlyrik gelesen. Er würde sich daher nicht selbst über den Weg laufen. Er löste die Schrauben vom Schutzblech der Abfallschleuder und versuchte, die Sicherung herauszuziehen. Das Ding klemmte, und er musste erst mit einem Schraubendreher nachhelfen, um den kleinen Zylinder zu lockern und aus der Halterung zu hebeln. Die Prozedur dauerte länger als geplant und drohte, seinen Zeitplan durcheinanderzubringen. Hektisch klappte er das Abdeckblech zurück und wollte gerade wieder in seine Gegenwart zurückkehren, als sich die Tür der Sanitäreinheit öffnete. Einige Sekunden später stand er sich selbst gegenüber.

      Ganz automatisch – und ohne sich dagegen wehren zu können, als stünde er unter fremder Kontrolle – zog er seinen Reparaturlaser aus dem Halfter, stellte ihn auf maximalen Energieausstoß und richtete ihn auf sein altes Ich.

      Um ein Paradoxon zu verhindern, musste er ein Paradoxon begehen. Ziemlich paradox.

      Er erschoss sich und beobachtete ungerührt, wie sein Körper längs nach hinten stürzte. Ein dumpfer und wuchtiger Aufschlag. Seltsamerweise gab es kein Blut an seiner Leiche. Wie in Trance machte er die Abfallschleuder wieder scharf, lud seinen leblosen Körper hinein und entsorgte sich selbst ins Weltall. Sogar für einen abgebrühten Agenten wie ihn eine mehr als bizarre Situation. Danach entfernte er zum zweiten Mal die Sicherung. Seine Finger huschten schnell über die kaum spürbaren Sensorflächen und aktivierten die Rückkehrfunktion im Zeitreiseanzug.

      Sekundenbruchteile später befand er sich wieder in seiner eigenen Gegenwart. Irritiert blickte er aus dem Bullauge. Er entdeckte seine langsam vom Schiff wegtrudelnde Leiche – ein immer kleiner werdender weißer Fleck – und nur wenige Meter von seinem Ausblick entfernt zwei Bällchen aus zusammengeknülltem Zeitungspapier. Irgendetwas missfiel ihm an diesem Bild, und er hatte das Gefühl, als wäre hier etwas wirklich schiefgelaufen.

      Mit dem Greifarm des Schiffs fischte er eines der Papierbällchen aus der Kälte des Weltraums und begann sofort mit der Dechiffrierung der verschlüsselten Nachricht. Die Botschaft stammte von Zzreccczibrizzi, einem Doppeldoppelagenten. Zzreccczibrizzi verführte – in der jeweiligen Gestalt der auszuspionierenden Aliens – die Partner(innen) hochrangiger Regierungsrepräsentanten und gelangte so an hochbrisante Informationen, die er gewinnbringend an den Meistbietenden verkaufte. Oft war dies sogar jene Partei, von der die Informationen ursprünglich stammten. Zzreccczibrizzi war ein Ehrenmann – zumeist jedenfalls.

      Als Martin die Dechiffrierung abgeschlossen hatte, überflog er den Text. Laut Zzreccczibrizzis Informationen planten die Regellaner, die Menschheit auf neuronaler Ebene auszubeuten. Seit mehr als siebzig Jahren war über die Hälfte der Menschheit der Abhängigkeit von Videospielen verfallen. Die andere Hälfte saß währenddessen vor ihren riesigen Wanddisplays und schlug die Zeit bis zur nächsten Mahlzeit mit dem Anschauen von Quizsendungen, Realityshows und Unterhaltungsserien tot. Diese seltsamen und unproduktiven Angewohnheiten der Erdenbewohner versuchten die Regellaner zu nutzen, um die Menschheit in eine riesige Bio-Supercomputer-Einheit (BSE) zu transformieren. Hunderte Handelsreisende waren schon unterwegs, um preisgünstige Virtual-3-D-Bottiche an ahnungslose Videospielefans zu verkaufen. Während des Spielens wurden in den Bottichen die ungenutzten Bereiche des menschlichen Gehirns (die in den letzten Jahren wieder größer wurden) zur Datenverarbeitung genutzt.

      Martin warf den Ausdruck mit dem entschlüsselten Text und das Zeitungspapier in den Aktenvernichter. Irritiert beobachtete er eine kleine Metallmaus dabei, wie sie die Papierschnipsel verschlang und sich dann mit einem kühnen Sprung in einen offenstehenden Reparaturschacht davonmachte.

      »Dave … ähhh … Martin«, hauchte die einschmeichelnde Stimme der Schiffs-KI. »Ich registrierte gerade einen unerwarteten Masseverlust.«

      »Schön!«, erwiderte Martin und beobachtete durch das Bullauge, wie sich mit wachsender Geschwindigkeit ein Miniaturraumschiff in Richtung des nächstliegenden Wurmlochs entfernte.

      Martin hörte es hinter sich rascheln. Er drehte sich um. Ein Klumpen grauer Materie fiel von der Decke und verwandelte sich in die monochrome Karikatur eines Menschen.

      »Ich bin ein Wächter«, zischelte der Außerirdische durch seinen verkniffenen Mund. »Wir hätten euch nie die Technologie des Zeitreisens überlassen sollen. Durch dein unbedachtes Vorgehen hast du das Gleichgewicht der Dimensionen in Schwingungen versetzt, die sich nun partiell zu überlagern beginnen.«

      »Ihr habt uns nie die Technologie des Zeitreisens überlassen«, stellte Martin richtig. »Zzreccczibrizzi hat sie uns für die vollständigen Rechte an der Nachnutzung der Erde – falls sich die Menschheit einmal selbst auslöschen sollte – veräußert.«

      »Unwichtig!«, entgegnete der Wächter und hatte dabei sichtbare Schwierigkeiten, seine menschliche Gestalt aufrechtzuerhalten. »Und ziemlich dumm! Wir behalten dich im Auge.«

      Ein kurzes Flirren der Luft und der Wächter verschwand mit einem lauten Knall.

      Martin wurde auf drei kurze Klopfgeräusche hinter sich aufmerksam. Er drehte sich um und sah, wie eine Briefsendung aus dem Schlitz seines Postfachs in das Auffanggitter fiel. Er fischte das kleine Paket aus dem Gitter und drehte es in seinen Händen. Auf der Vorderseite stand sein Name und daneben prangte der leicht verschmierte Abdruck eines roten Warnstempels.

      VORSICHT: KANN BEIM ÖFFNEN ZU UNERWÜNSCHTEN NEBENEFFEKTEN FÜHREN!

      Darunter – sehr klein gedruckt: Bitte nur im Freien benutzen.

      Ohne mit der Wimper zu zucken, entfernte er die Sicherheitsbanderole und riss das Päckchen auf. Er entnahm einen sehr dicken Brief. Während des Auseinanderfaltens (der Brief war nach einem komplizierten und verwirrenden Muster gefalzt) konnte er spüren, wie sich die Raumstruktur um ihn herum veränderte. Der Brief öffnete sich zu einem riesigen Verkaufsraum voll seltsamer Geräte, die allesamt wie Inkubatoreinheiten aussahen. Im Hintergrund bewegte sich etwas, und kurz darauf stand ein kleiner Verkaufsroboter, nicht ganz so groß wie ein ausgewachsener Schäferhund, vor ihm. Der Roboter bestand aus einer graugrünen halbtransparenten Kugel, die sich irgendwie auf vier mehrgelenkigen dünnen Füßen vorwärtsbewegte.

      »Die regellanische Handelsabteilung heißt Sie herzlich willkommen«, knarzte es eine Spur zu laut aus einem unsichtbaren Lautsprecher. »Möchten Sie eines unserer Geräte ausprobieren? Mit BrainStorm XL, unserer High-End-3-D-Virtual-Machine für gefühlsechte Effekte und dem neusten Videospielhit Dumm 3000 erleben Sie nie gesehene Dimensionen in einer perfekt inszenierten virtuellen Spielumgebung. Außerdem eignet sich unsere BrainStorm XL als Massagegerät und Entspannungseinheit.«

      Martins jahrelanges Training an Videospielautomaten hatte seine Reflexe geschärft. Er zog seine Laserpistole aus dem Halfter und beobachtete verwundert, wie sich diese in einen überdimensionalen Raketenwerfer verwandelte. Das Ding war so schwer, dass er beinah vornüber fiel. Der Verkaufsroboter begann panisch davonzutrippeln und stolperte dabei mit auffälliger Beharrlichkeit über seine Metallfüße. Martin feuerte die Waffe ab und beobachtete mit fast schon dümmlichem Staunen, wie die Rakete in Zeitlupe an dem Roboter vorbeizog, mit der dahinterliegenden Wand kollidierte und ein metergroßes Loch in die Raumstruktur stanzte. In dem Loch loderte gleißendes Licht.

      Martin feuerte den Raketenwerfer nun im Sekundentakt ab, während sich der Roboter mit eleganten Sprüngen aus der Schusslinie brachte. Nach einiger Zeit hatte Martin so viele Löcher in die Umgebung gesprengt, dass der Roboter irgendwann in eines hineinfiel