OUTPOST. Gerd Frey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd Frey
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658524
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Verwesung drang ihm in die Nase. Schließlich erreichte er die Stelle, an der er den Samen gepflanzt hatte.

      Die Größe der Frucht übertraf Kolvars Erwartungen. Ihre Hülle erinnerte ihn an dunkle ledrige Haut, unter deren grünlich schimmernder Oberfläche sich ein dicht verästeltes Adergeflecht ausbreitete. Die monströse Frucht schien wie im Rhythmus eines Herzschlages zu pulsieren.

      Eine Stimme krächzte. Es klang, als versuchte ein Tier, sich in menschlicher Sprache zu artikulieren. Kolvar trat näher an den bizarren Fruchtkörper heran. Vorsichtig berührte er mit seinen Fingerspitzen dessen feucht glänzende Oberfläche. Diese fühlte sich wie sprödes Pergament an.

      Kolvar zuckte zurück, als eine rötlich schimmernde Hand die Fruchthülle durchstieß. Stinkende, gelbliche Flüssigkeit quoll aus der Öffnung und ein grausiges Gebrüll, wie nur Irrsinnige es hervorzubringen vermochten, drückte sämtliche anderen Geräusche nieder. Eine zweite Hand drängte sich durch die entstandene Öffnung und beide Hände drückten die Bruchstelle auseinander. Ein Riss öffnete sich. Mehr und mehr Flüssigkeit sprudelte hervor und benetzte den Boden. Ein unangenehm reißendes Geräusch ertönte plötzlich. Die Öffnung vergrößerte sich schlagartig. Mit einem gewaltigen Schwall wurde die eingeschlossene Kreatur hinaus auf die Erde gespült. Die Frucht fiel mit feuchtem Schmatzen in sich zusammen.

      Das schleimüberzogene Wesen lag einige Augenblicke völlig regungslos inmitten der dampfenden Brühe. Dann kam Leben in den bleichen Leib. Langsam erhob sich die unheimliche Gestalt. Kolvar wich zurück, als er in das Gesicht der Kreatur blickte. Schleimfäden hingen ihm von Nase, Lippen und Stirn. Es bestand kein Zweifel, es war sein eigenes Gesicht, in das er da blickte.

      »Das kann nicht sein«, stammelte Kolvar.

      Hinter ihm ertönte das Lachen des Gärtners: »Es geschieht alles so, wie es vorgesehen ist.«

      Kolvar drehte sich um und sah gerade noch die Gestalt des Gärtners verschwimmen und sich seltsam verzerren. Das Gesicht gerann kurzzeitig zu einer grotesken Fratze und einen Augenblick später stand der spöttisch lächelnde und makellos gekleidete Ikondrar vor ihm. Ein simpler Verwandlungszauber …

      »Baldrug hat mir alles gestanden«, sagte Ikondrar, dessen unbeschwerter Blick Kolvar schmerzhafte Stiche versetzte. »Ich habe daraufhin einen Überfall arrangiert, um Euch mit der bezaubernden Leena bekannt zu machen. Sie besorgte mir etwas von Eurem wertvollen Blut. Ihr habt nicht einmal bemerkt, dass sie Euch ein Schlafmittel in den Wein mischte. Ihr könnt Euch sicherlich denken, wofür ich das Blut benötigte …«

      Kolvar traf ein harter Schlag auf den Hinterkopf, sodass er nach vorn taumelte und beinahe zu Boden stürzte.

      »Verzeiht mir, dass ich nicht zusehen kann, wie Euch Euer Ebenbild von Eurer jämmerlichen Existenz befreit«, rief Ikondrar. »Ich muss noch Baldrugs Tochter aus Eurem simplen magischen Gefängnis befreien. Dafür habt Ihr doch sicher Verständnis.«

      Kolvar traf ein weiterer heftiger Schlag auf den Rücken. Es gelang ihm, sich umzuwenden, bevor die nächste Attacke auf ihn niederprasselte.

      In dem so vertrauten Gesicht seines Doppelgängers zeichnete sich nicht die geringste menschliche Regung ab.

      Time Erase

      Paul nannte den Mars auch gern den Planeten der gescheiterten Beziehungen. Kein normaler Mensch würde freiwillig seine Zeit hier verbringen. Früher gingen die Menschen ins Kloster, um sich eine Auszeit von der Welt zu nehmen. Heute flogen sie zum Mars.

      Der Blick aus dem zerkratzten Cockpitfenster des kleinen Rovers wirkte trostlos und unspektakulär. Er hätte sich ebenso gut zwischen den endlosen Dünenflächen einer irdischen Wüste befinden können. Der Sand besaß vielleicht eine etwas rötlichere Tönung, doch dies konnte auch auf Einbildung zurückzuführen sein. Zumindest die Sonne brannte hier kleiner und stechender vom Himmel herab, als auf der Erde.

      Die Werbefilme der EMP vermarkteten den Mars als großes Abenteuer für wagemutige Frauen und Männer. In Wirklichkeit bestand der größte Teil der hier verbrachten Zeit aus monotonen Reparatureinsätzen und dem Warten auf die nächste Havarie. Hinzu kam ein täglich zu absolvierendes Muskelaufbautraining von mehreren Stunden. Ohne dieses Training würde der Muskelapparat – der geringeren Schwerkraft wegen – innerhalb weniger Wochen spürbar an Masse verlieren. Spannend war dies allenfalls für Fitnessfanatiker.

      Durch die dünne Atmosphäre konnte Paul schon von Weitem den Turm der automatischen Abbauanlage erkennen. Die sich vor dem helleren Hintergrund abzeichnende Silhouette erinnerte ihn ein wenig an den vor zwölf Jahren bei einem terroristischen Anschlag gesprengten Eiffelturm.

      Seit zwei Stunden war er jetzt auf den Beinen. Das automatische Störungsposting hatte ihn nach nur vier Stunden Schlaf aus den Träumen gerissen. Ein Teil des Kühlsystems war ausgefallen und die Anlage arbeitete nur noch mit halber Leistung. Seinen Auftraggeber, die LMC, kosteten solche Ausfälle ein Vermögen. Die Unterhaltung eines marsianischen Außenpostens zählte noch immer zu den teuersten unternehmerischen Projekten weltweit. Regierungen allein konnten solch kapitalintensive Vorhaben schon lange nicht mehr stemmen. Fast alle demokratischen Länder der Erde waren inzwischen stark verschuldet und besaßen kaum noch wirtschaftlichen Einfluss. Die immer weiter erodierenden Staatengebilde verwalteten allenfalls die wachsende Armut und koordinierten regionale Ressourcenkriege, die von privat verwalteten Armeen geführt wurden. Die Privatwirtschaft war daher bei der Eroberung des Sonnensystems federführend.

      Eine Erschütterungswelle durchlief den Boden. Im selben Augenblick schnellte eine silbern schimmernde Nadel aus der flachen Kuppel der Abbauanlage. Der winzige Punkt verlor sich im dunklen Marshimmel.

      Die abgebauten und aufbereiteten Metalle wurden mittels einer Induktionsschleuder in Richtung Erde geschossen. Ein riesiges Projektil aus massivem Metall. Um Kurskorrekturen vornehmen zu können, verbaute man winzige Seitentriebwerke an dem Zylinder. Ein Fallschirm sorgte dann für eine weiche Landung auf der Erde.

      Ohne einmal vom Kurs abzuweichen, setzte der Autopilot des Rovers die Fahrt fort. Etwa zwanzig Minuten von der Abbauanlage entfernt, stach plötzlich spitzes Pfeifen in seine Ohren. Dunkel huschte etwas durch sein Blickfeld. Kurz darauf eine rot leuchtende Explosion. Der Rover schlingerte, während Paul kräftig durchgeschüttelt wurde. Die Gurte schnitten schmerzhaft in seine Haut und die Sitzaufhängung ächzte unter der Belastung. Sekunden später kam das Fahrzeug zum Stehen. Stille. Eine rot blinkende Anzeige informierte über einen leichten Druckabfall. Erst jetzt spürte Paul, dass seine Hände verkrampft die Armlehnen umklammerten. Er lockerte den Griff. Lehnte sich zurück. In seinem Kopf drehte sich alles. Eine leichte Benommenheit, als hätte er in kurzer Zeit eine halbe Flasche Wein geleert.

      Draußen lichtete sich langsam der hochgewirbelte Staub und die Konturen der Landschaft traten wieder hervor. Durch das Cockpitfenster erblickte er einen kleinen Krater, den es zuvor hier nicht gegeben hatte. Obwohl Meteoritenabstürze auf dem Mars nur unwesentlich häufiger als auf der Erde vorkamen, hatte er beinahe das Glück gehabt, von einem dieser kosmischen Vagabunden pulverisiert zu werden.

      Sein Blick wanderte über die Bereitschaftsanzeigen. Bis auf den minimalen Druckabfall befand sich alles im grünen Bereich. Paul war gerade dabei, den Autopiloten neu zu starten, als er auf ein helles Flimmern aus dem Krater aufmerksam wurde.

      Das Fauchen verstummte. Druckausgleich erfolgreich. Die Ausstiegsluke entriegelte sich mit einem deutlich vernehmbaren Klicken und öffnete sich automatisch. Er trat in dem silbern schimmernden Raumanzug ins Freie. Einen Augenblick lang fühlte er sich wie einer jener legendären Marspioniere, die damals ohne Rückfahrkarte auf dem Planeten gelandet waren. Drei Monate später verursachte eine schwere Havarie einen Ausfall der lebenserhaltenden Systeme. Nach einer von den Medien bis zur Schmerzgrenze zelebrierten Trauerzeit waren die Menschen, die hier ihr Leben gelassen hatten, schnell vergessen.

      Paul stapfte langsam auf den Krater zu. Durch die geringere Gravitation spürte er die Schwere des Raumanzugs kaum. Der Boden war recht fest und von unzähligen Steinbrocken übersät. Die Sonne stand in seinem Rücken und Paul warf einen meterlangen, scharf umrissenen Schatten, der bis an die Einschlagstelle des Meteoriten heranreichte.