Seewölfe Paket 28. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954399963
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unter Kontrolle halten. Üzürgül vertrug Alkohol in Unmengen, und er war selbst dann noch hellwach und wachsam, wenn andere schon schnarchend alle viere von sich gestreckt hatten. Außerdem wußte er, daß Günel bei seinem Gefangenen war. Üzürgül verstand es, stets dafür zu sorgen, daß er jemanden hatte, den er zur Rechenschaft ziehen konnte.

      Gegen Mitternacht wurde der Lärm schwächer. Immer mehr Gröler verstummten. Die Lautstärke der Stimmen sank auf ein dumpfes Lallen zurück.

      Günel hob den Kopf in der Armbeuge des Seewolfs.

      „Jetzt ist unser Traum fast zu Ende“, sagte sie mit matter Stimme. Sie brachte ein Lächeln zustande. „Und stell dir vor, wie bitter es für mich ist, den genauen Zeitpunkt dieses Endes selbst zu bestimmen.“

      „Du siehst nicht nach Bitterkeit aus.“

      „Nein. Du hast recht.“ Sie setzte sich halb auf und blickte voller Sanftheit auf ihn hinunter. „Es ist so, wie ich gesagt habe. Die Stunden unseres Wirklichkeit gewordenen Traums werden zu einem kostbaren Schatz in meiner Erinnerung werden. Dafür werde ich immer dankbar sein.“

      „Hältst du mich für einen gefühllosen Holzklotz?“

      „Wieso?“ Sie zog die Stirn kraus, und kleine Fältchen entstanden auch über ihrer schmalen Nase.

      „Weil du ständig nur von deiner Erinnerung sprichst.“

      Sie strich mit den Fingerkuppen ihrer rechten Hand über seine harten Armmuskeln.

      „Verzeih. Willst du damit sagen, daß du auch mich nicht vergessen wirst?“

      „Genau das.“

      Sie senkte ihre Stimme.

      „Es macht mich stolz und glücklich zugleich, das zu hören.“ Nach einem langen, stummen Blick beugte sie sich zu ihm und küßte ihn.

      Unvermittelt waren Schritte zu hören. Die Schritte wurden lauter als das nachlassende Stimmengemurmel. Im nächsten Moment stand eindeutig fest, daß sich die Schritte dem Zelt näherten.

      Günel hatte sich aufgerichtet, und der Seewolf war ihrem Beispiel gefolgt.

      „Das ist der Posten“, flüsterte Günel. „Er dürfte zwar nicht mehr ganz sicher auf den Beinen sein, aber er wird nicht einschlafen. Dazu hat er zuviel Angst vor Üzürgül. Wer auf Wache schläft, wird zum Tode verurteilt. Enthauptung. Wir hatten schon ein paarmal solche grausigen Schauspiele. Üzürgül hat mir erklärt, daß es abschreckend wirkt und die Kerle vor Nachlässigkeiten bewahrt.“

      „Er weiß, was er tut“, entgegnete Hasard ebenso leise. „Wo steckt er jetzt?“

      „In seinem Zelt“, erwiderte Günel. „Daß er den Posten schickt, besagt, daß er sich ins Zelt zurückgezogen hat. Unsere Gelegenheit, Hasard.“

      Der Seewolf nickte. Günel kannte den Ablauf des Lagerlebens genau. Sie würde wissen, was sie zu tun hatte.

      „Bestimmt hast du dir einen Plan zurechtgelegt“, flüsterte er.

      Sie richtete sich auf und verhüllte ihre Nacktheit mit dem Seidengewand. Dann bückte sie sich noch einmal und reichte ihm die Scheide mit dem Krummdolch. Es befanden sich schmale Lederriemen daran, mit denen sie die Scheide knapp unterhalb ihres Knies am rechten Bein zu tragen pflegte.

      „Es gibt nur eine Möglichkeit“, sagte Günel. „Da der Posten nie und nimmer einschlafen wird, müssen wir ihn überwältigen.“ Sie zeigte auf den Dolch, den Hasard zwischen den Fingern beider Hände drehte. „Du wirst ihn töten müssen. Nur dann haben wir eine Chance. Selbst in einer Bewußtlosigkeit würde der Mann noch so viel Willenskraft aufbringen, daß er schnell genug aufwacht, um Üzürgül zu alarmieren.“

      „Mir scheint, du glaubst an die verborgenen Geisteskräfte des Menschen.“

      „Du hast mich durchschaut. Es ist wahr. Aber glaubst du denn nicht, daß die Angst vor Üzürgül selbst solche Dinge bewirken kann?“

      „Ich halte es nicht für ausgeschlossen“, antwortete Hasard. „Aber wir brauchen nicht mehr darüber zu reden. Wir werden es so tun, wie du sagst. Ich nehme an, du gehst als erste hinaus, um den Wächter abzulenken.“

      „Das habe ich vor“, erwiderte Günel. „Bist du einverstanden?“

      „Nur, wenn du dich nicht in Gefahr bringst.“

      „Keine Sorge. Wir werden ein kleines Schauspiel inszenieren. Wir fangen an, uns zu streiten, damit der Bursche draußen die Ohren spitzt. Und dann wird er keinen Verdacht schöpfen, wenn ich mich ihm hilfesuchend an den Hals werfe.“

      „Die Wirksamkeit der weiblichen List“, sagte Hasard lächelnd. „Dagegen ist einfach kein Kraut gewachsen.“

      „Du mußt nur den richtigen Moment abpassen, in dem du zur Stelle bist.“

      Der Seewolf nickte ihr beruhigend zu. Dann streifte er seine Sachen über und stieg in die Stulpenstiefel. Günel küßte ihn noch einmal, bevor sie loslegte.

      „Bist du verrückt geworden!“ fauchte sie laut und vernehmlich. „Wie kannst du so etwas von mir verlangen!“

      Er grinste. Ihre Inszenierung war in der Tat hervorragend.

      „Sei still!“ rief er mit gepreßter Stimme. „Um Himmels willen sei still. Wenn einer hört …“

      „Ich denke nicht daran!“ fiel sie ihm mit gellender Stimme ins Wort. „Faß mich nicht an! Wage es nicht! Wenn das deine wirklichen Absichten waren, will ich mit dir nichts mehr zu tun haben. Du verdammter, hinterlistiger Kerl!“ Sie warf sich herum und lief zum Zelteingang.

      „Günel, so hör doch!“ rief Hasard in gespielter Verzweiflung. „Sei doch vernünftig! Ich habe doch nichts getan, was …“ Er brach ab, seufzte tief.

      Günel hatte die Rinderhaut zur Seite geschlagen und schlüpfte ins Freie.

      Hasard hörte, wie sie mit dem Posten redete.

      „Hast du mitgekriegt, was er von mir verlangte?“ fragte sie auf türkisch. Ihre Stimme bebte vor Empörung.

      „Ein bißchen“, sagte der Mann mit schwerer Zunge. „Irgendwas wollte er von dir, was? Irgendwas, was du nicht willst. War doch so, oder?“ Er lachte meckernd.

      „Du bist ja betrunken!“ rief Günel vorwurfsvoll. „Reiß dich gefälligst zusammen. Ich werde sonst Üzürgül melden, wie hilfsbereit du zu mir warst.“

      Auf einen Schlag hörte sich der Posten hellwach an.

      „Was war es?“ fragte er kurz angebunden. „Soll ich Alarm schlagen?“

      „Das wird nicht nötig sein.“ Günel tat, als müsse sie tief Luft holen, um die Aufregung zu überwinden. „Der verfluchte Hund hat von mir verlangt, ihm bei der Flucht zu helfen. Er hat allen Ernstes verlangt, ihn auf einem sicheren Weg hinauszubringen. Ich konnte gerade noch entwischen. Er war so weit, daß er mich mit Gewalt dazu zwingen wollte.“

      „Ach so“, sagte der Posten, und es klang beinahe enttäuscht.

      „Wolltest du etwas anderes hören, du Mistkerl?“ zischte Günel erbost. „Du wirst jetzt gut auf ihn aufpassen, verstanden? Die Verantwortung für ihn liegt ab sofort wieder bei dir.“

      „Meine Güte, sei doch nicht so kratzbürstig“, sagte der Posten. Das Rascheln von Stoff war zu vernehmen. „Machen wir uns die letzten Nachtstunden ein bißchen gemütlich. Einverstanden?“

      „Laß mich los!“ ächzte Günel. „Wenn du mich nicht sofort losläßt, werde ich Üzürgül alles sagen.“

      „Und ich werde alles abstreiten“, entgegnete der Posten lachend. „Ich werde ihm sagen, daß du in Wahrheit scharf auf mich warst. Kein Wunder, nach der Enttäuschung mit dem Engländer.“

      „Untersteh dich!“ rief Günel, und die Anstrengung, mit der sie sich loszureißen versuchte, war ihrer Stimme anzuhören.