Seewölfe Paket 28. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954399963
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zu erreichen.

      Die Türken überwanden ihren Schreck, als sie die Jolle zum Greifen nahe vor sich sahen. Sie griffen zu Krummdolchen und Säbeln, die sie lediglich auf den Decksplanken abgelegt hatten.

      Die Männer in der Jolle holten die Riemen ein und nutzten den letzten Schwung, mit dem die Jolle vom Bug der „Santa Barbara“ her auf die Dhau zuglitt.

      Carberry und Ferris Tucker hatten sich als erste von der Ducht aufgerichtet und umgewandt. Im Bug der Jolle zog Carberry den Säbel. Ferris Tucker packte die schwere Schiffszimmermannsaxt, die Waffe, die er immer noch am liebsten verwendete.

      Der Bug der Jolle war noch einen halben Yard von der Bordwand der Dhau entfernt, als die beiden hünenhaften Männer sprangen. Mit sausenden Hieben trieben sie die Türken zurück. Klingen blitzten. Die ersten Schreie gellten, als die beiden Riesenkerle von der „Santa Barbara“ gnadenlos vordrangen.

      Ihre Gefährten folgten ihnen im nächsten Augenblick.

      Die Entersäbel der Arwenacks schwirrten und verursachten blitzende Reflexe im späten Sonnenschein. Stahl prallte hell klingend auf Stahl, und die Krummsäbel und -dolche erwiesen sich wieder einmal als kreuzgefährliche Blankwaffen, die man wegen ihres ungewöhnlichen Aussehens nicht unterschätzen durfte.

      Die Türken waren hervorragende Kämpfer, doch sie begegneten einer Crew, die die Hölle hundertfach bezwungen hatte. Und die Gefährten des Seewolfs kannten keine Gnade, denn sie wußten, daß von nun an jede Minute kostbar war. Es ging um Hasards Leben, das diese Kerle auf niederträchtige Weise in die Gewalt ihres Anführers gebracht hatten.

      Die Männer von der „Santa Barbara“ wußten, daß sie den Schlupfwinkel der Küstenhaie spätestens zu dem Zeitpunkt erreichen mußten, zu dem Gökhüyük und seine Meute zurückerwartet wurden.

      Die Arwenacks drängten die Türken an Bord der Dhau immer weiter zurück. Mit jedem Schritt schmolz die Zahl der Küstenpiraten zusammen. Todesschreie und gurgelnde, erstickende Laute schienen nicht abreißen zu wollen.

      Dann, endlich, war Stille.

      Dan O’Flynn und seine Mannen übergaben die Toten der See.

      Auf dem Achterdeck der „Santa Barbara“ hatte Ben Brighton den Entersäbel weggenommen. Mehmet Gökhüyük stand wie versteinert da. Er sah, daß er der einzige Überlebende aus seiner Mannschaft war. Er sah, wie die Sieger des Kampfes das Deck reinigten. Sie selbst hatten nur ein paar unbedeutende Blessuren einstecken müssen.

      Gökhüyük begriff, daß er an die Falschen geraten war. Diese eisenharten Kämpfer waren eine unbezwingbare Gewalt, das mußte er jetzt einsehen. Und da die Jolle auf der anderen Seite des Schiffes einsatzbereit gewesen war, hatten sie offenbar von vornherein gewußt, was sich abspielen würde.

      Sie waren darauf vorbereitet gewesen.

      Nur das eine begriff Mehmet Gökhüyük nicht: Diese rauhbeinigen Burschen setzten doch nach wie vor das Leben ihres Kapitäns aufs Spiel. Ja, vielleicht würde das noch ernsthafter als zuvor der Fall sein.

      War dieser Erste Offizier allen Ernstes drauf und dran, wirklich das Schiff zu übernehmen?

      Gökhüyük verstand überhaupt nichts mehr, als Ben Brighton ihn fesseln und an Bord der Dhau bringen ließ. Die Hälfte der Crew blieb an Bord der „Santa Barbara“ zurück. Die anderen übernahmen die Dhau. Proviant, Trinkwasser, Waffen und Munition aus der Jolle waren bereits an Bord gemannt worden.

      Noch vor Sonnenuntergang segelten die Arwenacks mit der Dhau nach Westen. Das Kommando hatte Dan O’Flynn übernommen, und Don Juan de Alcazar war als sein Stellvertreter dabei. Der Wind war nach wie vor günstig und wehte handig aus östlichen Richtungen.

      5.

      Im Zeltlager der Türken wurde gelacht und gesungen. Grelle Frauenstimmen überlagerten die dunkleren Organe der Männer in Tonfolgen, die für Hasards Ohren disharmonisch und klagend klangen. Dennoch mußte es sich um Spottlieder handeln, denn nach jedem Vers brachen alle in grölendes Gelächter aus.

      Längst war es dunkel geworden. Flammen prasselten. In der Mitte des großen Platzes war ein Feuer entfacht worden. Große Fleischbrocken wurden an Spießen gedreht. Hasard hatte es gesehen, als die Frauen ihn zuletzt mit Essen versorgt hatten.

      Zu dem Zeitpunkt waren draußen die Vorbereitungen getroffen worden. Inzwischen wurde gegessen und getrunken. Von den Glaubensgrundsätzen ernsthafter Muselmanen schien hier niemand etwas zu halten.

      Der Seewolf streckte sich auf seinem Deckenlager aus und faltete die Hände hinter dem Kopf. Es war kein besonderes Fest, das da gefeiert wurde. Er wußte es von den Frauen. Nicht einmal die Vorfreude auf die Rückkehr Gökhüyüks und auf die Übernahme der Ladung der „Santa Barbara“ war der Grund für die Ausgelassenheit.

      Für Hasard bedeutete der Trubel dennoch keine Ungereimtheit. Üzürgül mußte seine Horde bei Laune halten. Er konnte ihnen nicht wochen- und monatelang ein Lagerleben ohne die geringste Abwechslung zumuten. Da spielte es nicht einmal eine Rolle, daß sie Frauen zur Verfügung hatten.

      Die Zahl der Frauen war ohnehin zu gering, so daß nicht jeder der Kerle ständig zu seinem Recht kam. Üzürgül hatte zweifellos Schwierigkeiten damit, geeigneten und ausreichenden weiblichen Nachschub herbeizuschaffen.

      Hasard blickte zum Zeltdach hoch, und er sah doch nichts von seiner Umgebung. Nicht die rauhe Unterseite der Häute, nicht die mit winziger Flamme blakende Öllampe, die am Mittelpfosten des Zelts aufgehängt war. Draußen stieg die Stimmung. Die Gesänge wurden lauter, schriller und scheinbar klagender. Das Gelächter steigerte sich zu kindlicher Albernheit.

      Die Gedanken des Seewolfs wanderten zu Günel, diesem rätselhaften jungen Wesen, das ihn vom ersten Moment an fasziniert hatte. Immer wieder, bei jeder Begegnung, hatte sie ihn mit Blicken spüren lassen, was sie empfand.

      So unverhohlen und ohne Scheu sie dies auch tat, so wenig vulgär waren doch zugleich ihre angedeuteten Gefühlsäußerungen. Ihre Blicke, die kleinen Berührungen ihrer Hände und die hastigen Gesten, die keine der anderen mitbekam, mochten bei jeder anderen Frau billig und primitiv wirken.

      Nicht so bei Günel. Sie hatte eine Art von Stolz und Vornehmheit, die dem Seewolf unvergleichlich erschien. Nie zuvor hatte er eine Frau kennengelernt, die auf diese gelassene Weise unnahbar blieb und doch gleichzeitig nichts dabei fand, ihre geheimsten Wünsche zu äußern.

      Mit Worten hatte sie das nicht getan. Noch nicht.

      Der Zelteingang wurde geöffnet. Eine flackernde Lampenflamme glitt aus der Dunkelheit herein. Hinter dem kleinen Lichtkreis war Günels Gesicht wie hinter einem durchscheinenden Schleier erhellt, und das Dunkel umrahmte dieses Gesicht, als hätte ihr ein Maler auf der Leinwand einen mystischen Schwarzton als Hintergrund gegeben.

      Sie zog die Rinderhaut vor dem Eingang wieder zu und richtete sich auf.

      Hasard hatte sich aufgesetzt.

      „Kannst du Gedanken lesen?“ sagte er lächelnd.

      Sie löschte die Lampe und stellte sie auf den Boden.

      „Nein“, antwortete sie leise und näherte sich ihm. „Aber ich habe meinen eigenen Gedanken Kraft verliehen und gehofft, daß du an mich denken wirst.“

      „Dazu brauchtest du keine Gedankenkraft aufzuwenden. Du hast mich auch so beeindruckt. Es ist fast unmöglich, nicht an dich zu denken.“

      „Verspotte mich nur“, sagte sie mit einem spitzbübischen Lächeln. Sie trat in das schwache Licht der aufgehängten Lampe. Unter dem dunkelblauen Seidengewand, das sie trug, zeichneten sich die Linien ihres schlanken Körpers wie von Meisterhand modelliert ab.

      „Es ist kein Spott“, widersprach Hasard. „Es ist die Wahrheit, und du weißt es.“

      Ihr Blick vertiefte sich in den seinen.

      „Ich habe es mir gewünscht“, flüsterte sie. „Wissen konnte ich es wirklich nicht.