Seewölfe Paket 28. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954399963
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den Zelteingang. Auf dem großen Platz brannten noch Reste von Holzscheiten. Pechlichter in hohen Stangenkörben spendeten zusätzliche Helligkeit.

      Hasard erfaßte die Situation im Bruchteil einer Sekunde. Der Posten, der Günel verbissen keuchend an sich klammerte, stand mit dem Rücken zum Zelt. Sie hatte es so arrangiert, denn sie wußte, worauf es ankam.

      Der Seewolf packte den Mann an der Schulter, riß ihn herum und tötete ihn, bevor er seinen Schreck überwinden konnte. Vorsichtig ließ Hasard den leblosen Körper zu Boden gleiten, damit kein dumpfer Laut entstand.

      Günel war zurückgewichen. Eilig sah sie sich um.

      „Schnell!“ zischte sie, nahm Hasard beim Arm und zog ihn mit sich in die dunkle Gasse neben dem Zelt. Dort verharrten sie. Hasard schob den Dolch in die Scheide und verstaute die gesicherte Blankwaffe unter seinem Hosenbund.

      „Den direkten Weg werden wir nicht nehmen können“, flüsterte er, nachdem er sich einen Überblick verschafft hatte.

      Rings um das Feuer waren hockende und liegende Gestalten zu erkennen. Männer und Frauen. Einige bewegten sich noch, wenn auch schwerfällig und unsicher vom Alkohol. Worte waren nicht mehr zu vernehmen. Wahrscheinlich bewirkte auch dies die Angst vor Üzürgül, der in seiner Nachtruhe nicht gestört werden wollte.

      Günel deutete nach links. Ihre Hand zeichnete sich hell in der Dunkelheit ab.

      „Wir müssen nach Westen hin einen Bogen um den Schlupfwinkel schlagen. Auf der anderen Seite befindet sich Üzürgüls Zelt.“

      „Heißt das, daß du auch so gewaltigen Respekt vor ihm hast? Sogar wenn er schläft und keiner Fliege etwas zuleide tun kann?“

      „Er ist ein Teufel“, flüsterte Günel. „Laß es dir gesagt sein.“

      Hasard strich ihr über das Haar.

      „Verlieren wir keine Zeit mehr. Wie viele Posten sind an der Bucht?“

      „Zwei, soweit ich weiß. Einer ist an der Außenbucht postiert, direkt am Flußufer.“

      „Dort habe ich nichts gesehen, als sie mich hergebracht haben.“

      „Kein Wunder. Der Außenposten hat ein perfektes Versteck im Schilf. Und der andere steht am Verbindungsweg von der Nebenbucht zum Lager. Zusätzliche Wachen läßt Üzürgül nur dann auf stellen, wenn er mit Gefahr rechnet. Aber das dürfte wohl kaum der Fall sein.“

      Sie setzten sich in Bewegung. Günel ergriff Hasards Hand. Lautlos drangen sie durch die Zeltgassen zum Westrand des Schlupfwinkels vor. Aus etlichen Zelten waren Schnarchgeräusche zu hören.

      Dann, mit einigem Abstand vom Lager, gelangten sie schneller voran. Hasard wußte, daß sie keineswegs schon in Sicherheit waren. Die entscheidenden Hindernisse wollten noch überwunden werden. Den ersten Posten zu überwältigen, ohne daß der andere etwas bemerkte, war die größte Schwierigkeit.

      Langsamer, vorsichtiger jetzt, schlugen der Seewolf und die junge Türkin einen Bogen in nordöstlicher Richtung. Der höhere Buschgürtel, der die Innenbucht umgab, war in der schwachen Helligkeit von Sichelmond und Sternen bereits zu erkennen.

      Günel kannte einen Trampelpfad, der an der Westseite der Innenbucht zu einer Stelle führte, an der die Frauen gelegentlich badeten. Einen kleinen Strand gab es dort, und man hatte in der Gluthitze der Nachmittage ein wenig Schatten, so daß man sich nicht die nackte Haut von der Sonne verbrennen lassen mußte.

      Unbemerkt erreichten Hasard und Günel die Badestelle, und sie verharrten im Schutz von Schilf und Buschwerk.

      Nirgendwo rührte sich etwas. Kein Wasservogel, der aufgeschreckt wäre. Kein Landtier, das – unüberhörbar im Gebüsch – die Flucht ergriffen hätte. Und auch von dem Posten am Verbindungsweg war kein Laut zu hören.

      Hasard berührte Günels Schulter. Im Dunkel des Buschwerkes sah er das Weiße ihrer Augen. Er näherte sich ihrem Ohr, als er flüsterte. Seine Stimme war nur ein Hauch, in einem halben Yard Entfernung schon nicht mehr zu hören.

      „Ich muß näher an den Mann heran. Bleib hier und rühr dich nicht vom Fleck.“

      Günel schob ihn nur sanft von sich und gab damit zu verstehen, daß sie seine Anweisung befolgen würde.

      Hasard nutzte die beste Möglichkeit, die es für ihn gab. Vorsichtig schob er sich auf den schmalen Streifen Strand hinaus, hielt sich dann aber hart am Rand des Schilfs, so daß er mit dem finsteren Schatten der Wasserpflanzen nahezu verschmolz. Zu erkennen war er in der bleifarbenen Helligkeit von Mond und Sternen nur, wenn er sich bewegte. Doch das geschah so langsam, daß es nur jemandem aufgefallen wäre, der ihn von Anfang an beobachtet hätte.

      Zoll für Zoll schob sich der Seewolf voran, immer weiter auf die Liegeplätze der Boote zu. Die Dhau fehlte. Gökhüyük, der Unterführer, war von der sogenannten Verhandlung mit den Männern auf der „Santa Barbara“ noch nicht zurück.

      Hasard schaffte nur die Hälfte der Distanz.

      Plötzlich ertönte vom Fluß her ein Ruf.

      „Ich bin es, Mehmet Gökhüyük!“

      „In Ordnung, schon erkannt!“ antwortete eine andere Stimme.

      Der Posten an der Außenbucht.

      Hasard erstarrte zur Bewegungslosigkeit.

      7.

      In der schmalen Durchfahrt von der Außenbucht zur Innenbucht war nicht sofort etwas zu sehen.

      Doch nach ein, zwei Minuten entstand silbriger Wellenschlag. Ein großer Schatten schob sich auf der anderen Seite der engen Passage heran.

      Der Seewolf empfand Ernüchterung.

      Seine und Günels Flucht war mit der Rückkehr Gökhüyüks so gut wie vereitelt. Die Kerle würden ihre Dhau vertäuen und an Land gehen, und der Unterführer würde Üzürgül trotz der späten Stunde Bericht erstatten. Kein Zweifel daran. Dann wiederum würde es nur Minuten dauern, bis man nach dem Gefangenen sah, um das Ergebnis der Unterredung an Bord der „Santa Barbara“ in die Tat umzusetzen.

      Selbst wenn sich alle Kerle aus der Bucht zurückzogen, mußten doch immer noch beide Posten überwältigt werden. Das kostete wertvolle Zeit. Und anschließend, das wußte Hasard mit absoluter Sicherheit, würde er nicht genügend Vorsprung herausholen können – selbst dann nicht, wenn er ein gutes Boot mit Besegelung erwischte.

      Seine niederschmetternden Gedanken wurden jäh unterbrochen.

      Eine schrille Stimme kreischte in der äußeren Bucht.

      „Verrat! Verrat! Sie zwingen mich …“

      Das Kreischen erstickte in einem Gurgeln.

      Sekundenlang blieb es still.

      Hasard begriff in diesem Augenblick, was sich abspielte.

      Gökhüyük war zurückgekehrt, doch nicht mit seiner Mannschaft.

      Der Posten draußen am Fluß erfaßte die Lage im selben Moment.

      „Alarm! Alarm! Fremde in der Bucht! Alarm!“

      Sein Gebrüll zerfetzte die Ruhe der Nacht. Und es war deutlich zu hören, daß er in wilder Hast seinen Beobachtungsplatz verließ und in Richtung Lager stürmte.

      Hasard federte hoch.

      In dieser Sekunde fing auch der Posten am Verbindungsweg an zu schreien. Seine helle Kleidung wurde sichtbar, als er aus seinem Gebüschversteck auftauchte. Er beging den Fehler, sich die Augen aus dem Kopf zu stieren, um zu erkennen, was sich dort in der äußeren Bucht abspielte.

      „Alarm! Alarm!“ fiel er in das Geschrei seines rennenden Gefährten von der Außenbucht ein.

      Hasard schnellte auf ihn zu. Der Mann sah ihn nicht.

      In diesem Moment setzten die Donnerstimmen an Bord der Dhau ein.