„Wer jetzt lacht, der wandert ab in die Vorpiek“, sagte er.
Diese Drohung war durchaus ernstzunehmen, und daher zwangen sich die Männer zu eisernem Schweigen. Philip und Hasard grinsten zwar, aber das konnte der Profos in der Finsternis nicht sehen.
Nur das Rauschen des Seewassers an den Bordwänden, das Heulen des Windes und das Knarren der Planken und Verbände war zu vernehmen. Der Profos ließ sich an einem der schmalen Tische nieder. Für ihn war der Fall vorläufig erledigt.
Aber wenn der Hund von einem Kutscher mir noch mal gegen den Vorsteven rauscht, dann kriegt er seinen ganzen Kübel mit dem kalten Labskaus über den Kopf gestülpt, dachte der Narbenmann ergrimmt.
Morgan Young hatte gedankenschnell gehandelt. Als der Musketenschuß gefallen war und es erneut im Dickicht aufgeblitzt hatte, hatte er sich zur rechten Seite gerollt. Der Morast schmatzte unter seiner raschen Bewegung, und ein paar Spritzer von dem schwarzen Schlamm kriegte der Engländer direkt ins Gesicht. Er geriet erneut mit dem Dornengerank in Konflikt und zog sich weitere Schrammen an Armen und Beinen und auf dem Oberkörper zu, aber er rettete sich das Leben, denn die Kugel ging haarscharf links an ihm vorbei.
In seinem ersten Entsetzen über Romeros Tod und in seinem grenzenlosen Haß gegen die Soldaten hatte er aufspringen und mit dem Säbel in der Faust auf sie zustürzen wollen, um so viele wie möglich niederzusensen und dann selbst zu sterben.
Sie hatten Romero in den Kopf geschossen, ehe dieser es geschafft hatte, richtig in dem dornigen Gestrüpp unterzukriechen. Sie hatten Justiz an ihm geübt, aber es war die Justiz des Wahnwitzes, denn der junge Mann war in Youngs Augen ein gutherziger, aufrechter Bursche gewesen.
Daß er den spanischen Wachtposten mit der Kette erwürgt hatte, stand für den Engländer auf einem anderen Blatt.
Aber so glühend der Haß und der Wunsch nach Rache auch waren, in Morgan überwog in diesem Augenblick doch der Selbsterhaltungstrieb. Er warf sich herum, kroch in der Richtung weiter, die er vorher schon eingeschlagen hatte, und entfernte sich von seinen Gegnern.
Sie schossen wieder auf ihn, aber da sie seine Gestalt nicht einmal mehr als schattenhaftes Etwas erkennen konnten, feuerten sie aufs Geratewohl in den Dschungel. Young hörte die Kugeln hinter sich in den Morast schlagen und links und rechts neben sich durch das Dickicht sirren, um mehrere Fuß Distanz von ihm entfernt. Dennoch hatte er mächtiges Glück, daß er nicht von einem Zufallstreffer erwischt wurde.
Er kämpfte sich durch den Morast und durch brackige Tümpel, schob den Säbel mehr wie einen Fremdkörper oder einen nutzlosen Ballast vor sich her und setzte ihn nicht mehr als Buschmesser ein, weil er Angst davor hatte, von seinen Verfolgern gehört zu werden, und er ihnen den Weg durch die grüne Hölle nicht ebnen wollte.
Er war über und über beschmutzt und durchnäßt und begann, sich vor sich selbst zu ekeln. Er dachte an die Tiere des Urwaldes, die ihn vielleicht schon jetzt aus ihren Schlupfwinkeln heraus beobachteten, um ihn zu verfolgen und später über ihn herzufallen, und allein die Vorstellung bereitete ihm Furcht.
Aber er hörte, wie sich die Stimmen der Spanier hinter ihm im Gesträuch verloren. Es wurde jetzt nicht mehr geschossen. Sie hatten ihn endgültig aus den Augen verloren, waren ratlos und schienen stehengeblieben zu sein.
Seine Taktik, sich nur noch kriechend durch das Dickicht voranzubewegen, hatte sich als richtig erwiesen. Er hatte ihnen ein Schnippchen geschlagen und war schlauer gewesen als sie! Diese Erkenntnis verlieh ihm einen gewissen inneren Auftrieb.
Er grinste gequält. Es ging also doch. Man konnte ihnen entwischen, wenn man nur wollte. Sie kannten sich im Dschungel, den sie gewöhnlich mieden, nicht besser aus als er. Es gab keine Pfade, der Busch war ein einziger Irrgarten, in dem man sich tage-, wochen-, monatelang vor ihnen verstecken konnte. Man mochte ihn als die Hölle schlechthin, andererseits aber auch als Verbündeten ansehen, wenn man sich auf der Flucht befand. Young fing an, sich an dieser Vorstellung festzuklammern und sich mehr und mehr selbst davon zu überzeugen, daß erst der Urwald die Entscheidung herbeigeführt hatte: die Rettung vor dem schwerbewaffneten Feind.
Um Romero tat es ihm leid, aber er sagte sich auch, daß er um den jungen Mann nicht trauern durfte. Sein Tod hatte schließlich einen Sinn gehabt. Er, Morgan Young, würde sich durchschlagen und irgendwann Helfer finden, mit denen zusammen er auch Trench, Josh Bonart, Sullivan, Christians und all die anderen aus der Strafkolonie herausholen konnte.
Die Soldaten würden Romeros Leichnam jetzt aufheben und ins Lager zurückschleppen, wo sie ihn hinwarfen und voll Genugtuung ihrem Kommandanten zeigten. Aber für Don Felix Maria Samaniego und die Lageroffiziere mußte es ein harter Schlag sein, daß zwei Sträflinge die Flucht gewagt hatten – und daß einer von ihnen, ausgerechnet einer der „verdammten englischen Bastarde“, nun spurlos verschwunden war. Das störte sein Image und kratzte an seinem Selbstbewußtsein. Airdikit war kein ausbruchssicheres Lager mehr. Die Dinge waren ins Wanken geraten. Die Spanier würden die Wachen verschärfen, aber vielleicht gab es bald neue Fluchtversuche.
Young schob sich schwer atmend weiter voran. Die Ketten an seinen Armen behinderten ihn, und auch der Säbel wurde ihm zur Last, aber er schwor sich, die Waffe nicht zurückzulassen. Aus zwei Gründen nicht: erstens konnten die Spanier sie im Busch finden, und dann hatten sie wieder eine Spur, die sie weiterverfolgen konnten. Zweitens brauchte er den Säbel, um sich notfalls gegen Raubtiere und giftige Schlangen zur Wehr zu setzen.
Er bedauerte, den Schlegel und das Scharfeisen in der Palisade zurückgelassen zu haben. Damit hätte er jetzt seine Handschellen öffnen können. Aber er hatte eben den Fehler begangen, das Werkzeug einfach fallenzulassen, als sich der Wachtposten dem Tor des Palisadenlagers genähert hatte.
Er hoffte, daß einer seiner Mitgefangenen es fertiggebracht hatte, die Geräte in seinen Besitz zu bringen. Aber er glaubte nicht recht daran. Wenn einer von ihnen es geschafft hatte, würden die Soldaten sie doch alle durchsuchen und auf die Hilfsmittel stoßen, die die Flucht ermöglicht hatten.
Morgan Young konnte sich vom Boden erheben und in aufrechter Haltung seinen Weg fortsetzen. Er teilte das Dickicht, das jetzt mehr aus Mangroven und anderen Gewächsen mit schweren ledrigen Blättern als aus Dornensträuchern bestand, mit seinen zerkratzten Händen und wankte keuchend voran.
Er hatte die Orientierung verloren, stellte aber fest, aus welcher Richtung der Wind wehte und taumelte ihm bald, nachdem er einen großen Bogen geschlagen hatte, entgegen.
Der Wind war auflandig, soviel wußte er ja, er mußte also aus südlicher Richtung wehen. Auf dem Weg, den Young sich jetzt mühsam durch den Busch bahnte, mußte er also unweigerlich zur Küste gelangen.
Dort wollte er versuchen, ein einfaches Foß zu bauen, mit dem er zu einer der Inseln übersetzen konnte. Von der Existenz der Inseln wußte er, weil man sie ihm auf der „Balcutha“, auf der er als Decksmann gefahren war, beschrieben hatte.
Erst auf einem dieser einsamen Eilande würde er vollends vor den Spaniern sicher sein, soviel vermochte er sich auszumalen. Er gab sich keinen Illusionen hin. Sie würden weiterhin nach ihm forschen, wahrscheinlich die ganze Nacht über.
Blieb er auf Sumatra, wurde eine gnadenlose Jagd daraus.
4.
Heftig zuckten die Flammen der Fackeln, die von den Spaniern entzündet worden waren, auf dem großen freien Platz inmitten der Hütten des Lagers. Ihr Licht warf gespenstische Muster auf die Gesichter der Männer und gab das Mienenspiel von Don Felix Maria Samaniego, der zwischen seine Offiziere und Soldaten getreten war, besonders deutlich wieder.
Es arbeitete in Don Felix’ scharfgeschnittenen, asketischen Zügen. Selten hatte der hagere Mann, der in größter Hast seine Hütte verlassen hatte und nur mit einer dunklen Hose und einem weißen Hemd bekleidet war, derart zum Ausdruck gebracht, was in seinem Innern vorging.
Er fühlte sich zwischen Wut und Ohnmacht hin und her gerissen. Einen Augenblick lang war