Seewölfe Paket 11. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395002
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Sträflingslager geworden. Keinem war es bislang geglückt zu entweichen. Don Felix Maria Samaniego verwendete sein ganzes Können und seine Sorgfalt als Lagerkommandant darauf, daß es dabei auch blieb.

      Dennoch: In dieser Nacht sollte es geschehen, in der nächsten Stunde bis zur Wachablösung sogar. Das Heulen des Windes nahm zu, und auch das Konzert der Urwaldfauna schien anzuschwellen – eine willkommene Geräuschkulisse, die andere Laute überdecken würde.

      Morgan Young wandte den Kopf.

      Romero, der junge Spanier, saß rechts von ihm, an einen in den Boden gerammten Pfahl gefesselt wie auch er, Young, und alle anderen Gefangenen. Young konnte seine Gestalt in dieser Finsternis kaum noch sehen, aber er wußte, daß auch Romero zu ihm blickte.

      „Jetzt“, flüsterte er ihm zu. „Fangen wir an.“

      „Ja“, raunte Romero. „Versuchen wir es. Eine bessere Gelegenheit kriegen wir nicht.“ Er sprach ein relativ gutes, jedoch stark akzenthaltiges Englisch. Das hatte er in den fast anderthalb Jahren, die er hier schon festsaß, von den englischen Mitgefangenen gelernt.

      Romero war Decksmann auf einer spanischen Galeone gewesen, die zweimal im Jahr von Cadiz nach Manila und zurück segelte. Kurz vor den Philippinen hatte er sich auf seiner letzten Fahrt gegen einen ruppigen Bootsmann aufgelehnt, der einen Kameraden zu Unrecht gemaßregelt und dann vom Profos hatte auspeitschen lassen. Romero wäre dem Bootsmann an den Hals gesprungen, wenn ihn seine Freunde nicht zurückgehalten hätten. Ein rasch zusammengerufenes Bordgericht hatte den Aufsässigen wegen Insubordination und versuchter Meuterei zur Höchststrafe verurteilt: Zwangsarbeit in einem spanischen Gefängnislager. Von Manila aus hatte man ihn direkt nach Airdikit im südlichen Sumatra verfrachtet.

      „Du kannst noch froh sein, daß dein Kapitän dich nicht gleich an der Rahnock aufgehängt hat“, hatte Morgan Young gesagt, als er diese Geschichte von Romero vernommen hatte. „Dann wäre dir nämlich der Anblick dieses wunderschönen Fleckchens Erde hier entgangen, mein Freund.“

      Romero hatte darüber gelacht, und auch Young hatte gegrinst. Der Aufseher hatte ihnen die Peitsche über den Rücken gezogen, aber das hatte sie beide wenig beeindruckt. Oder, anders ausgedrückt: Auf diese höchst schmerzhafte Weise war ihre neue Freundschaft zumindest handfest besiegelt worden.

      Morgan Young nahm es dem jungen Mann, der höchstens zweiundzwanzig, dreiundzwanzig Jahre alt sein konnte, wahrhaftig ab, daß er kein richtiger Verbrecher war. In eine solche Situation an Deck, die dann zu drakonischen Strafen führte, konnte jeder anständige Seemann hineinschlittern, wenn er es mit einem unfairen Bootsmann oder Zuchtmeister zu tun hatte.

      Young seinerseits war auch kein Mörder, Meuterer oder Plünderer, sondern er war wegen eines Schiffsbruchs in die Hände der Spanier geraten.

      So war es seiner Ansicht nach nur legitim, wenn alle, die in Wirklichkeit gar nichts auf dem Kerbholz hatten, den Ausbruch aus dem Arbeitslager versuchten.

      Nicht alle waren dazu bereit, bei diesem Höllenunternehmen ihr Leben zu riskieren und so hoch zu setzen, wie es nötig war. Morgan Young hatte also eine Auslese getroffen und wußte, auf wen er zählen konnte. Da waren seine Kameraden von der „Balcutha“ – mit ihm die einzigen Überlebenden des Schiffsunglücks –, also Tench, Josh Bonart, Sullivan und Christians. Kerle, die Kopf und Kragen aufs Spiel setzten, um nur hier herauszukommen. Weiter Jonny, auch ein Engländer, über dessen Herkunft aber nichts Näheres bekannt war, dessen „glorreiche Zehn“, eine Crew, wie sie wilder und bunter nicht zusammengewürfelt hätte sein können, sowie letztlich ein paar Holländer und Franzosen, die lieber im Kampf starben, als auch nur einen Tag länger unter der erbarmungslosen Hitze und Feuchtigkeit der Äquatorzone im moskitoverseuchten Dschungel zu schuften.

      Romero fiel sozusagen die Schlüsselposition bei dem geplanten Ausbruch zu – und Young war derjenige, der voll und ganz seinen Fähigkeiten vertraute, während alle anderen ihre gelinden Zweifel daran hatten.

      Aber hatte Romero nicht schon bewiesen, daß er über eine überdurchschnittliche Fingerfertigkeit verfügte. Wer außer ihm hätte wohl an diesem Nachmittag oben auf der Baustelle des Kastells unter der scharfen Aufsicht der Posten einen Schlegel und ein Scharfeisen entwenden können? Wäre denn jemand anderes in der Lage gewesen, diese beiden Werkzeuge so geschickt unter der Hose zu verbergen, daß auch nachträglich niemand den Diebstahl aufzudekken vermochte?

      Nein. Nicht einmal Young, der sich auch schon einiges zutraute, oder Jonny, der ein tolldreister Draufgänger und Abenteurer zu sein schien, hätten etwas Vergleichbares vollbracht. Romero beherrschte richtige Taschenspielertricks, er war ein Meister im Jonglieren mit Gegenständen und konnte sie blitzschnell verschwinden lassen.

      Den kleinen Hammer und das Scharfeisen hatte er vermittels dünner, jedoch sehr haltbarer Fäden, die er schon Tage zuvor vorbereitet hatte, an seinem Gürtel festgebunden und dann an der Innenseite seiner Hose herabbaumeln lassen.

      Jetzt holte er die Geräte zum Vorschein und begann sein schwieriges, langwieriges Werk.

      Allen Gefangenen waren die Hände auf dem Rücken zusammengekettet, wenn sie nicht zur Arbeitsschicht auf die Festung mußten, und diese Handfesseln waren wiederum durch eine Kette mit dem Pfahl verbunden, der für jeden Sträfling in den Boden innerhalb der Palisaden gerammt worden war. Die Beine wurden durch Schäkel zusammengehalten, an denen als Gewichte schwere eiserne Kugeln befestigt waren.

      Wir können froh sein, daß sie uns nicht auch noch Halseisen verpaßt und uns damit an diese verdammten Pflöcke gehängt haben, dachte Young, als er sich jetzt auf die linke Körperseite legte und so nah wie möglich an Romero heranrückte.

      Sie hatten verschiedene Pläne gewälzt und auch in Erwägung gezogen, die Flucht tagsüber zu versuchen. Doch dieses Vorhaben hatten sie gleich wieder verworfen. Wenn sie während der Arbeit an der zu errichtenden Festung auch die Hände frei hatten, die Zahl der schwerbewaffneten Wächter war doch zu groß, um einem derartigen Unternehmen auch nur die geringsten Erfolgschancen einzuräumen.

      Blieb nur die Nacht, und zwar mußte es diese zunehmend stürmische Nacht sein, in der sie den Ausbruch durchführen. Ihre Wächter hatten ihnen bereits in Aussicht gestellt, daß auch die Gefangenen hier in den nächsten Tagen zu den Sträflingen in den Festungskerker gepfercht würden, dessen letzte Räume kurz vor der Vollendung standen. Wenige Wachtposten genügten, um den einzigen Ausgang des Kellergewölbes ständig ausreichend zu bewachen, und jeder Mann, der das Kunststück fertigbrachte, sich von seinen Ketten zu befreien und die Eisengitter zu öffnen, die ihn vor der Freiheit trennten, wurde spätestens dort erschossen.

      Dort oben, im Kerker des Kastells, ist unser aller Schicksal endgültig besiegelt, sagte sich Morgan Young im stillen. Er drehte sich so, daß seine Beine sich denen von Romero näherten. Der junge Spanier hatte sich ebenfalls auf die Körperflanke sinken lassen. Sie lagen in stark verkrümmter Haltung Rücken an Rükken da, wobei die Verbindungsketten, die ihre eisernen Handfesseln an den Pfählen festhielten, sich strafften und an ihren Gelenken zu zerren begannen.

      Romero konnte weder seine eigenen Handschellen noch seine Beinschäkel lösen. Aber er konnte dank seiner großen Fingerfertigkeit die Spitze des Scharfeisens in die Zwischenräume von Morgan Youngs Fußeisen zwängen und mit dem Schlegel auf das obere, stumpfe Ende des Werkzeugs hauen.

      Die Schlaggeräusche wurden vom Jaulen und Heulen des Windes und dem Kreischen der Nachtvögel geschluckt, doch immer wieder hielt Romero inne, um zu lauschen. Hatten die Posten, die außerhalb der Palisade auf und ab patrouillierten, wirklich noch nichts gehört? Der junge Spanier arbeitete in der beständigen Furcht, entdeckt zu werden.

      Morgan Young hielt immer wieder den Atem an, ballte die Hände zu Fäusten und schickte stumme Stoßgebete zum Himmel: Herr, laß es uns schaffen, gib, daß wir Erfolg haben und diesen gräßlichen Ort verlassen können.

      „Morgan“, wisperte plötzlich eine Stimme. „Morgan Young!“

      Young fuhr unwillkürlich zusammen, aber dann begriff er, daß es Jonnys Stimme war.

      „Was ist?“ fragte er ebenso leise zurück. „Gefahr im Verzug?“

      „Nein.“