Seewölfe Paket 17. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397754
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zu kalt, hier stäubte pausenlos der Gischt über seinen Körper. Dort in den Dünen konnte er sich verkriechen, da war er einigermaßen geschützt.

      Mühsam kroch er auf allen vieren über den Sand, schleppte sich zwischen die Dünen, zog sich an Sanddorn und Strandhafer weiter und erreichte schließlich eine Mulde, die ihn vor dem kalten Wind schützte. Ein dichter Vorhang aus Strandgras bot ihm zusätzlichen Schutz.

      Er klapperte zwar immer noch mit den Zähnen und fror entsetzlich, doch das war nichts im Vergleich zum Wasser. Er brauchte seine Kräfte nicht mehr weiter zu verausgaben, er konnte es ohnehin nicht. So ließ er sich in die Mulde fallen und rollte sich zusammen wie ein Igel.

      Jetzt habe ich wieder eine Koje, dachte er noch, dann schwanden ihm auch schon die Sinne, und er war übergangslos weg.

      Von dem, was sich praktisch in unmittelbarer Nähe abspielte, sah und hörte er nichts mehr.

      Es war gut eine Viertelstunde vergangen, als die „Wappen von Kolberg“ und die „Isabella“ die Stelle passierten und weiter Kurs Ost segelten. An jener Stelle war die See fast taghell erleuchtet, denn auf beiden Schiffen brannten überall Lampen. Gerade passierten sie jene Stelle, wo Gary Andrews total erschöpft an Land gewankt und zusammengebrochen war.

      4.

      Über der riesigen halbmondförmigen Bucht von Danzig war der Himmel verhangen und hatte die Farbe von kaltem Haferbrei. Kühler Wind strich über die Halbinsel Hela. Die Dämmerung kroch nur zögernd über den Horizont.

      Das war die Zeit, in der der verrückte Stanislaus seine Strandbehausung verließ und an den Stränden herumstreunte, um nach Treibgut zu suchen oder sich an den ausgelegten Aalreusen der Fischer zu vergreifen.

      Von Rixhöft bis Hela und über Putzig, Gdingen bis Danzig kannten sie ihn alle, den verrückten Stanislaus. Im Dialekt redeten sie vom „schuckernen Stanis“. Das bedeutete das gleiche wie verrückt.

      Ein Engländer hätte ihn als heruntergekommenen Beachcomber bezeichnet, als nichtstuerischen Herumstreuner, der er auch war.

      Sein „Strandpalast“ war ein drekkiges, in die Dünen gegrabenes und mehr als schmuddeliges Erdloch, das er mit Brettern und angeschwemmtem Treibholz abgedichtet und ausgebaut hatte. Hin und wieder rieselte der Sand in sein Erdloch, den Stanislaus dann mit den Händen wieder hinauskehrte.

      Als er an diesem grauen Morgen aus dem stickigen Dünenloch hervorkroch, sah er ungewaschen und total verdreckt aus. Seine Haare waren strähnig und verfilzt. Sein Bart ähnelte einer Matte aus vertrocknetem Seetang, und er verbreitete einen Duft um sich, daß selbst ein alter Ziegenbock die Flucht ergriffen hätte.

      Der schuckerne Stanis begann den Tag meist mit einem kräftigen Schluck Rübenschnaps zu begrüßen, dann rülpste er laut und vernehmlich, verrichtete sein Geschäft in den Dünen und stromerte am Strand entlang.

      Seine Kleidung bestand aus einer schmierigen, fetzigen Hose und einem schwarzgrauen Hemd. Das Hemd hatte er sich aus angeschwemmtem Segeltuch selbst genäht. Daß in dem Segeltuch noch ein Toter steckte, hatte Stanislaus nicht gestört. Er brauchte ein Hemd, der eingenähte Seemann nicht mehr, und so hatte er dem Toten bedenkenlos die letzte Hülle geklaut und ihn wieder treiben lassen.

      Heute hatte er keinen Schnaps und auch kein Geld, um sich welchen zu kaufen. Hin und wieder lebte er von Gelegenheitsarbeit, aber dazu hatte er heute ebenfalls keine Lust.

      Er starrte nach Westen und sah in weiter Ferne zwei Segelschiffe am Horizont immer kleiner werden. Ihre Segel leuchteten in dem trüben Morgen.

      Sein Magen knurrte, und so schlich er sich erst einmal an die in der Nähe von Rixhöft ausgelegten Reusen heran. Vorsichtig sah er sich nach allen Seiten um, um nicht wieder an die erbosten Fischer zu geraten. Sie hatten ihn schon zweimal erwischt und kräftig durchgeprügelt, damit ihm das Räubern verging. Doch das hielt Stanislaus nicht von weiteren heimlichen Aktivitäten ab.

      Aus den Dünen stieg gerade eine Möwe auf, und sofort änderte Stanislaus seine Richtung. Etwas später fand er auch das Nest mit zwei Eiern.

      Er kickte sie leicht an und soff sie grinsend aus. Und weil er ein boshafter und hinterhältiger Kerl war, füllte er die Möweneier wieder mit Sand auf und legte sie in das Nest zurück, daß sie wie unbeschädigt aussahen. Solche kleinen Lumpereien bereiteten ihm eine diebische Freude.

      Als er sich diesmal den Reusen zuwandte und am Strand entlangpilgerte, blieb er plötzlich wie erstarrt stehen und blickte ungläubig in den Sand. Deutlich erkennbar sah er den Abdruck zweier Stiefel. Nach ein paar Schritten verschwand der Abdruck, und es sah so aus, als sei hier einer auf allen vieren durch den Sand gekrochen, denn er sah auch die Abdrücke von Händen.

      Eine Weile blieb er reglos stehen und starrte die Spuren an. Dann drehte er sich um und suchte alle Himmelsrichtungen ab.

      Niemand war weit und breit zu sehen. Ostwärts lagen im Wasser zwei kleine Fischerboote, zum Westen hin lag sein eigener vergammelter und ewig suppender Kahn vor einem Steinanker.

      Wenn die Leute auch immer sagten, Stanislaus sei ein rappeliger Wirrkopf, der vom vielen Dösen einen Sonnenstich gekriegt hätte, so stimmte das nicht ganz. Stanislaus war zwar schucker, wie die Leute von Hela und Umgebung sagten, aber er war ein bauernschlaues durchtriebenes Schlitzohr und durchaus in der Lage, logische Rückschlüsse zu ziehen. Manchmal stellte er sich auch nur dumm, und durch sein dämliches Grinsen verstärkte sich daher der Eindruck, einen Verrückten vor sich zu haben.

      Sofort begann er zu überlegen. Dort hinten sah er noch die beiden Schiffe auf Westkurs, hier im Sand war die Spur eines Mannes, die in die Dünen führte. Folglich war der Kerl von einem dieser Schiffe über Bord gefallen, zur Küste geschwommen und hatte sich total erschöpft in den Dünen verkrochen.

      Den Kerl wollte er sich unbedingt ansehen. Vielleicht war er schon tot, aber dann konnte er ihn noch ein bißchen fleddern. Ein Paar Stiefel, Hemd und Hose fielen dabei zumindest für ihn ab.

      Lautlos schlich er der Spur nach. Als er die Dünen erreichte, kroch er ebenfalls auf allen vieren weiter und folgte der Schleifspur.

      Sie führte zu einer Senke, einer Mulde zwischen den Dünen, die mit Strandhafer und Sanddorn dicht bewachsen war.

      Stanislaus arbeitete sich heran, lauschte, hörte nichts und schlich weiter, bis er den Rand der Mulde erreichte und einen Blick hineinwerfen konnte.

      „Deibel, Deibel auch“, sagte er leise.

      In der Mulde lag ein Mann wie tot auf dem Rücken, die Arme seitwärts ausgebreitet, den Kopf zur Seite gedreht. Der Mann war dürr und hager, schien aber sehr stark und zäh zu sein. Das Hemd klaffte offen über seiner Brust, und über der behaarten Brust zog sich quer eine lange Narbe hin. Die Haare des Mannes waren hellblond, der Kopf von länglicher Form mit schmalem Gesicht. Der Kerl trug sehr gute Stiefel, ein sauberes Hemd und eine starke Leinenhose, an deren Seite ein Messer steckte. Er schien schon ein paar Stunden hier zu liegen, denn seine Kleidung begann zu trocknen.

      Stanislaus schielte auf die Brust des Schläfers, wo die große Narbe unter den Haaren sichtbar war. Hatte der Kerl sein Leben bereits ausgehaucht?

      Nein, der lebte noch, der war entweder bewußtlos oder so erschöpft, daß er noch weitere Stunden schlafen würde. Das Schwimmen in dem kalten Aprilwasser mußte ihn ganz schön geschlaucht haben.

      Stanislaus robbte weiter in die Mulde und fixierte den Schläfer, dessen Brust sich regelmäßig hob und senkte. Da er ein vorsichtiger Mann war, gewitzt durch recht üble Erfahrungen, zog er dem Kerl erst einmal das Messer vorsichtig aus dem Hosenbund, an dem die Lederscheide befestigt war. Dann setzte er ihm das Messer so auf die Brust, daß nur noch eine Daumenbreite Abstand bestand.

      „He, du!“ rief Stanislaus. „Wach auf, du!“

      Keine Reaktion, kein Seufzen, nichts. Der Mann blieb absolut reglos auf dem Rücken liegen.

      „Peronnje, wach auf!“ brüllte Stanislaus.

      Der