Zuerst jedoch steckte er das Messer ein. Dann drehte er den Schläfer in eine Art Hockstellung, schob sich halb unter ihn und lud sich die Last auf den Rücken. Taumelnd stand er dann auf den Beinen und fluchte leise.
Verdammt, so hager der Kerl auch war, er schien Knochen aus Eisen zu haben und war verflucht schwer. Der bestand nur aus Muskeln und Sehnen. Kein Gramm Fett war an ihm, aber seine Muskeln waren hart wie Stein.
Stanislaus torkelte mit seiner Last durch den Sand, seinem „Palast“ entgegen, den er nachts schon am Geruch orten konnte, wenn er, total besoffen vom Rübenschnaps, seine Behausung suchte.
Ächzend ließ er den Mann fallen, der immer noch nicht erwachte und sich wieder der Länge nach ausstreckte.
Danach peilte Stanislaus noch einmal die Lage, um den Mann ungestört filzen zu können. Leute ließen sich bei seiner Behausung sowieso nur selten sehen, weil sie immer befürchteten, von dem verlotterten Beachcomber angebettelt oder beklaut zu werden. Und auch diesmal sah er weit und breit niemanden.
Schnell huschte er wieder in sein Erdloch zurück, fand den Schläfer unverändert daliegen und filzte ihm erst einmal die Taschen. Das Messer hatte er schon. Jetzt fand er eine Rolle Kabelgarn in der rechten Tasche. Enttäuscht legte er sie auf ein vergammeltes, aus Treibholz hergestelltes Bord, an dem ein dreckiger Schlapphut und eine ausgefranste, schmierige Jacke hingen.
Die andere Hosentasche war wesentlich ergiebiger. Es klimperte hell, als Stanislaus mit der Hand hineinfuhr.
Münzen! Das war ein klingender Begriff. Münzen ließen sich in Rübenschnaps umsetzen.
Fünf Münzen waren es, aus Silber, die er auf seine ausgestreckte Handfläche legte und gierig betrachtete. Dazu kicherte er, und über sein verwittertes, bärtiges Gesicht zog ein heller Schimmer der Freude. Soviel Münzen auf einem Haufen hatte er schon lange nicht mehr gesehen.
Allerdings sagten ihm diese Münzen nichts, er kannte sie nicht, aber der dicke Pjontek, dem die Kneipe in Rixhöft gehörte, der nahm sie ganz sicher. Der nahm alles, was nach Silber oder Gold aussah.
Und Stanislaus selbst nahm alles, was nach Schnaps aussah oder so ähnlich roch. Er kicherte wieder und sah sich im Geiste bereits mit einer Schnapskruke bewaffnet in seiner Hütte sitzen. Und weil diese Vorstellung immer plastischer wurde und ihm bereits das Wasser im Mund zusammenlief, faßte er den Entschluß, wenigstens eine der Münzen in Fusel umzusetzen. Der dicke Pjontek mußte die Kruke aber dafür bis an den Rand füllen.
Hastig steckte er die Münzen ein, warf noch einen Blick auf den Schläfer und sah sich in seinem Erdloch um. Falls der Kerl erwachte, konnte er kaum etwas klauen, außer vielleicht die alte Jacke oder den Schlapphut. Mehr war bei ihm nicht zu holen, nur noch ein Stückchen Speck und ein paar Möweneier.
Gleich darauf zog er los, grinsend und voller Vorfreude. Die Münzen hatte er so verteilt, daß sie nicht klimperten und keiner mißtrauisch wurde, wenn man ihn mit soviel Geld sah.
Zehn Minuten lief er, dann war er in Rixhöft und steuerte auf die Kneipe zu. Er flitzte sabbernd hinein und wartete ungeduldig, bis der dicke Pjontek aus der Küche erschien und ihn stirnrunzelnd musterte.
„Kannst du Schwein dich nicht wenigstens einmal waschen?“ fuhr er Stanislaus an. „Du verstinkst mir ja die ganze Schenke. Wenn du hier bist, traut sich stundenlang niemand mehr rein.“
„Geld ist Geld“, sagte Stanislaus grinsend, „und wenn einer stinkt und Geld hat, dann ist er dir doch lieber, als wenn er nicht stinkt und dafür kein Geld hat.“
Das konnte der schwammgesichtige dicke Pjontek allerdings nicht abstreiten.
Stanislaus tat so, als suche er endlos lange in seinen Taschen, dann brachte er die Silbermünze heraus und legte sie auf den Tresen. „Kriege ich dafür eine Kruke Rübenschnaps? Aber eine große, bis an den Rand gefüllte!“
Pjontek nahm die Münze, blickte lange darauf und sah dann den schuckernen Stanis an.
„Na gut“, sagte er endlich, „obwohl sie ja eigentlich nicht soviel wert ist.“
„Die ist viel wert, die ist aus Silber“, widersprach Stanislaus.
„Das ist eine englische Münze, verstehst du? Und die sind nicht soviel wert“, log der Dicke. „Aber wenn du mir nicht glaubst, dann kauf deinen Schnaps doch woanders.“
„Ich glaub dir ja, Pjontek, aber ich will trotzdem eine ganz volle Kruke dafür.“
Zehn Kruken Rübenschnaps dürfte sie wert sein, überlegte der Wirt. Ein feines Geschäftchen für ihn. Aber da brannte ihm noch eine Frage auf der Seele.
„Wo hast du die Münze denn her?“ fragte er lauernd.
„Gefunden.“
„Und wo?“
„Unten am Strand“, sagte Stanislaus kichernd.
„Das ist aber merkwürdig“, meinte Pjontek. „Ich habe gerade gehört, daß man einen englischen Segler in der Danziger Bucht gesichtet hat. Wahrscheinlich ist das ein Piratenschiff. Und du findest gleich darauf diese Münze! Hinter dem Piratenschiff sind unsere Leute wie die Wilden her. Und ein zweiter Segler ist auch noch dabei, und den hat man von den Polen gekapert. Sehr merkwürdig ist das. Hat der Silberling vielleicht noch ein paar kleine Brüderchen?“
Stanislaus sah zu, wie der Wirt die Kruke füllte, hörte selig, wie es glukkerte, und war mit seinen Gedanken nur noch bei dem Fusel.
Er grinste dämlich und begriff offenbar nicht; was der dicke Pjontek meinte.
„Schnaps“, sagte er kichernd, „hei, wie das riecht! Machst du die Kruke auch wirklich ganz voll?“
„Jaja, natürlich“, knurrte der Wirt ungeduldig. Seine Frage wiederholte er nicht, denn der verrückte Stanislaus würde ihm doch keine vernünftige Antwort mehr geben. So war er froh, daß der alte Stinker endlich beseligt abzog und dabei die Kruke wie ein Wickelkind umklammerte.
Stanislaus hatte es jetzt furchtbar eilig, denn mittlerweile war dem verlausten Beachcomber ein Licht aufgegangen, und das brannte so hell wie eine Fackel. Er überlegte angestrengt, und er glaubte, seine Gedankengänge knistern zu hören.
Ein polnischer Soldat hatte einmal über Stanislaus gesagt, falls man durch seine tiefsten Gedanken und Überlegungen waten würde, dann kriegte man nicht einmal feuchte Schuhe.
Sollten sie von ihm denken, was sie wollten. Er gestattete sich einen schnellen Schluck aus der Kruke, leckte sich die Lippen und rannte weiter, bis er bei seiner Behausung war.
Dort hätten sich die Schwätzer allerdings über den verrückten Stanislaus gewundert, denn der ging ganz systematisch vor. Vorsichtig stellte er die Kruke auf den Boden, überlegte es sich dann aber anders und stellte sie auf das Bord. Von dort nahm er auch ein faseriges Tau und schlang es dem immer noch Bewußtlosen blitzschnell um die Arme. An den Handgelenken verknotete er das Tau und verfuhr dann genauso mit den Beinen des Mannes.
So, das ist erst einmal erledigt, dachte er zufrieden. Jetzt konnte er einen kleinen gurgeln.
Genußvoll setzte er die Kruke an und spülte einen weg, ließ gluckern, holte Luft, soff weiter und würzte den stinkenden Rübenschnaps mit wohligen „Ahhs“ und „Ohhhs“.
Noch einmal schaute er sich die Münzen an. Vier Stück hatte er jetzt noch, das waren vier volle Kruken Rübenschnaps.
Ja, es waren alles englische Münzen, und sie sahen eine wie die andere aus.
Sein Blick fiel auf den Schläfer. Demnach schien dieser Kerl also ein Engländer zu sein. England, was, zum Teufel, war das, und wo mochte das wohl liegen? Stanislaus hatte davon noch nie gehört.
Aber soviel anders sahen diese Engländer anscheinend nicht aus. Na ja, hellblond und hager, ein bißchen dürr, aber solche gab es auch in Polen.
Dieser Mann schien jedenfalls