Seewölfe Paket 7. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954394968
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Menschenfresser“, sagte De Aragon. „Bestien in Menschengestalt.“ Er schüttelte sich angewidert.

      „Mir – mir ist so merkwürdig“, sagte Virgil. „Warum wird es plötzlich so dunkel?“

      „Sie haben sich überanstrengt“, erwiderte der Capitan mitfühlend. „Legen Sie sich wieder hin, ich lasse Ihnen etwas zu essen bringen.“

      Virgil schüttelte den Kopf.

      „Nein, nein, ich muß das loswerden“, sagte er hastig. „Jetzt kehrt auch die Erinnerung wieder. Wir fanden von den Wilden keine Spur mehr, aber wir sahen ein Dorf, das sie verlassen hatten. Nachts schwirrten plötzlich Brandpfeile durch die Luft, und plötzlich waren sie da, an Deck. Das Schiff wimmelte von nackten Leibern, und diese Teufel erschlugen einen nach dem anderen, obwohl wir alle Waffen einsetzten, die wir hatten.“

      De Aragons Gesicht war zu einer steinernen Maske geworden. Die Wangenmuskeln traten scharf hervor.

      „Wissen Sie, wo der Ort liegt?“ fragte er.

      „Weiter südlich, es ist, glaube ich, nur das eine Dorf, jedenfalls das allererste. Glauben Sie mir, Senor Capitan, ich habe nie in meinem Leben etwas Schlimmeres gesehen. Wenn wir zehn von ihnen umgebracht hatten, tauchten zwanzig andere auf. Der Steuermann und ich sprangen ins Wasser und zogen uns in das Boot, in dem auch eine Muskete lag. Ein paar konnten wir noch töten, dann entdeckten sie uns in dem Moment, als einer von ihnen gerade den Capitan erschlug. Die Galeone muß untergegangen sein, denn sie stand in hellen Flammen, als wir mit dem Boot lossegelten. Außer uns beiden hat keiner das Massaker überlebt.“

      De Aragon ließ sich seinen unbändigen Zorn nicht anmerken. Er stand auf und nickte.

      „Einen Augenblick, Virgil.“

      Er ging an Deck und rief Lopez herbei.

      „Lassen Sie auf den alten Kurs zurückgehen, Lopez. Wir laufen die Küste an und segeln dicht daran entlang. Jeder Fetzen Tuch wird gesetzt.“

      „Si, Senor Capitan, sofort.“

      Lopez stellte keine Fragen, aber er ahnte, was vorgefallen war.

      De Aragon kehrte in die achtere Kammer zurück und bot Virgil einen Rotwein an, doch der wollte nichts essen und erst recht nichts mehr trinken.

      „Ich brauche nichts mehr“, sagte er, „mit mir geht es bald zu Ende, ich fühle das.“

      Seine magere Hand griff nach dem Arm des Capitans, und er sah ihm beschwörend in die Augen.

      „Wenn Sie das Dorf anlaufen, Senor, dann nehmen Sie sich vor den Teufeln in acht, die ehrbaren Männern die Köpfe abschlagen und ihre Körper verschleppen, um sie zu fressen, sonst ergeht es Ihnen, wie es uns ergangen ist.“

      „Keine Angst, wir sind gewarnt. Ich sorge mich um Sie, Virgil, Sie müssen etwas trinken!“

      „Vielen Dank. Ich habe mir auf der verdammten Insel den Tod geholt. Er hockt in mir, er lauert auf mich.“

      „Quatsch, Sie sind über den Berg, mit Ihnen geht es aufwärts. Erzählen Sie mir, was sich auf der Insel abgespielt hat.“

      Virgil lächelte gequält. „Ich sehe es wieder ganz deutlich vor mir. Merkwürdig, nicht wahr? Antonio starb nach ein paar Tagen.“

      De Aragon hielt den Atem an, er sagte kein Wort.

      „War er schwer verletzt?“ fragte der Capitan schließlich, als Virgil nicht weitersprach.

      „Nein, ihm fehlte nichts, er war nur erschöpft wie ich auch. Er muß an Erschöpfung, Hunger und Durst gestorben sein, und ich war jetzt ganz allein. Als ich den Geruch nicht mehr aushielt, schleppte ich seine Leiche ins Meer, doch bald darauf kehrte sie wieder zurück. Eine Welle warf ihn an den Strand. Die Haie müssen seinen Körper zerfetzt haben.“

      Jetzt ist das auch geklärt, dachte der Capitan. Dieser Mann mußte durch tausend Höllen gegangen sein.

      Normalerweise war es bei De Aragon nicht üblich, daß er sich fast leutselig mit einem Seemann unterhielt. Aber das hier war ein ganz besonderer Fall, und ihm stand ein Mann gegenüber, der mehr Bildung hatte als seine ganze Crew zusammen. Daher war seine Sorge um Virgil echt und entsprang einem natürlichen Bedürfnis.

      Er ließ sich noch erklären, wie lange sie unterwegs gewesen waren, und versuchte danach in etwa die Entfernung auszurechnen. Aber er konnte sich auch nach dem Dorf richten, dem einzigen an dem Küstenstreifen, wie Virgil versicherte.

      „Legen Sie sich wieder hin“, befahl er. „Wir segeln jetzt nach Kalimantan und werden dieses Dorf finden. Und dann gnade Gott diesen Bestien. Ich werde dort aufräumen.“

      Virgil war zurückgesunken und schlief. Immer noch rasselte es in seiner Brust.

      Vielleicht schläft er sich gesund, dachte der Capitan. Ein Kerl von solch unglaublicher zäher Kondition würde es überleben, daran zweifelte er keine Sekunde.

      Als er an Deck trat, segelte die „Tierra“ unter vollem Zeug nach Süden, der Insel entgegen, und am späten Abend wurde erneut Land gemeldet.

      Als es dämmerte, ließ De Aragon bei einer Tiefe von neun Faden ankern. Er wollte nicht mehr weitersegeln, um das Dorf der Menschenfresser nicht zu verfehlen.

      An Deck gingen die ganze Nacht über acht Mann Wache, und zwei umruderten alle Viertelstunde in dem kleinen Beiboot das Schiff. De Aragon paßte auf, ihm sollte nicht das gleiche Schicksal widerfahren wie den anderen. Bei ihm war ein Überraschungsangriff durch die Wilden fast auszuschließen.

      3.

      Bei Tagesanbruch wurde der Anker eingeholt, und die Zweimastgaleone segelte dicht unter Land weiter.

      Es hatte sich bei der Mannschaft herumgesprochen, was Virgil erlebt hatte, und daß der Capitan plane, die Höllenbrut auszuräuchern, wie er sich ausdrückte.

      Die Leute brannten darauf, Rache zu nehmen.

      De Aragon befahl dem Koch, eine kräftige Brühe für den entkräfteten Mann zu kochen und trug sie selbst nach achtern.

      Virgil lag immer noch in der gleichen Stellung in der Koje, aber sein Atem rasselte nicht mehr.

      Vorsichtig versuchte De Aragon ihn zu wecken, und als Virgil nicht reagierte, drehte er ihn herum.

      Er sah in zwei gebrochene Augen, die verschleiert ins Nichts blickten. Virgil war tot.

      Der Capitan schluckte. Mitleid mit dem armen Kerl stieg in ihm auf. Er erinnerte sich der Worte von gestern, als Virgil behauptete, er brauche nichts mehr, er würde ohnehin bald sterben.

      Erschüttert kehrte er an Deck zurück, in der Hand die Muck mit der heißen Brühe.

      „Diablo“, sagte er laut, nahm die Muck und schleuderte sie in einem Wutanfall über Bord. Dann winkte er Lopez herbei.

      „Der Mann ist gestorben, Lopez. Gott sei seiner armen Seele gnädig. Sagen Sie dem Segelmacher Bescheid, er soll die Leiche einnähen. Nachher werden wir ihn bestatten.“

      Der Steuermann war fassungslos.

      „Virgil tot?“ fragte er verdutzt. „Aber gestern lebte er noch“, fügte er wenig geistreich hinzu.

      „Viele, die gestern noch lebten, sind heute tot“, antwortete De Aragon, und wieder erschien dieser herablassende Ausdruck in seinem Gesicht, der den Steuermann ärgerte.

      Der Tote wurde aus der Kammer geholt. In der Kuhl begann der Segelmacher damit, die Leiche in festes Segelzeug einzunähen.

      Schweigend stand der größte Teil der Crew herum. Sie alle bedauerten diesen Mann, und inzwischen kannte auch jeder seine abenteuerliche Geschichte.

      De Aragon übergab ihn nicht einfach der See, indem sie ihn über Bord stießen.

      Er nahm sich die Zeit, ließ die Segel aufgeien, bis das Schiff keine Fahrt mehr lief und leicht