Seewölfe Paket 7. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954394968
Скачать книгу
Aber er sagte sich, daß es jetzt auch nicht mehr darauf ankäme, denn genausogut hätten sie die Insel ja auch etwas später anlaufen können.

      Mit eiligen Schritten lief er voraus, bis er die Insel zur Hälfte umrundet hatte.

      Dann sah der Seemann, wie Lopez stehenblieb, als hätte ihn eine unsichtbare Faust getroffen.

      Daß dort ein kleines Boot lag, registrierte er fast nur im Unterbewußtsein. Aber er sah den Mann oder vielmehr das, was von ihm noch übrig war, und er schluckte hart.

      Vor ihnen im Sand lag ein Gerippe, an dem nur noch ein paar Fetzen ausgedorrtes Fleisch hingen. Reste einer zerfetzten Hose bedeckten die unteren Knochen.

      Lopez sagte kein Wort, stumm blickte er auf das Gerippe und wandte sich dann um, um nach dem Boot zu sehen. Dabei fiel sein Blick auch auf die umgestürzte Palme, und er entdeckte die Schalen von zerschlagenen Kokosnüssen.

      „Furchtbar“, stammelte der Seemann. „Sie hatten kein Wasser und nichts zu essen. Dann lieber im Kampf fallen.“

      „Du sagst es“, murmelte Lopez.

      Das Boot war leicht angeschlagen, es zog Wasser, aber es war noch bedingt seetüchtig. Am Heck fand er den Namen und zuckte unwillkürlich zusammen.

      „Nuestra Madonna“, stand da in leicht verwaschener Farbe.

      „Schnell, zurück an Bord“, sagte er, drehte sich um und lief los. Er achtete nicht darauf, ob der Seemann ihm folgte.

      ‚Nuestra Madonna‘, dachte er immer wieder, als er in das Beiboot sprang. Der Spanier aus Cadiz war mit ihnen zusammen vor mehr als zwei Jahren losgesegelt. Das letzte Mal hatten sie ihn auf einer der japanischen Inseln getroffen.

      Etwas Furchtbares mußte geschehen sein. Vielleicht war der Mann im Boot, der sich jetzt stöhnend bewegte, der einzige Überlebende der ganzen Mannschaft.

      Sie pullten sofort los, mit allen Kräften legten sie sich in die Riemen.

      Der Unbekannte wurde nach oben gehievt, dann enterte auch Lopez auf, gefolgt von den beiden Seeleuten.

      De Aragon blickte aus schmalen Augen auf den halbtoten Mann, dann sah er seinen Ersten an.

      „Erzählen Sie!“

      „Wir fanden ihn zwischen Büschen, er war es, der die Muskete abgefeuert hat, Capitan. Noch ein Mann befindet sich auf der Insel, aber er ist schon seit einigen Tagen tot. Die beiden stammen von der ‚Nuestra Madonna‘!“

      Der Capitan, ein hagerer schlanker Mann von vierzig Jahren, zuckte sichtlich zusammen.

      „Von der ‚Nuestra Madonna‘ stammen sie? Woher wissen Sie das?“

      „Am Strand liegt ein kleines Beiboot, auf dem der Name steht. Die beiden haben es hoch auf den Sand gezogen, aber es ist leck.“

      Inzwischen hatte der Capitan Anweisung gegeben, daß sich der einzige Mann an Bord, der etwas von Medizin verstand, um den Kranken kümmern solle.

      Jetzt wurde Virgil in den Schatten gelegt, und man flößte ihm kleine Schlukke Wasser ein.

      De Aragon stand mit abwesendem Blick dabei, und versuchte sich in Gedanken auszumalen, was hier passiert sein mochte.

      Ein Beiboot mit zwei Männern, die eine Muskete bei sich hatten und hier auf dieser kleinen Insel gelandet waren, mußten nicht unbedingt Meuterer gewesen sein, die man ausgesetzt hatte. Dann hätten sie sicher nicht das Boot behalten dürfen. Außerdem pflegte der Capitan der „Nuestra Madonna“ Meuterer an die höchste Rah des Schiffes hängen zu lassen. Der Capitan war in der Beziehung nicht zimperlich.

      Nein, hier hatte sich etwas anderes abgespielt, den Mann umgab ein Rätsel, das De Aragon gern gelöst hätte.

      Er blickte wieder in das Gesicht des Mannes, der sich jetzt unruhig hin und her bewegte.

      „Wird er es überleben, Miguel?“ fragte der Capitan den Mann, der sich um den Unbekannten kümmerte.

      „Er hat hohes Fieber und die Auszehrung. Ich weiß nicht, ob er die nächsten Stunden überleben wird.“

      „Sie werden alles tun, damit er überlebt.“

      Lopez blickte den Capitan an.

      „Anweisung zum Weitersegeln, Capitan?“ fragte er leise.

      „Nein. Vorerst noch nicht.“ De Aragon winkte ab. „Wir kreuzen hier und tasten uns dabei an die Insel heran, bis wir Ankergrund haben. Das wäre alles. Lassen Sie die Mannschaft in der Kuhl zusammentreten, Lopez.“

      „Si, Senor!“

      Lopez wunderte sich, weil er nicht wußte, was der Capitan plante.

      Etwas später starrten einundzwanzig Männer stumm auf den Mann im Schatten, der mehr als halbtot war.

      De Aragon schritt die Front der Mannschaft ab. Die Hände hatte er auf den Rücken gelegt.

      „Seht euch diesen Mann genau an“, befahl er. „Versucht, ihn euch ohne Bart vorzustellen, etwas voller im Gesicht. Hat ihn schon mal jemand gesehen?“

      De Aragon wollte sich Gewißheit verschaffen, ob er es hier mit einem Besatzungsmitglied der „Nuestra Madonna“ zu tun hatte oder nicht. War das nicht der Fall, hatte er auch keine Lust, weitere Nachforschungen anzustellen. Kannte ihn aber jemand aus seiner Crew, und das war sogar höchst wahrscheinlich, weil die Kerle ständig zusammengehockt hatten, dann wollte er das Geheimnis um das spanische Schiff lüften, koste es, was es wolle.

      Geduldig wartete er ab und drängte keinen, auch wenn sie lange vor dem Mann standen und ihn anblickten.

      Andererseits vermochte De Aragon sich nicht vorzustellen, daß es sich um fremde Männer handelte. Wie sollten die wohl zu dem Beiboot gekommen sein?

      Ein Mann meldete sich.

      „Verzeihung, Senor“, sagte er, „ich bin mir nicht ganz sicher, aber es könnte Virgil sein, ein Seemann aus dem Norden Spaniens. José glaubt auch, ihn zu kennen.“

      „Vortreten, alle beide!“

      Gehorsam traten die beiden Männer heran.

      „Hatte dieser Virgil irgendein besonderes Kennzeichen? Habt ihr mal etwas bemerkt? Seht ihn euch genau an, ich will wissen, was hier vorgefallen ist.“

      „Virgil hatte die Ohrläppchen durchstochen, Senor Capitan. Ein Feldscher hat ihm gesagt, daß er dann besser hören würde, er war auf einem Ohr fast taub.“

      „Seht nach, ob das stimmt!“

      Der eine kniete sich hin, schob die langen strähnigen Haare zur Seite und nickte sofort. Als er auch das andere Ohr durchstochen fand, richtete er sich auf.

      „Er ist es, kein Zweifel, Senor Capitan.“

      „Du bist deiner Sache sicher?“

      „Ganz sicher, ich weiß es.“

      In diesem Augenblick schlug der Mann die Augen auf. Sie waren seltsam klar, aber es hatte den Anschein, als sähe er nichts, denn sein Blick ging durch die Männer, die ihn schweigend umstanden, hindurch in unbekannte Fernen.

      Mühsam verzog er die Lippen, bis seine schwärzlichen Zahnstummel sichtbar wurden.

      „Schnell weg, Steuermann“, sagte er klar und deutlich, „sonst töten sie uns.“ Sein Mund verzerrte sich noch mehr. „Wasser“, hauchte er, „die anderen geben mir keins.“

      Sie flößten ihm wieder Wasser ein, vorsichtig, in kleinen Schlucken.

      Dieser Virgil scheint ein unglaublich zäher Bursche zu sein, dachte der Capitan. Er sah aus, als wäre er schon vor ein paar Tagen gestorben, aber seine Stimme klang unwahrscheinlich klar. Er stammelte auch nicht, aber nachdem er getrunken hatte, fiel er wieder in sich zusammen und blieb erschöpft liegen.

      „Bringt ihn nach achtern in meine Kammer“, befahl De Aragon. „Du bleibst bei ihm, und wenn