Sundbärg wandte zwar einige Tricks an, aber Stenmark fiel nicht darauf herein. Er blieb souverän der Überlegene. Sundbärg bemerkte es und bekam es mit der Angst zu tun, wie seinen Zügen deutlich abzulesen war.
„Ich bringe dich schon vor den Richter!“ schrie Stenmark. „Koste es, was es wolle!“
„Du schaffst es nicht!“ brüllte Sundbärg in seiner aufkeimenden Panik.
In der Kneipe war bereits einiges zu Bruch gegangen, und die Holzerei ging weiter. Die gegnerischen Parteien droschen mit abgebrochenen Stuhlbeinen, Humpen und Fäusten aufeinander ein, ein Ende der Auseinandersetzung zeichnete sich vorerst nicht ab.
Olaf Sundbärg griff jedoch plötzlich unters Hemd und zog ein Messer aus dem Gurt hervor. Er ließ die Klinge ein paarmal durch die Luft schneiden, dicht vor Stenmarks Gesicht, dann stellte er sich mit abgespreizten Beinen hin und breitete die Arme aus, wobei er seine Waffe zum Stich bereithielt.
„Du Narr!“ stieß er hervor. „Hast du dir eingebildet, ich hätte überhaupt keine Waffe bei mir? Wie dumm du doch bist.“
„Ich weiß, wie gut du mit Messern umgehen kannst“, entgegnete Stenmark. „Das hast du ja auch bewiesen, als du Kerstin umgebracht hast.“ Er ließ sich nicht einschüchtern. Seine Augen verengten sich nur, sein Atem aber ging ruhig und regelmäßig.
7.
Stenmark war ein viel zu erfahrener Kämpfer, um sich von Olaf Sundbärgs Messerfuchtelei einschüchtern zu lassen. Und ins Bockshorn ließ er sich schon lange nicht jagen. Er selbst hatte einen Schiffshauer im Waffengurt stecken, außerdem eine Miqueletschloßpistole und ein Messer mit acht Zoll langer Klinge. Doch er hatte nicht vor, diese Waffe einzusetzen.
Er trat einen Schritt auf Sundbärg zu, und dieser wurde noch nervöser als zuvor. Plötzlich versuchte er es mit einem Ausfall. Stenmark ließ ihn auflaufen, wich dem zustoßenden Messer aber durch eine ruckartige Seitenbewegung seines Körpers aus.
Sundbärg stach ins Leere. Stenmark packte seinen Arm und drehte ihn herum. Sundbärg glaubte ein Knacken zu hören, er verspürte einen stechenden Schmerz in seinem Unterarm, schrie auf und ließ das Messer los, das im hohen Bogen durch das Wirtshaus segelte und hinter der Theke landete.
„Und jetzt zur Sache“, sagte Stenmark. Er verpaßte seinem Vetter einen Hieb in den Nacken, ließ ihn über sein Knie stolpern, sah zu, wie dieser auf den Dielen landete, warf sich jedoch nicht auf ihn, sondern wartete, bis er wieder auf den Beinen war. Dann schlug er erneut zu, verharrte wieder, gestattete seinem Vetter, sich herumzudrehen – und griff noch einmal an.
Ein Hagel vernichtender Schläge prasselte auf Olaf Sundbärg ein, Stenmark befand sich jetzt so richtig in seinem Element und ließ nicht lokker.
Das Schicksal wollte jedoch, daß Olaf Sundbärg diese Tracht Prügel, die er seit achtzehn Jahren verdient hatte, doch noch einigermaßen glimpflich überstand.
Einer der Nachbarn des Wirtshauses hatte den Tumult vernommen, der innerhalb kürzester Zeit entstanden und auf den Marktplatz von Kungelf hinausgedrungen war. Ein paar Passanten scharten sich in der Nähe des Brunnens zusammen und stellten Mutmaßungen darüber an, was bei Hamren wohl los wäre. Der Nachbar jedoch hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Landeshauptmann zu alarmieren, der auch sofort seine Wache verließ und sich auf den Weg zum Wirtshaus begab.
Der Landeshauptmann hieß Stig Björnson. Er war ein wuchtiger Mann mit breiten Schultern und respekteinflößendem Äußeren. Seit über zwanzig Jahren versah er in Kungelf seinen Dienst, und deshalb erkannte er Stenmark auf den ersten Blick, als er die Tür der Kneipe geöffnet hatte und entschlossen ins Innere marschierte.
Die Tür flog unter Björnsons heftiger Bewegung mit einem Knall wieder zu. Er trat mitten zwischen die Streithähne und schrie: „Aufhören! Das ist ein Befehl!“
Die Männer ließen voneinander ab und blickten zu ihm hinüber. Björnson wurde im Ort und in der ganzen Umgebung geachtet, niemand hätte ernstlich gewagt, sich offen gegen ihn aufzulehnen, auch ein Olaf Sundbärg oder ein Hamren nicht. Björnson war der Polizeichef, die Garde, der Bürgermeister und der liebe Gott von Kungelf in einer Person, und was er sagte, das mußte als Gesetz hingenommen werden.
„Hauptmann Björnson!“ rief Hamren sofort. „Wie gut, daß Sie endlich erschienen sind! Dieser Kerl hier spielt verrückt!“ Er wies auf Stenmark. „Er hat ein paar Männer zum Suff verführt und sie dann überredet, mein Lokal zu demolieren!“
Stenmark ließ seinen Vetter los, den er nach wie vor in der Mangel gehabt hatte. Es hatte keinen Zweck, die Keilerei fortzusetzen, das sah er selbst ein. Arvidson und ein paar andere Männer erhoben sich mit teils verlegenen, teils immer noch wütenden Mienen von den Dielen und klopften ihre Kleidung ab. Einige rieben sich auch die Köpfe.
„Stenmark“, sagte Björnson. „Ich erkenne Sie wieder. Welcher Teufel hat Sie geritten, nach Kungelf zurückzukehren?“
„Das können Sie sich ausrechnen, Hauptmann“, erwiderte Stenmark. „Ich verlange Gerechtigkeit. Ich bin seinerzeit unschuldig verurteilt worden, denn ich habe Kerstin Nilsson nicht umgebracht. Was ich fordere, ist, daß man meinen Vetter Olaf Sundbärg vor ein Thing stellt und den Fall neu verhandelt.“
„Das ist sein gutes Recht!“ rief Arvidson.
Björnson maß ihn mit einem strengen, zurechtweisenden Blick.
„Halten Sie Ihren Mund, Helge, ich habe Sie nicht gefragt“, sagte er. „Stenmark, haben Sie diese Schlägerei angezettelt?“
Hamren wollte etwas sagen, schwieg aber.
Stenmark trat zwei Schritte auf den Hauptmann zu und antwortete: „Nein. Ich habe meinen Vetter beschuldigt und provoziert, aber angefangen hat er, das kann jeder bezeugen.“
„Lüge!“ stieß Olaf Sundbärg keuchend hervor. Er drehte sich um und sah Björnson aus roten, geschwollenen Augen an. „Wollen Sie etwa einem Mörder Glauben schenken?“
„Olaf Sundbärg, auch Sie sind von mir nicht um Ihre Darstellung gebeten worden“, sagte Björnson scharf, dann wandte er sich wieder an Stenmark. „Stenmark, ich muß Sie verhaften. Sie sind vom Gericht in Göteborg verurteilt worden, und der Schuldspruch gilt nach wie vor, das wissen Sie.“
„Ja.“
„Er verjährt nicht. Es ist meine Pflicht, Sie dem Richter zu übergeben.“
„Gewiß“, sagte Stenmark, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich lasse mich widerstandslos festnehmen. Aber ich weise Sie darauf hin, daß ich ein neues Verfahren verlange. Hiermit klage ich meinen Vetter Olaf Sundbärg des Mordes an Kerstin Nilsson an. Wenn ich mich dem Häradshöfding stelle, muß auch Sundbärg vors Gericht.“
„Nein!“ schrie Olaf Sundbärg. „Das lasse ich mir nicht gefallen! Der Mörder muß gehängt werden, und zwar auf der Stelle! Das Urteil, das damals gesprochen worden ist, ist unwiderruflich, das haben Sie selbst gesagt, Hauptmann!“
„Jawohl“, pflichtete ihm Hamren bei. „Man darf nicht zögern, das Urteil zu vollstrecken, sonst entwischt dieser Hundesohn Stenmark ein zweites Mal.“
Stenmark war versucht, dem Wirt an die Kehle zu springen, nur mit äußerster Mühe konnte er sich beherrschen. Daß Hamren mit Sundbärg unter einer Decke steckte, hatte er schon damals geahnt, jetzt wurde es ihm zur Gewißheit. Er glaubte auch zu wissen, wie sich seinerzeit alles abgespielt hatte. Doch er schwieg, um diesen Trumpf für später aufzusparen.
Vor Gericht war er damals viel zu verstört gewesen, zu durcheinander, um die Intrige zu erkennen, in die man ihn verwickelt hatte. Jetzt aber mußte er taktisch klug vorgehen und durfte sich zu nichts verleiten lassen, das erneut gegen ihn ausgelegt werden konnte. Er mußte nur immer wieder darauf verweisen, daß er bereit sei, sich dem Gericht noch einmal zu stellen, das würde seine Wirkung haben – und auch Björnson konnte nicht anders handeln, als ihn nach Göteborg zu bringen.
Björnson