„Hölle!“ schrie der Profos. „Was ist denn das für eine Schweinerei? Was wird hier gespielt? Geht das jetzt so weiter?“
Die „Schweinerei“ erwies sich als eine ansehnliche Zahl von zu umschiffenden Schären und Inselchen, die überall auftauchten und die trichterförmige Bucht, an deren Ende Göteborg lag, fast verbarrikadierten. Bei der schweren See schien es unmöglich zu sein, an diesen Hindernissen vorbeizulavieren, ohne irgendwo aufzulaufen und hilflos mit einem ramponierten Schiff festzusitzen.
Doch Hasard rief Stenmark aufs Quarterdeck, und der begann, die „Isabella IX.“ souverän zu lotsen. Er schien sich hier auszukennen wie in seiner Hosentasche. Hasard war froh und verwundert zugleich, denn ihm wurde in diesem Moment erst bewußt, wie wenig er eigentlich über seinen blonden Schweden wußte, obgleich er seit 1576 zu seiner Stammcrew gehörte.
Stenmark hatte nie über seine Heimat gesprochen – warum er sie verlassen hatte beispielsweise, oder warum er auf seiten der Engländer gegen die Spanier kämpfte. Sehr redselig war Stenmark ja auch nie gewesen. Dieser Riese mit dem kantigen Gesicht und den hellen Augen, der stets ruhig, besonnen und umsichtig war, explosiv jedoch in jedes Kampfgeschehen einzugreifen wußte und zäh und hart sich selbst gegenüber war. Er war, alles in allem, ein hervorragender Seemann.
Dies ging Hasard durch den Kopf, während Stenmark zu Pete Ballie aufenterte, neben diesem am Hilfsruder stand und die „Isabella“ sicher in den Hafen bugsierte.
Stenmark, so schien es, hielt trotz der langen Zeit, die sie nun gemeinsam zur See fuhren, noch so manche Überraschung für ihn bereit.
4.
Etwas später war es wieder Stenmark, der hilfsreich eingriff – in die Verhandlungen mit dem Hafenmeister von Göteborg, der zu den Seewölfen an Bord enterte und sich nach dem Grund ihres Hierseins erkundigte. Stenmark hatte es ihm sehr schnell auseinandergesetzt, und kurze Zeit darauf wies ihnen der Hafenmeister ohne große Formalitäten einen Liegeplatz an einer Holzpier an.
„Auch den Ruderschaden können Sie selbstverständlich bei uns beheben“, sagte er zu Hasard, und Stenmark übersetzte jedes Wort. „Wenn Sie Hilfe benötigen, brauchen Sie es uns nur zu sagen. Wir haben hier vorzügliche Schiffszimmerleute.“
„Haben Sie auch eine Schiffsschmiede?“ fragte der Seewolf.
„Ja, auch das.“
„Dann suchen wir sie am besten sofort auf“, entschied Hasard. „Stenmark, du begleitest mich als Dolmetscher.“
Auch bei diesem Abstecher zur Schmiede klappte alles ohne großes Hin und Her, Hasard war zufrieden. Die gebrochene Ruderkette würde repariert werden, und der Aufenthalt in Göteborg würde nicht länger als zwei Tage dauern.
„Das ist in Ordnung“, sagte der Seewolf zu dem Besitzer der Schmiede. „Wann können Sie mit der Arbeit beginnen?“
Wieder übertrug Stenmark das Gesagte in seine Muttersprache, und der Schmiedemeister antwortete: „Leider erst morgen früh, weil wir heute noch etwas sehr Dringendes zu erledigen haben. Ab Morgen können wir uns aber ausschließlich um Ihre Kette kümmern.“
„Einverstanden, und vielen Dank“, sagte Hasard, dann verließen sie die Schmiede, verabschiedeten sich auch vom Hafenmeister, der die ganze Zeit über mit freundlichem Lächeln bei ihnen gestanden hatte, und kehrten zur „Isabella“ zurück.
„Mit deinen Landsleuten kommt man gut zurecht, Sten“, sagte Hasard. „Sie scheinen eine unkomplizierte Wesensart zu haben. So wie du, oder?“
Stenmark grinste. „Sagst du das jetzt nur, um mir zu schmeicheln, Sir?“
„Du solltest mich besser kennen.“
„Natürlich, entschuldige“, sagte Stenmark. „Ja, wir Schweden haben eine direkte Art, die Dinge anzugehen. Große Umwege liegen uns nicht, keiner schleicht gern um den heißen Brei herum. Entweder ist man mit einem Fremden von Anfang an gut Freund, oder aber man weist ihn gleich darauf hin, daß er nicht erwünscht ist.“
„Das gefällt mir.“
Stenmark wollte noch etwas sagen, doch sie hatten inzwischen ihre Holzpier erreicht und kehrten an Bord der „Isabella“ zurück. Hier wurden sie Zeugen einer ergötzlichen Szene: Arwenack versuchte, aus der Kombüse zu entwischen, doch die Zwillinge packten ihn an den Beinen, als er gerade aus dem Steuerbordschott schlüpfte. Der Affe kreischte und zeterte, aber es nutzte ihm alles nichts, er konnte nicht mehr entwischen.
Mit sanfter Gewalt zogen sie ihn in die Kombüse zurück, dann verriegelten sie das Schott von außen und traten zu ihrem Vater.
„Arwenack geht es ein bißchen besser, Dad“, erklärte Philip junior. „Der Kutscher hat gesagt, er würde seinen Schnupfen schon auskurieren, ohne Fieber zu kriegen. Nur muß er hübsch brav im Warmen sitzen bleiben, sonst wird er rückfällig.“
„Hat der Kutscher gesagt“, fügte Hasard junior überflüssigerweise hinzu. „Aber Arwenack hat die Geduld verloren, er will sich Göteborg anschauen.“
Stenmark mußte lachen. „Gebt ihm doch eine Muck voll heißem Wasser mit Rum oder Whisky, das hilft gegen die Erkältung und gegen die Langeweile.“
„Das erlaubt der Kutscher nicht“, erwiderte Philip junior. „Und Mac Pellew sagt, es wäre um den guten Schnaps zu schade.“
„Aha“, sagte der Seewolf. „Und wie geht es unserem Sir John?“
„Der ist noch nicht wieder erschienen“, antwortete Hasard junior. „Aber wenn der Profos an uns vorbeigeht, hören wir es so merkwürdig flüstern. Das ist das Zeichen dafür, daß Sir John immer noch unter seinem Hemd sitzt.“
„Das genügt mir als Meldung“, sagte Hasard und verkniff sich sein Lachen nur, weil Carberry gerade hinter dem Großmast hervortrat. „Ihr könnt jetzt wieder abrücken. Sagt dem Kutscher und Mac Pellew, sie sollen eine Extraration Brandy austeilen, die haben sich alle redlich verdient.“
„Aye, Sir!“ rief Mac Pellew, der gerade seinen Kopf aus dem Steuerbordschott des Vordecks hervorschob. „Eine wirklich ausgezeichnete Idee!“
„Der Kerl hat gute Ohren, das muß man ihm lassen“, murmelte Stenmark. „Dabei hatte ich gedacht, die Zeit im Kerker von Plymouth hätte seine Sinne abgestumpft.“
Hasard war wieder erstaunt. So redselig hatte er Stenmark noch nie erlebt. Irgend etwas schien dahinterzustecken. Was? Nun, er hatte nicht die geringste Ahnung, auf was der Schwede hinauswollte, doch es sollte sich bald herausstellen, daß er, Hasard, sich nicht getäuscht hatte.
Stenmark strich in der Tat den ganzen Tag über um Hasard herum. Schließlich rückte er damit heraus, was er auf dem Herzen hatte.
„Sir“, sagte er mit ziemlich verlegener Miene. „Ich weiß, daß es nicht sehr kameradschaftlich von mir ist, aber ich – Hölle, ich muß dich um was bitten.“
„Heraus damit. Du hast mir doch vorhin erst erklärt, daß ihr Schweden nicht gern wie die Katzen um den Brei herumschleicht.“
„Ja. Aber den anderen gegenüber – der Crew gegenüber, meine ich – ist es nicht fair.“
„Willst du mich um Landurlaub bitten?“ fragte Hasard.
„Ja. Teufel auch, woher weißt du das?“
Hasard lächelte. „Es gehört wirklich kein Scharfsinn dazu, Sten. Man kann es deinen Zügen ganz gut ablesen, was in deinem Geist vorgeht.“
„Wirklich?“ Stenmark hustete, die Sache war ihm unangenehm. Konnte der Seewolf tatsächlich all seine Gedanken lesen? Unmöglich. Und wenn es doch so war, dann gab er ihm bestimmt keinen Landurlaub.
„Das ist so“, sagte Stenmark. „Ich bin hier herum zu Hause. Genauer ausgedrückt: oben, am Göta-Elv bei Kungelf,