„Das scheinen auch die Beschreibungen zu bestätigen, die mir hier vorliegen“, fügte der Seewolf hinzu, indem er die Schriftstücke ein Stück anhob. „Schluß der Debatte also.“
„Man wird ja wohl noch seine Meinung äußern dürfen“, brummte Old O’Flynn. „Was mich betrifft, so habe ich meine Bedenken. Wer weiß denn überhaupt, was uns jenseits von Skagen erwartet? Vielleicht ist der ganze Scheiß-Bach ja zugefroren, und wir bleiben im Eis stecken wie seinerzeit, als …“
„Darf ich jetzt auch mal was sagen?“ unterbrach ihn Stenmark, der ein Stück vorgetreten war und nun zur Balustrade aufblickte. „Ich stamme aus Schweden, falls ihr das vergessen habt, und mir ist die Ostsee besser bekannt als Nils Larsen.“
„Sicher“, meinte Nils. „Hölle, das hatte ich ja ganz verschwitzt.“
„Ich nicht“, sagte der Seewolf und lächelte. „Ehrlich gesagt habe ich mich schon gewundert, daß du deine Ostsee gar nicht verteidigst, Sten.“
„Das tue ich jetzt! Mir stinkt es wirklich, wie hier über etwas Unbekanntes hergezogen wird.“ Stenmark stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte sich um. „Habe ich vielleicht schon mal abfällig über Cornwall geredet? Oder über den Kanal?“ Er fixierte Batuti, den schwarzen Herkules aus Gambia, und rief: „He, Batuti, habe ich jemals über dein Afrika ’rumgemotzt?“
„Nicht die Bohne“, sagte der Gambia-Mann. „Das wäre ja auch noch schöner.“
„Na eben“, sagte Stenmark wütend. „Deswegen finde ich die Art, wie ihr hier losstänkert, so richtig beschissen. Wenn ich dich, Matt, mal in den Sund stoße, was meinst du wohl, wie schnell du dann absäufst?“
„Langsam“, sagte Matt Davies. „Ich habe nicht behauptet, daß die Ostsee so flach wie eine Pfütze ist. Und noch was: Hier wird über die See gesprochen, mein Junge, nicht über deine geliebte Heimat Schweden. In Schweden würde ich sogar gern mal an Land gehen, da soll es feine blonde Mädchen geben.“
„Halt doch die Klappe!“ fuhr der Schwede ihn an. „Dein blödes Gefasel geht mir auf den Geist!“
Carberry trat zu Stenmark und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sten, das geht entschieden zu weit. Keiner will dich beleidigen. Erzähl uns lieber mehr über die Ostsee, damit wir endlich Bescheid wissen. Ist es da überall so kalt wie hier?“
„Ja“, antwortete der große blonde Mann. „Es kann einem hier und dort sogar der Achtersteven abfrieren, man muß ihn gut festhalten, damit er nicht ’runterfällt.“ Seine hellen Augen glitzerten, er war jetzt richtig in Fahrt. Erinnerungen stiegen in ihm auf, doch die wollte er seinen Kameraden nicht anvertrauen. Der Gedanke an das, was ihm seinerzeit in seiner Heimat widerfahren war, nährte jedoch seinen Zorn.
„Wie sprichst du eigentlich mit deinem Profos?“ fuhr Carberry ihn an.
„Beim Donner, so kommen wir doch nicht weiter“, sagte Smoky. „Was soll denn der Quatsch? Nun haltet doch gefälligst alle mal die Luft an!“
„Richtig“, sagte Hasard, und seine Stimme klang jetzt kalt und schneidend. „Mir reicht es jetzt auch. Reißt euch gefälligst zusammen, sonst nimmt die ganze Diskussion ein übles Ende.“ Drohend zogen sich seine Augenbrauen zusammen.
3.
Mit leisem Knirschen schob sich der Bug des Bootes in den Schnee am Ufer des Göta-Flusses. Olaf Sundbärg hatte sich bereits von der Ducht erhoben und die Riemen binnenbords geholt. Er wartete den sanften Anprall ab, dann sprang er in den Schnee und schlang die Bootsleine um einen dicken Pflock. Er belegte ein weiteres Tau, das mit dem Heck der Jolle verbunden war, um einen Baumstamm, vergewisserte sich, daß er sein Werk auch gewissenhaft genug versehen hatte, nahm seine Waffen und seine übrigen Habseligkeiten an sich und lud sich dann seine Jagdbeute auf die Schulter.
Mit schweren Schritten bewegte er sich durch den Wald, der vor ihm lag. Knapp eine Meile trennte ihn von dem Gehöft der Sundbärgs. Als er etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, erblickte er in der Dunkelheit vor sich den gelblichen Schein zweier Lichter, die ihm von nun an den Weg wiesen.
Seine Mutter war vor drei Jahren gestorben. Seit jenem Tag bewohnte er das Gehöft nur noch mit seinem Vater zusammen. Geschwister hatte Olaf nicht, und es gab auch keinen Knecht und keine Magd. Der alte Sixten Sundbärg war zwar schwerhörig und konnte auch nicht mehr so gut sehen wie früher, doch er war keineswegs gebrechlich. Mit Olaf zusammen gelang es ihm, den Hof weiterhin zu unterhalten und auch Viehzucht zu betreiben. Wenn Olaf einmal für ein paar Tage in den Wäldern verschwand, verließ der alte Mann die Gebäude keinen Augenblick, er kapselte sich dann völlig von seiner Umwelt ab.
Olaf lachte leise. Sein Vater würde sich über den Wolf freuen, sie würden Bier trinken und über das Jagdabenteuer plaudern. O ja, sie verstanden sich großartig. Nur eins verbarg Olaf vor Sixten: Wie er mit den Frauen umsprang, die er gelegentlich zu sich in die Kammer holte oder in den Ortschaften der Umgebung aufsuchte.
Olaf hatte die Umzäunung des Gehöfts fast erreicht, da wurde er auf die Gestalt aufmerksam, die sich am Rand des Waldes durch die Finsternis bewegte. Er blieb stehen und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Täuschte er sich oder handelte es sich wirklich um eine weibliche Gestalt?
Sie war nicht allzuweit von ihm entfernt, er konnte sie einholen. Rasch änderte er seine Richtung, lief nun fast und gelangte trotz der Last auf seinen Schultern gut voran.
Die Wolken, die am Himmel dahintrieben, setzten für eine Weile die bleiche Sichel des Mondes frei, und Olaf vermochte jetzt deutlich zu erkennen, wen er vor sich hatte. Ja, es war eine junge Frau – ein Mädchen. Aina, die Magd des Bauern Börje Magnusson, er hatte sie schon des öfteren von weitem gesehen und ihre gute Figur bewundert. Was führte sie um diese Zeit in die Nähe des Waldes und des Sundbärg-Gehöftes?
Sie bemerkte, daß sie verfolgt wurde, und stieß einen kleinen, entsetzten Schrei aus.
„Aina!“ rief Olaf. „Hab keine Angst! Ich bin’s, Olaf Sundbärg! Was ist denn los, brauchst du Hilfe?“
Sie hatte vor ihm fliehen wollen, verharrte jetzt aber und blickte aus ihren großen blauen Augen zu ihm hinüber.
„Mein Gott“, sagte sie schwer atmend. „Hast du mir aber einen Schrecken eingejagt. Ich fürchte mich wirklich.“
Nur zwei Schritte von ihr entfernt blieb er stehen und sah sie an. „Das ist jetzt nicht mehr nötig, ich bin ja hier. Soll ich dich nach Hause begleiten?“
Etwas beschämt blickte sie zu Boden. „Nein. Das möchte ich von dir nicht verlangen. Weißt du, ich war in Kungelf, um dem Hamren-Wirt eine Nachricht von meinem Herrn zu überbringen. In einer Woche feiert Börje Magnusson nämlich seinen fünfzigsten Geburtstag, und da möchte er zwei Fässer Bier einkaufen, die Hamren ihm selbst bringen soll. Ich habe auch noch ein paar andere Botengänge und Besorgungen in Kungelf erledigt, und da ist es leider spät geworden. Ich bin von der Dunkelheit überrascht worden, verstehst du?“
„So ein Pech. Willst du bei uns übernachten?“
„Nein, nein, das geht nicht“, erwiderte sie hastig. „Die Magnussons warten auf mich und würden sich um mich sorgen.“
„Aber ein wenig aufwärmen solltest du dich“, sagte Olaf, wobei er sich darum bemühte, seiner Stimme einen sanften, einschmeichelnden Klang zu verleihen. „Komm, wir gehen ins Haus. Mein Vater wird sich auch darüber freuen, einen Gast begrüßen zu dürfen. Du trinkst etwas Heißes, und dann setzt du deinen Weg fort. Besser wäre aber, wenn ich dich mit dem Zweispänner zu Magnusson bringen würde.“
„Das ist nicht erforderlich“, sagte sie verlegen.
„Nun zier dich nicht so.“ Olaf lachte. „Wir Sundbärgs beißen doch nicht.“ Es gelang ihm, sie zu überreden, und so folgte sie ihm auf den Hof. Olaf wandte