Hasard lachte. „Dieser Name ist wirklich zutreffend, denn wenn ich mich nicht täusche, legt der Wind noch ein bißchen zu und die Temperatur sinkt weiter. Die Arwenacks fangen jetzt langsam an zu jammern.“
Pete und Nils lachten, und auch Ben Brighton, der sich inzwischen dem Ruderhaus genähert hatte, setzte eine amüsierte Miene auf.
„Da unterschätzt du deine Crew aber“, sagte er. „Es muß noch um einiges dicker kommen, um sie aus der Fassung zu bringen.“
„Und was ist, wenn der Wind uns auf Untiefen drückt?“ fragte der Seewolf.
Nils schüttelte den Kopf. „Ich kann dich beruhigen. Längs der Jammerbucht verläuft ein einziger Sandstrand, es gibt keine Drachenzähne.“
„Keine Klippen also wie an der bretonischen Küste?“ fragte Pete mit ziemlich argwöhnischem Gesicht. „Bist du wirklich ganz sicher?“
„Na, hör mal!“ stieß Nils empört hervor. „Ich muß mich hier doch auskennen. Falls wir an Land getrieben werden, brauchen wir nur weich die Dünen hochzufahren. Dann können wir unversehrt aussteigen. Unsere Lady nimmt dabei auch keinen Schaden, denn Sand ist schließlich weicher als Fels.“
„Hör sich das einer an“, brummte Pete. „Der Aufenthalt in der Passage zwischen Norderney und Baltrum ist dir wohl auf den Geist gegangen, was?“
„Wie meinst du das?“ fragte der Däne drohend. „Glaubst du, ich bin so behämmert wie die Ostfriesen? Beim Donner, paß bloß auf, daß ich dir dein Ruderrad nicht um den Hals hänge!“
Hasard unterbrach ihren Disput durch eine Handbewegung. „Verrate mir lieber, wie weit es noch bis Skagen ist, Nils. Ich habe die Warterei jetzt wirklich satt.“
„In etwa drei Stunden dürften wir Hirtshals erreicht haben“, entgegnete der Däne. „Dann ist es nur noch ein Katzensprung bis nach Skagens-Grenen, dem nördlichsten Zipfel von Jütland. Bevor es dunkel wird, sind wir am Ziel.“
„Ben“, sagte der Seewolf. „Teile das bitte auch den Männern mit. Am Spätnachmittag öffnen wir Lord Gerald Clivedens Ledermappe, und dann verlese ich die Order der Königin.“
Ben Brighton stieg zum Quarterdeck und von dort aus zur Kuhl hinunter. Etwas verwundert blickte er zu Carberry, der in diesem Moment das Steuerbordschott des Vordecks geöffnet hatte und in die Kombüse blickte. Nicht weniger erstaunt nahm Ben zur Kenntnis, daß die Männer der Wache am Grinsen waren.
„Was geht denn hier vor?“ fragte Ben.
„Mister Carberry hat Sir John verloren“, erwiderte Blacky. „Er sucht nach ihm, aber der Papagei kann ihm nicht antworten.“
„Wieso nicht?“ wollte Ben wissen.
„Weil Sir John erkältet und dadurch so heiser ist, daß er die Stimme verloren hat“, erwiderte Gary Andrews grinsend. „Ist das nicht ein Witz?“
„Ja“, sagte Ben, aber er rang sich nur ein sparsames Lächeln ab. „Nun hört mal alle her, ich habe euch etwas Wichtigeres mitzuteilen.“
Ed Carberry hatte unterdessen die Kombüse betreten und hustete, weil ihm Rauchschwaden entgegenschlugen.
„Kutscher, verdammt noch mal“, sagte er grollend. „Warum hast du den Rauchabzug nicht montiert?“
„Das habe ich getan“, erwiderte der Kutscher mit Würde. „Und Mac Pellew hat mir dabei geholfen. Aber die Kälte drückte den ganzen Qualm durch das Rohr in die Kombüse zurück.“
„Das stimmt“, bestätigte Mac Pellew mit der bei ihm üblichen sauertöpfischen Miene. „Und wenn wir nicht aufpassen, verstopft uns das Ding beim nächsten Schneegestöber.“
„Ihr habt sie ja nicht mehr alle!“ wetterte der Profos. „Kalte Luft drückt nicht auf den Rauch, das hast du dir bloß selbst ausgedacht, Kutscher.“
„Ich schlage vor, heute nur kaltes Essen aufzutragen“, sagte der Kutscher – diesmal aber wirklich mit der Absicht, Carberry zu ärgern.
„Das könnte dir so passen!“ brüllte der Narbenmann so laut, daß das Schott wackelte. „Wenn du uns das antust, wanderst du drei Tage lang ab in die Vorpiek – zum Fasten! Und der Schnee? Den kehrt ihr jetzt hübsch säuberlich von der Galion, und wenn er im Rohr steckenbleibt, blast ihr von unten ’rein, verstanden, was, wie?“
„Aye, Sir“, entgegneten der Kutscher, Mac Pellew und die Zwillinge, die beim Zubereiten des Essens mithalfen. Philip junior und Hasard junior rückten vorsichtshalber etwas von Carberry ab, um sich nicht in seiner Reichweite zu befinden, und sie hielten auch schon nach Gerätschaften Ausschau, mit denen sie den Schnee von der Galion fegen konnten.
„Mister Carberry“, sagte der Kutscher seufzend. „Was gibt uns die Ehre deines Besuches?“
„Ich habe da eben so ein merkwürdiges Geräusch gehört“, versetzte der Profos mit grollender Stimme. „So eine Art Niesen. Warst du das, du Hering – oder Sir John?“
„Das war Arwenack“, antwortete der Kutscher. „Er hat sich einen Schnupfen weggeholt. Das habe ich ja gleich geahnt. Er ist an diese Temperaturen nicht gewöhnt.“
„Warum zieht ihr ihm nicht was Warmes an?“ fragte Carberry mit erzwungener Ruhe und vorgetäuschter Freundlichkeit. „Wäre doch keine schlechte Idee, was, ihr Schlaumeier?“
„Das haben wir bereits getan“, sagte Philip junior und wies in eine der Raumecken jenseits der Feuerstelle.
Erst jetzt entdeckte auch der Profos die kleine Gestalt, die da in sich zusammengesunken kauerte und mehr einem Häufchen Elend glich.
Arwenack, der Schimpanse – als Bordmaskottchen begleitete er die Seewölfe vom Beginn ihrer Fahrten an. Kein Seegefecht hatte ihn um sein Affenleben bringen können, er war in keinem Sturm über Bord gegangen, hatte Schiffbruch, Orkan und sämtliche Entbehrungen, die man sich nur denken konnte, mit „seinen Menschen“ zusammen eisern durchgestanden. Doch die Jahre waren auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Er war ein bißchen empfindlicher geworden, und die Kälte war sein ärgster Feind.
Er bewegte die Nase, kräuselte die Lippen, verdrehte die Augen und gab einen Laut von sich, der einem menschlichen Niesen sehr ähnlich klang. Er schnaufte heftig, zog den Kopf wieder ein und kuschelte sich in die Jacke und die Hose aus Segeltuch, die die Zwillinge ihm angelegt hatten.
„Teufel auch“, sagte der Profos und kratzte sich nachdenklich an seinem mächtigen Rammkinn. „Den hat’s wirklich schwer erwischt. Paßt bloß auf, daß er kein Fieber kriegt. Und Sir John? Wo, zur Hölle, steckt das verdammte Rabenaas?“
„Sir, wir wissen es nicht“, entgegnete Hasard junior und zuckte mit den Schultern. Philip junior, der Kutscher und Mac Pellew gaben ebenfalls durch Gebärden zu verstehen, daß sie nicht die geringste Ahnung hätten, wo der Papagei sein könnte.
Carberry schimpfte noch über dieses und jenes herum und stieß seine gewohnten Drohungen gegen den Kutscher, Mac Pellew und die Söhne des Seewolfes aus, dann kehrte er auf das Hauptdeck zurück.
Er wollte sich gerade Ben Brighton und der Crew zuwenden, die an der achteren Kuhlgräting standen und offensichtlich angeregt über irgend etwas sprachen, da drang wieder ein rätselhafter Laut an seine Ohren – ein Kratzen! Diesmal schien es vom Backbordschott des Vordecks zu kommen.
„Da wird doch der Barsch in der Pfanne verrückt“, brummte Carberry aufgebracht und riß das Schott auf.
Sir John, der karmesinrote Aracanga, watschelte aus dem Dunkel des Vordeckraums ins Freie und flüsterte mit heiserer Stimme: „Backbrassen, der Kahn säuft ab!“ Dann stimmte er ein Hüsteln an, das dem eines im Sterben liegenden Hundertjährigen nicht unähnlich war.
Carberry bückte sich und streckte besorgt beide Hände nach ihm aus.
„Sir John, alter Junge“,