„Zieht ihm das Messer raus“, sagte der Kreole. „Schnell!“
Campos griff nach seinem Säbel, riß ihn heraus und fuhr zu der Crew herum.
„Zu spät!“ schrie er. „Der ist bereits in der Hölle!“
Erst jetzt sahen die Kerle, daß der Ire tot war. Seine gebrochenen Augen waren blicklos in den Himmel gerichtet.
Der Admiral ließ den Säbel durch die Luft pfeifen.
„Nun los doch!“ sagte er. „Gordo als erster. Du hast doch so ein großes Maul, nicht wahr?“
El Gordo schluckte, sein Blick war wie hypnotisiert auf den toten Iren gerichtet. Daß Luis Campos soweit gehen würde – damit hatte er nicht gerechnet.
„Ich habe dir was befohlen!“ sagte Campos scharf.
El Gordo bewegte abwehrend die Hände. „Schon gut, Admiral. Das eben – war nicht so gemeint.“
„Nicht? Sondern wie?“
„Wir sind nur ein bißchen erschrocken“, sagte der dicke Mann.
„Ach? Und ihr wollt nach Tortuga zurücksegeln?“
„Warum geben wir’s ihm nicht?“ stieß der Kreole hervor. „Gemeinsam sind wir eine Macht, er kann nichts gegen uns ausrichten.“
Der Admiral stand unvermittelt neben El Gordo, und die Säbelklinge zischte durch die Luft. Der Kreole hatte plötzlich einen blutigen Strich auf der nackten Brust.
„Willst du es mit mir aufnehmen?“ fragte Campos. „Dann los! Wir können anfangen!“
Der Kreole wich zurück. „Ich – ich habe das nur spaßig gemeint.“
„Eine merkwürdige Art von Humor hast du“, höhnte der Admiral. Er wußte bereits, daß er wieder Herr der Situation war. „Du nimmst also alles zurück und behauptest das Gegenteil. Wolltest du das sagen?“
„J-ja.“
„Und du, Gordo?“
„Ich auch“, erwiderte El Gordo hastig.
Cimarron und die anderen riefen: „Wir ebenfalls!“
„Um so besser“, sagte der Admiral im Tonfall größter Genugtuung. „Dann sind wir uns ja wieder mal einig. Ich hatte keinen Zweifel, daß es so sein würde. Los jetzt, auf eure Posten! Wir haben schon genug Zeit verloren. Wir gehen wieder auf Gegenkurs!“
El Gordo beugte sich über den toten Iren. „Und er? Was wird aus ihm?“
„Was soll aus einem Toten schon werden?“ sagte Campos hämisch. „Ein toter Ausguck ist ein schlechter Ausguck, nicht wahr? Und er taugt auch sonst nichts mehr. Werft ihn ins Wasser. Ich will ihn nicht mehr sehen! Wird’s bald?“
„Das Messer“, sagte der Kreole.
Campos war mit zwei Schritten wieder bei El Gordo, bückte sich und riß dem Toten das Messer aus der Brust. „So, jetzt habe ich es wieder. Nimm ihm noch die Waffen ab, von mir aus auch die Stiefel. Dann weg mit ihm.“
Kurz darauf flog der Ire ins Wasser und sackte weg. Man ging auf Gegenkurs – wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen und verstecktem Trotz. Sie saßen in der Falle und waren ihrem Admiral ausgeliefert – auf Gedeih und Verderb. Sie hatten immer noch Angst vor ihm und seinem Messer und Säbel, wie sich gezeigt hatte, und aus diesem Grund hatte er ihrer aller Leben in der Hand.
„Da vorn ist was!“ rief plötzlich der Kreole, der auf Campos’ Befehl hin jetzt den Posten des Ausgucks im Bug übernommen hatte. „Da schwimmt was!“
„Leute von uns“, sagte El Gordo. „Aber sie schwimmen nicht, sie hocken auf einer Luke oder Gräting, scheint mir.“
Der Admiral nahm sein Spektiv zu Hilfe und erkannte durch die Optik, daß es sich tatsächlich um vier Gestalten handelte, die auf einer Gräting kauerten.
Diese vier waren reichlich demoralisiert – nicht nur wegen des Verlustes ihrer Schaluppe, an deren Untergangsstelle sie noch trieben und sich mit Mühe und Not hatten retten können, sondern auch wegen der Haie, die sich an ihren Kumpanen bedient und auch bereits die Gräting attackiert hatten.
Als sie die heransegelnde Schaluppe bemerkten, hoben sie die Hände und winkten. Ihre Stimmen klangen heiser und brüchig.
„Hilfe!“
„Hierher! Holt uns hier weg!“
„Wir drehen bei und bergen sie von der Gräting ab“, sagte der Admiral. „Wir können sie als Verstärkung noch gebrauchen.“
So näherte sich der Zweimaster der Gräting, und wenig später streckten sich den vier Schiffbrüchigen hilfreiche Hände entgegen.
„Los, rüber mit euch!“ rief Campos. „Beeilung! Wir haben unsere Zeit nicht gestohlen!“
„Tores“, sagte El Gordo zu einem der Kerle, die an Bord der Schaluppe überenterten. „Du bist das?“
„Ja“, erwiderte Tores, ein wuchtig gebauter Spanier, mit grimmiger Miene. „In Fleisch und Blut. Aber bald wär’s aus gewesen, wenn ihr nicht erschienen wärt.“
„Gibt es noch andere Überlebende?“ fragte Campos.
„Nein“, sagte Tores. „Die meisten waren gleich tot, als sie uns mit den Drehbassen und Kanonen befeuerten. Von den anderen sind drei von den Haien verschlungen worden.“ Er schüttelte sich. „Und uns hat das auch geblüht.“
Daß sie aber vom Regen in die Traufe geraten waren, begriffen sie erst kurz darauf – als sie vernahmen, daß der Admiral die Absicht hätte, dem Zweidecker auch weiterhin zu folgen. Einer von ihnen, ein dürrer Kerl namens Alain, drehte beinah durch, als er es erfuhr.
„Wahnsinn!“ schrie er. „Gegen die Kerle dieser schwarzen Hexe besteht nicht die geringste Chance! Zwei Schaluppen haben wir bereits verloren!“
„Der Gegner ist in der Überzahl!“ rief Tores.
„Ein Enterversuch ist reiner Selbstmord!“ schrie Alain.
Der Admiral musterte ihn kalt. Dieses Mal hielt er sich zurück. Er konnte nicht noch ein Exempel statuieren, außerdem war die Gefahr einer Meuterei noch nicht wieder vorhanden. Im übrigen brauchte er jetzt jeden Kerl, wenn er wirklich Erfolg mit seinem neuerlichen Angriff auf den Zweidecker haben wollte.
Deshalb deutete er nur auf die Gräting, die achteraus hinter ihnen zurückblieb, aber noch zu sehen war.
„Meinetwegen“, sagte er. „Ihr könnt gern wieder dorthin zurück, von wo wir auch abgeborgen haben. Wenn ihr nicht an Bord bleiben wollt, halte ich euch nicht.“
Alain schüttelte sich vor Grauen. „Auf die Gräting zurück? Nein, niemals.“
Tores blickte Campos aus geweiteten Augen an. „Das kannst du nicht von uns verlangen. Das wäre glatter Mord, Admiral.“
„Ich verlange es nicht von euch“, sagte Campos. „Ich biete es euch nur an. Und wage nicht noch einmal, von Mord zu sprechen. Ich habe noch keinen Kameraden umgebracht oder in den Tod getrieben, merk dir das. Alles, was ihr mit mir unternehmt, geschieht freiwillig, klar?“
„Klar“, murmelten Tores und Alain. Ihr dritter Kumpan aus der Schaluppe Nummer zwei stieß in diesem Moment einen entsetzten Laut aus und wies mit bebendem Arm auf die Gräting.
„Da!“ schrie er. „Ein Hai!“
Die Kieker wurden auseinandergerissen und herumgereicht, jeder warf einen Blick hindurch. El Gordo stand mitten auf dem Deck, und seine starken Finger schlossen sich um das Rohr, als wolle er es zerquetschen.
„Ein Hai“, sagte er. „Ein grauer, verfluchter Hai. Und was für ein Riesenbiest.“