„Santa Maria“, stammelte Alain. „Steh uns bei.“
„Keine Sorge“, sagte der Admiral mit spöttisch verzogenem Mund. „Hier greift er uns nicht an. Aber jetzt auf der Gräting zu sitzen, wäre verdammt schlecht.“
„Wir bleiben natürlich hier“, erklärte Tores hastig. „Ich meine – das war eben nur so dahergesagt.“
Luis Campos musterte ihn aus kalten, gnadenlosen Augen. „Ja. Aber wenn ihr an Bord bleibt, dann habt ihr weiter nichts zu tun, als die Schnauze zu halten und meine Befehle auszuführen. Also, ihr habt die Wahl, bitte sehr.“
„Wir bleiben“, murmelten die vier, und es war das erste Mal, daß der vierte Schiffbrüchige etwas sagte, seit er an Bord der Schaluppe war. Seine Verhaltensweise war die beste: Maul halten und Kommandos ausführen. So wollte Campos es haben. Warum auch nicht? Bisher war es immer so gewesen, und so konnte es auch bleiben, trotz allem, was vorgefallen war.
An Bord der Schaluppe war man jetzt in Sicherheit, allein das war ausschlaggebend. Vielleicht, so dachte Tores, als er sich seiner ihm von Campos zugeordneten Aufgabe zuwandte, finden wir den Zweidecker ja auch gar nicht mehr. Zu wünschen wäre es. Vielleicht haben wir ja wenigstens in diesem Punkt Glück.
Somit war der Fall vorerst ausgestanden. Tores, Alain und die beiden anderen Männer von Schaluppe zwei blieben an Bord des „Flaggschiffes“. Der Admiral segelte wieder auf dem Kurs der „Caribian Queen“ und versuchte erneut, sie zu finden.
6.
Muddi – so hieß der Mann, der sich an diesem Nachmittag des 5. Oktober im Hauptmars der „Caribian Queen“ befand und aufmerksam nach allen Seiten Ausschau hielt. Daß er da oben war, wurde von allen begrüßt, nicht nur von Siri-Tongs Crew, sondern auch von den Männern der „Isabella“ und der Mannschaft Jean Ribaults.
Sehr viel schlechter wäre es gewesen, wenn er beispielsweise die Kombüse betreut hätte. Höchstwahrscheinlich hätte dann keiner mehr auch nur einen Bissen heruntergewürgt, denn allein beim Anblick Muddis konnte einem schlecht werden. Ja, hätte man ihn zum Kombüsendienst eingeteilt, dann wäre er mit Sicherheit von den versammelten Crews per Fangleine ins Wasser getunkt oder mit dicken Tampen durchgeklopft worden, damit der Dreck abfiel.
Muddi, der eigentlich Robinson hieß oder sich so nannte, war nämlich die dreckigste Ratte, die an Bord dieses Schiffes herumlief. Er wusch sich so gut wie nie, daher rührte auch sein Beiname, der im Englischen soviel wie „Dreckiger“ bedeutet.
Er behauptet von sich, ein „waschechter“ Engländer zu sein, aber das nahm ihm keiner wirklich ab. Er war entsetzlich schmierig, kratzte sich ständig und verbreitete einen höchst unangenehmen Geruch, so daß man es in seiner Nähe kaum aushielt.
Die Haare wuchsen ihm nicht nur auf dem Schädel und am Kinn, sie sprossen ihm auch aus den Ohren und aus der Nase. Seine grauenhaften Finger waren ebenfalls von schwarzen Haaren übersät, so daß man das Gefühl hatte, eine Vogelspinne krieche auf einen zu, wenn er sich bewegte.
Aus allen diesen Gründen schlief Muddi stets allein, irgendwo an Deck. Das war auch damals, zu den Zeiten des „Roter Drache“, schon so gewesen. Weiterhin hatte die Crew der Roten Korsarin einen alten Brauch bewahrt, der von Zeit zu Zeit wie ein Ritual wiederholt wurde: Dann griff man sich diesen Dreckspatz Muddi und warf ihn unter allgemeinem Johlen und Pfeifen ins Wasser, und zwar in die See. Er durfte am Tau zappeln, und alles Fluchen und Flehen nutzte ihm nichts – er wurde gewaschen. Man zerrte ihn wieder an Deck und schrubbte ihn kräftig ab, bis er sauber war und nicht mehr stank.
Aber das hielt immer nur kurze Zeit vor. Muddi fühlte sich nur im Dreck wohl, die Körperpflege war nichts für ihn, und er hielt es mit den Leuten des Mittelalters. Seinerzeit, so hatte er vernommen, war das Waschen und Baden verboten gewesen – wegen der Wasservergeudung. Das, so fand er, war ein sehr vernünftiges Gesetz gewesen.
So stand Muddi also nun im Hauptmars und verschonte die Mannschaften vor seinen unangenehmen Düften. Mal kratzte er sich geschäftig, mal bohrte er in der Nase oder in den Ohren, aber nie vergaß er, durchs Spektiv zu blicken und die Kimm zu beobachten.
Er hatte fast immer schlechte Laune, klaute gelegentlich schon mal, soff gern und hatte es auf der Lunge. Aber die Gründe, warum Siri-Tong ihn in ihrer Crew behielt, waren eben doch mannigfach. Er war ein ausgezeichneter, erfahrener Seemann, der immer seinen Dienst versah, wie es sich gehörte. Zudem war er ein harter und mutiger Kämpfer und – trotz all seiner Fehler – ein Kerl, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte.
Am späten Nachmittag unterbrach Muddi seine Kratz- und Bohrtätigkeit, weil er etwas entdeckte, was seine Aufmerksamkeit erregte.
„Hoppla“, brummelte er. „Da sind ja Mastspitzen. Soll der Teufel mich holen – das sieht mir ganz nach diesem Admiral aus.“ Er kniff das Auge, mit dem er durch das Rohr spähte, noch ein bißchen zusammen, dann war er sich seiner Sache sicher.
Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und beugte sich über die Umrandung des Marses.
„Deck!“ brüllte er. „Mastspitzen achteraus! Es ist die letzte der drei verdammten Schaluppen!“
„Gut, Muddi!“ rief die Rote Korsarin. „Behalte ihn auch weiterhin im Auge!“
„Aye, Madam!“
„Also, das ist ja wohl der dickste Hund, den es je gab“, sagte Big Old Shane. „Ist der Bastard schon wieder da?“
Sie blickten mit dem Kieker nach achtern, und Jean Ribault konnte seinen Mund wieder einmal nicht halten.
„Da haben wir ihn ja, deinen liebestollen Admiral“, sagte er zu Siri-Tong. „Findest du das nicht rührend? Daß er so anhänglich ist, meine ich?“
Sie ließ das Spektiv sinken und sah ihn aus zornfunkelnden Augen an. „Fängst du schon wieder damit an?“
„Stell dir mal vor, er hätte dich bei dem Bad beobachtet, das du in dem Lagunensee der Insel von Grand Cay genommen hast“, sagte Ribault. „Ich glaube, da wäre er völlig übergeschnappt.“ Er spielte auf die List an, mit der es ihr gelungen war, die wilden Kerle der „Lady Anne“ anzulocken und zu überwältigen. Diese Begebenheit lag jetzt schon über einen Monat zurück, aber sie alle mußten immer wieder daran denken – nicht nur wegen Siri-Tongs Nacktbad.
„Mister Ribault“, sagte sie scharf. „Jetzt ist aber Schluß! Ich dulde keine Respektlosigkeiten auf meinem Schiff. Hör endlich auf, oder es gibt wirklich Ärger.“
„Aua“, sagte er. „Da bin ich wohl doch zu vorlaut gewesen. Ich bitte um Verzeihung.“
„Schon gut.“ Sie spähte wieder zu der Zweimastschaluppe, die inzwischen bereits mit dem bloßen Auge gut zu erkennen war.
„Dieser Affenarsch von Admiral!“ wetterte auf dem Hauptdeck Carberry. Er stand am Schanzkleid und sah wütend achteraus. „Hat der denn immer noch nicht die Schnauze voll?“
„Offenbar nicht“, sagte Dan O’Flynn. „Sonst hätte er kapituliert. Das sagt einem doch der logische Verstand, nicht wahr, Ed?“
„Fang du jetzt nicht mit deinen schlauen Sprüchen an.“
„Er hat einen weg“, sagte Matt Davies.
„Wer? Ich?“ Der Profos drehte sich um und fixierte ihn drohend. „Paß bloß auf, was du sagst, Mister Davies, sonst stopfe ich dir dein Maul mit ein paar Belegnägeln.“
„Ich meine den Admiral“, sagte Matt seelenruhig. „Ihm muß doch aufgegangen sein, daß sich seine Chancen, uns zu entern, noch mehr vermindert haben, seit die andere Schaluppe versenkt worden ist. Ist der lebensmüde?“
„Ein Verrückter, der gefährlich ist“, sagte der Seewolf, der bisher die Zweimastschaluppe nur schweigend, durch den Kieker betrachtet hatte. Mehr äußerte er nicht, aber auch ihm war klar, daß dieser Luis Campos, der sich selbst