„Sir“, sagte Matt Davies. „Was ist eigentlich aus diesem Kewridi geworden, der – wenn ich richtig verstanden habe – Borago getötet hat?“
„Der Kutscher hat ihn in seiner Hütte untersucht“, erwiderte Hasard. „Kewridi hat viel Blut verloren, und er wird sehr lange liegen müssen, aber er wird es überstehen, das hat der Kutscher mir versichert. Ilana wird ihm eine gute Krankenschwester sein.“
„Ilana – war das die Schönheit, die eben bei mir war?“ fragte Luke.
„Ja.“
Luke seufzte. „Von der träume ich heute nacht. Ganz bestimmt. Sir, du kannst mich auch hier zurücklassen, wenn du auf mich verzichten kannst, meine ich.“
„Ilana ist schon in festen Händen“, erklärte der Seewolf. „Tubuago hat gesagt, daß er sie Kewridi zur Frau geben wird, und Ilana ist einverstanden.“
Luke seufzte noch einmal. „Sir, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als meine Wunden zu lecken und nach meiner Genesung auch weiterhin Menschen wie Mister O’Flynn zu ertragen.“
„Es sei denn, du willst abmustern“, sagte Hasard. „Willst du es tun? Es steht dir frei, Luke.“
Entsetzt blickte Luke Morgan zu seinem Kapitän auf. „Mann, Sir, ich hab doch bloß ein bißchen geunkt. Abmustern? Davor soll mich der Henker bewahren.“
„Dann ist es ja gut“, sagte Hasard und lächelte …
1.
Mit hellem Eisenklang hallten Hammerschläge zwischen hohen Palisadenzäunen und übertönten die nie endenden Geräusche aus dem nahen Tropenwald. Nur wenn der Schmied und sein Gehilfe eine Pause einlegten, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, waren sie da, jene Stimmen des Dschungels: schrilles Kreischen und dumpfes Röhren, bösartiges Fauchen und meckerndes Lachen.
Es klang wie der blanke Hohn für die Männer, die in Reihe angetreten waren, um sich der demütigenden Behandlung zu unterziehen.
Auf dem Appellplatz der Festung Macuro lastete erbarmungslos die Glut der Sonne. Sehnsüchtig blickten die Gefangenen zu den Holzbaracken, die sich an die Innenseiten der Palisaden duckten. Dort befanden sich die Quartiere der spanischen Soldaten, und dort gab es ein wenig Schatten, vielleicht sogar die modrig-kühle Feuchtigkeit eines Erdkellers.
Jeder von ihnen hätte ein Königreich dafür gegeben, wenn man ihm erlaubt hätte, sich jetzt und auf der Stelle in ein solches Erdloch fallen lassen zu dürfen. Aber derartige Hoffnung war weiter entfernt als das heimische Land im kalten Europa. Vielleicht sahen sie es nie wieder. Die Ketten, die ihnen angelegt wurden, zerstörten jeglichen Gedanken an die Zukunft.
Der Festungskommandant hatte es sich bequem eingerichtet. Ein großes Sonnendach aus Segeltuch schützte ihn und seine Offiziere und den Schmied und dessen Gehilfen. Für den Moment, in dem sie an den Amboß traten, genossen auch die Gefangenen den Vorzug des Schattens. Dann stolperten sie wieder hinaus in die Gluthitze, klirrende Ketten hinter sich herschleifend, getrieben von derben Fußtritten und Musketenkolben.
Die Soldaten, die zur Überwachung des Vorgangs aufmarschiert waren, bildeten eine undurchdringliche Mauer aus schimmernden Helmen, Brustpanzern, Säbeln und Musketen und blankgeputzten Lederstiefeln.
Die Ausweglosigkeit der Gefangenen unterstrich dagegen auch ihr Äußeres. Nur die Beinkleider hatte man ihnen gelassen, abgeschnitten jedoch bis zu den Knien; denn ihre Fußgelenke wurden gebraucht für roh geschmiedetes Eisen, ebenso wie die Handgelenke. Schutzlos waren ihre nackten Oberkörper den sengenden Sonnenstrahlen ausgesetzt.
Gerhard von Echten war der letzte in der Reihe der zwanzig Männer, die vor den Amboß hinzutreten hatten. Das Haupt hoch erhoben, streckte er dem Schmied seine Handgelenke entgegen. Der Gehilfe, der eine dunkle Lederschürze trug wie sein Meister, stieß dem Deutschen zwei noch offene Eisenreifen über die Hände bis zu den Gelenken. Von Echten verzog keine Miene, als der schartige Stahl blutige Furchen in seine Haut riß. An jede Handschelle war eine schwere Kette geschmiedet.
„Venga, venga!“ knurrte der Schmied, ein graugesichtiger alter Mann mit gebeugtem Rücken. „Komm, komm!“ Mit einer ungeduldigen Geste bedeutete er dem Gefangenen, die eiserne Manschette auf die Kante des Ambosses zu legen.
Der Gehilfe steckte die Nietbolzen durch die Löcher in den Enden der Eisenreifen, und der Schmied ließ den schweren Hammer niedersausen. Auf den Punkt genau traf er die Bolzen, deren Enden unter der Wucht der Schläge platt gedrückt wurden und die Handschellen wie für alle Ewigkeit verschlossen. Als die gleiche Prozedur mit den Fußgelenken wiederholt wurde, erhielt von Echten die gnädige Erlaubnis, sich auf einen in den Boden gerammten Pfahl zu stützen.
Der hochgewachsene Deutsche wollte dem nun fälligen Fußtritt des Schmiedegehilfen ausweichen und sich freiwillig zu seinen Leidensgenossen begeben. Eine barsche Stimme stoppte ihn.
„Einen Moment noch, Señor! Wenn Sie die Güte haben wollen, mir Ihr Gehör zu schenken …“ Hohn klang aus den Worten.
Langsam drehte sich Gerhard von Echten um. Er war ein großer blonder Mann mit breiten Schultern. Ein heller Vollbart umrahmte sein gebräuntes Gesicht, die Muskeln seines Oberkörpers zeichneten sich auch in entspanntem Zustand wie stahlharte Stränge ab.
„Treten Sie ein wenig näher, Señor“, sagte der Kommandant der provisorischen Festungsanlage von Macuro mit falschem Lächeln.
Von Echtens Ketten schleiften klirrend über die Erde, während er der Aufforderung Folge leistete. Indiosklaven hatten mörderische Fronarbeit verrichtet, als der trockene Sandboden für die Festung herangeschafft worden war. Gerhard von Echten war nicht zum ersten Male in Venezuela. Er kannte die Bedingungen, unter denen die Spanier hier ihren Willen durchsetzten. Hatten sie es sich in den Kopf gesetzt, an der unwegsamen und sumpfigen Mangrovenküste ein Fort zu errichten, dann geschah es – und wenn sich die Eingeborenen dabei zu Tode schufteten.
Capitán Ramón Marcelo Gutiérrez musterte den Gefangenen mit scheinbar freundlichem Interesse, wobei er die Augenbrauen hochzog.
„Ich hoffe, ihr werdet eurem Ruf alle Ehre machen“, sagte er nach einer Weile.
„Ich verstehe nicht“, erwiderte von Echten.
„Nun, euch Deutschen sagt man nach, daß ihr besonders schlau und geschickt seid. Alles, was ihr anpackt, wird perfekt, heißt es.“ Gutiérrez grinste und zupfte an den Enden seines schwarzen Spitzbarts. Der Festungskommandant war untersetzt, der breite Ledergurt unter seinem silberbeschlagenen Wams umspannte einen unübersehbaren Bauchansatz. Er hatte sich auf einem Schemel niedergelassen. Die drei Offiziere, die hinter ihm standen, waren von schlanker Statur. Gutiérrez schien der einzige in Macuro zu sein, der sich ungehemmter Freßlust hingeben durfte.
Gerhard von Echten erwiderte nichts auf die Bemerkung des Spaniers. Er wußte, daß hinterhältige Gedanken im Spiel waren.
„Es wird sich zeigen“, fuhr der Capitán gedehnt fort, „ob ihr euch auch in meinen Diensten bewähren werdet. Gute Ruderer sind hierzulande leider Gottes eine Seltenheit. Das verdammte Indiopack braucht Ewigkeiten, bis es etwas kapiert. Da helfen nur kräftige Schläge, um die Hirntätigkeit etwas zu beschleunigen.“ Gutiérrez lachte glucksend, wobei sein Bauch in hüpfende Bewegung geriet. Die drei Offiziere lachten pflichtschuldig mit. Es folgte eine herrische Handbewegung ihres Vorgesetzten, und Ruhe kehrte ein. Der Capitán beugte sich vor, streckte den Arm aus und zeigte mit dem Finger auf den Deutschen. „Sie sind der Anführer Ihrer Truppe von Eindringlingen, Señor. Folglich werden Sie dafür verantwortlich sein, wenn es einen Fall von Ungehorsam oder gar Rebellion geben sollte. Erledigen Sie Ihren Dienst zur Zufriedenheit, und wir werden gut miteinander auskommen. Ich bin großherzig und werde sogar vergessen, daß einer von euch entwischt ist. Das will ich euch nicht anlasten. Also seid gefälligst dankbar und reizt mich nicht!“