„So, wie ich sie dir erklärt habe“, erwiderte der Kutscher leise. „Nur könnte es eben sein, daß Blacky noch Fieber kriegt. Er darf sich jetzt nicht überanstrengen.“
„Wenn er das auch nur versucht, kann er was erleben“, sagte Hasard. Er trat aufs Hauptdeck, ging zum Schanzkleid und blickte zu den Jollen. Der Ladevorgang war fast abgeschlossen, die letzte Fuhre kam gerade herüber.
Er konnte jetzt die Männer einteilen, die die Wasserfässer an Land mannen, bis zur Quelle tragen und dort füllen sollten.
Leichtfüßig bewegten sich Kewridi und einer seiner Freunde, dessen Name Bisaasi lautete, durch den Inseldschungel. Es gab ein Netz von schmalen Pfaden, das nur die Indios kannten und das immer wieder, in Zeitabständen von rund zwei Wochen, dem Regenwald neu abgerungen werden mußte, da es sonst sehr schnell wieder zugewuchert wäre. Die geheimen Wege erlaubten es den Eingeborenen, sich relativ schnell von einem Ufer der Insel zum anderen zu bewegen. Alle Pfade trafen sich im Schabono, dem Dorf.
Kewridi und Bisaasi sollten die nördliche Küste von einem Aussichtspunkt aus kontrollieren, der von den Maracá-Indios sonst als Kultstätte benutzt wurde. Hier opferten sie gegen Ende der Hitzeperiode ihren Göttern und beteten, daß die Regenzeit bald mit viel Wasser beginnen möge. Sie waren nicht nur Jäger und Fischer, sie bestellten auch Felder am Rande ihres Dorfes, deren Ertrag wesentlich vom pünktlichen Einsetzen des Regens abhing.
Der Platz lag gut zehn Yards über dem dichten Mantel der Mangroven, die an dieser Seite der Insel mit ihren Wurzeln bis ins Wasser der See griffen.
Kewridi und Bisaasi erreichten ihr Ziel und erblickten sofort die Kanus und Piraguas, die wie abwartend draußen in der Meeresstraße zwischen den beiden Inseln lagen.
„Nun?“ knurrte Kewridi. „Was habe ich gesagt? Sie sind bereits da. Wahrscheinlich belauern sie uns bis zum Abend, und dann, im Schutz der Dunkelheit, tauchen sie wie die Schlangen auf, die ein großes Tier würgen und beißen wollen.“
„Wir müssen sofort Tubuago benachrichtigen“, sagte Bisaasi. „Er wird sämtliche Waffen verteilen und zum Kampf rüsten.“
„Lauf los.“
„Ja. Du behältst Surkuts Männer weiterhin im Auge?“
„Ich verfolge jede Bewegung, die sie unternehmen. Es sind acht Kanus und Piraguas.“
„Also immer noch Borago und die Meute, die über unsere Mädchen herfiel?“ fragte Bisaasi.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Kewridi. „Aber hat denn das jetzt noch Wichtigkeit?“
„Nein.“ Bisaasi wandte sich ab und ging. Er folgte dem Verlauf des Pfades, der von der kleinen Lichtung des Opferplatzes hinunter in den Busch führte, und wollte wie vorher am Ufer eines schmalen Flusses entlanggehen, um ins Innere der Insel zu gelangen.
Plötzlich aber gewahrte er zwei Kanus, die mit Laubwerk und Lianen getarnt unter den Stelz- und Atemwurzeln der Mangroven verborgen lagen. Man mußte schon sehr genau hinsehen, um sie zu finden, und eigentlich war es eher ein Glücksfall, daß Bisaasi sie entdeckt hatte.
Vorsichtig bewegte er sich auf die Kanus zu. Sie lagen am diesseitigen Ufer, also würde er keine Schwierigkeiten haben, sie einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.
Er fragte sich unwillkürlich, warum Kewridi und er die Boote nicht vorher schon erblickt hatten. Vier Augen sehen mehr als zwei, sagte er sich im stillen, seltsam.
Dann aber begriff er, was die Ursache für diesen Umstand war. Erst, als sein Freund und er zum Aussichtspunkt hinaufgestiegen waren, hatten sich die Kanus von der See her nähernd in die Flußmündung geschoben. So hatten Kewridi und er sie von oben aus nicht mehr sehen können, und erst eben, vor wenigen Augenblicken, mußten die Insassen die Fahrzeuge vertäut, getarnt und verlassen haben.
Demnach befanden sie sich noch in der Nähe! Bisaasi blieb geduckt stehen. War es nicht besser, Kewridi unverzüglich zu unterrichten und ihn zu Hilfe zu holen? Was war, wenn der Feind ihn aus einem Gebüsch beobachtete und bereits mit der Waffe auf ihn zielte?
Bisaasi spürte, wie es ihm trotz der Hitze kalt über den Rücken rann. Er gab sein Vorhaben auf, die Kanus eingehend zu untersuchen. Daß sie den Männern der Nordinsel gehörten, stand ohnehin außer Frage.
Er drehte sich um – und sah sich einer braunen, bemalten Gestalt mit haßverzerrtem Gesicht gegenüber.
„Borago“, flüsterte er entsetzt.
Erst beim zweiten Hinsehen entdeckte er auch die anderen. Vier oder fünf Krieger waren es, die sich mit Borago zusammen an ihn herangepirscht hatten und sich jetzt hinter dessen Rücken befanden; gebückt, mit den Lanzen und Messern in den Fäusten, zum sofortigen Angriff bereit.
Bisaasi wollte das Messer zücken und sich auf Borago werfen, wollte schreien, um Kewridi zu alarmieren, doch der andere war schneller.
Borago schnellte katzengewandt vor, packte Bisaasi und riß ihn mit sich zu Boden. Sie wälzten sich im Uferschlamm. Bisaasi versuchte, dem Gegner das Messer in die Brust zu rammen, doch Borago entwand ihm die Waffe mit solcher Kraft, daß Bisaasi zu glauben begann, er sei von bösen Geistern besessen.
Borago erkannte, daß sein Gegner schreien wollte, und preßte ihm die Hand auf den Mund. Die anderen Männer Surkuts waren jetzt auch heran und hielten Bisaasi an den Armen und den Beinen fest.
Borago richtete sich halb auf, ließ Bisaasis Mund aber nicht los. Er drückte ihm die Spitze seines Hartholzmessers gegen die Gurgel und zischte: „Sprich! Sind noch mehr Wachen hier am Nordufer?“
Bisaasi schüttelte den Kopf.
„Du lügst“, flüsterte Borago. „Sag mir die Wahrheit!“
Bisaasi gab einen würgenden Laut von sich.
„Also gut“, sagte Borago. „Ich gebe deinen Mund frei. Aber wenn du deine Freunde rufst, steche ich dich tot.“ Er hob die Hand, die Bisaasis Lippen bedeckte.
„Ich bin allein“, sagte Bisaasi. „Du kannst mich töten, aber du wirst nichts anderes von mir erfahren.“
Borago lächelte grausam. „Doch. Ich will die Wahrheit erfahren. Du wirst sie mir sagen. Ich kenne alle Mittel, um dich dazu zu bringen.“ Er verstärkte den Druck seines Messers, und die Spitze der Klinge bohrte sich langsam in Bisaasis Hals.
Kewridi nahm den Blick von den acht Booten, die nach wie vor draußen in der ruhigen See lagen. Er glaubte, einen schwachen Laut vernommen zu haben, ein Geräusch, das nicht von den Tieren des Urwaldes herrühren konnte. Mißtrauisch drehte er sich um und musterte seine Umgebung.
Ein paar bunte Vögel schwirrten in den Baumkronen hin und her, aber sonst tat sich nichts. Heiß und feucht dehnte sich der Dschungel vor Kewridi aus. Die Hitze schien jegliche Form des Lebens ersticken zu wollen.
Der junge Mann schritt zum Rand des Opferplatzes, drang ein Stück ins Dickicht vor und sagte: „Bisaasi? Bist du noch da?“
Er erhielt keine Antwort, deswegen versuchte er es noch einmal: „Bisaasi?“
„Hier“, tönte es jetzt schwach zurück. „Komm her. Ich habe Boote entdeckt.“
Kewridi hastete den Pfad hinunter, der in den Dschungel führte. Er entdeckte die beiden Kanus, wie Bisaasi sie vor ihm gesehen hatte, wußte aber nicht, wo Bisaasi war. Noch einmal rief er seinen Namen, erhielt aber wieder keine Antwort.
Jetzt wußte Kewridi, daß es nur eine Falle sein konnte. Er begriff, welchen unverzeihlichen Fehler er begangen hatte. Nur die Flucht konnte ihn vor Schlimmerem bewahren. Er mußte zum Dorf laufen und die anderen warnen.
Im Unterholz raschelte es plötzlich. Kewridi fuhr herum. Er sah Bisaasi, der Anstalten zu treffen schien, auf ihn zuzumarschieren. Doch Bisaasis Körper neigte sich nach vorn und kippte ans Ufer des Flußlaufes. Dort blieb er reglos liegen. Kewridi sah das Messer, das aus seinem Hals aufragte.
Sie haben ihn gezwungen, mich