Tubuago schien jedoch nicht zu begreifen, was der Seewolf meinte, und auch Ilana schüttelte immer nur den Kopf. Schließlich gesellte sich Kewridi zu ihnen.
„Ich weiß, was der weiße Mann will“, sagte er zu Tubuago. „Wir sollen Wachen an die Ufer unserer Insel schicken. Surkut wird sich rächen, und wir müssen darauf vorbereitet sein.“
Tubuago blickte den jungen Mann lange an, dann endlich versetzte er: „Du bist stark und klug, Kewridi, und alle wissen, daß du auch ein guter Jäger bist. Aber dein Gemüt ist noch zu hitzig und unbeherrscht. Surkut hatte seine Krieger geschickt, um zu sehen, ob wir so schwach und so dumm sind, daß wir uns gegen seinen Überfall nicht wehren. Jetzt aber weiß er, daß er hier scheitern wird.“
„Aber – aber wir haben es doch nur den ‚Viracocha‘ zu verdanken, daß unseren Mädchen kein Leid zugefügt wurde und daß man sie nicht verschleppt hatte!“ rief Kewridi. „Wollen wir uns etwa hinter dem Mut dieser Männer verstecken?“
„Zügle deine Zunge“, sagte Tubuago scharf.
Ilana schob sich zwischen ihren Vater und den jungen Mann.
„Bitte, Vater“, sagte sie. „Nimm es Kewridi nicht übel, daß er so spricht. Er meint es doch nur gut.“
Der Häuptling seufzte, hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Also gut, dann teile ich die Wachtposten ein und schicke sie los. Aber ich sage euch, es ist überflüssig. Surkuts Bande von Buschteufeln wird es nicht wagen, zu uns zurückzukehren.“
Der Seewolf glaubte, in etwa verstanden zu haben, über was sie debattiert hatten. Er blickte zu Kewridi und las Erstaunen in dessen Miene. Kewridi hatte nicht damit gerechnet, daß Ilana nach dem Disput von vorhin Partei für ihn ergreifen würde.
Tubuago erhob sich und begann die Männer einzuteilen, die ab sofort von verschiedenen Plätzen der Inselküste aus das Meer beobachten sollten. Kewridi und einige seiner Freunde hatten sich für diese Aufgabe freiwillig gemeldet. Sie eilten davon, um so schnell wie möglich ihre Posten zu beziehen.
Auch Hasard stand auf und ging zu seinen Männern hinüber.
„Es wird Zeit, daß wir zu ‚Isabella‘ zurückkehren und nach Blacky sehen“, sagte er. „Außerdem muß ich wissen, ob Donegal bereits damit angefangen hat, das Trinkwasser an Bord zu mannen.“
„Ja, Sir“, sagte Ben Brighton. Er wies auf die Männer und Frauen, die eben auf Tubuagos Befehl hin die großen Packen und Bündel Proviant vom Boden des Dorfplatzes aufhoben und schulterten. „Aber was hat das zu bedeuten?“
„Die Leute begleiten uns. Das Wild, Obst und Gemüse sind ein Geschenk des Häuptlings an uns.“
„Das können wir doch nicht annehmen!“ rief Shane.
„Wir müssen es tun“, sagte der Seewolf. „Und – um ganz ehrlich zu sein – ich bin auch sehr froh darüber, daß wir so schnell zu frischen Nahrungsmitteln gekommen sind.“
6.
Die Verstärkung von der Nordinsel war eingetroffen – Surkuts Verband aus Piraguas und Kanus war jetzt komplett. Zwanzig unterschiedlich große Boote bewegten sich auf die Ilha de Maracá zu, während sich die Sonne dem Zenit näherte.
Die Indios hatten ihre Gesichter und Körper mit dem purpurnen Farbstoff bemalt, den sie „Nara“ nannten. Sie hatten Federhauben übergestülpt und sich zusätzlich zu den Lanzen, Pfeilen und Bogen, die sie bei sich führten, viele Hartholzmesser in die Lendenschurze gesteckt.
Ihre Blicke waren starr und ihre Mienen fast ausdruckslos, denn sie hatten sich heftig am Koka und Ebena berauscht. In diesem Zustand waren sie zu allem bereit. Die innere Barriere, die einen Menschen im Normalzustand daran hindert, übergroße Risiken auf sich zu nehmen, war gefallen. Sie alle würden sich für ihren Anführer töten lassen, ohne auch nur einen Schritt vor dem erklärten Todfeind zurückzuweichen.
Als die große Insel so nah war, daß man das Tiefgrün des Busches von dem hellen Strand unterscheiden konnte, gab Surkut ein Handzeichen. Der Verband löste sich in zwei Gruppen auf. Zehn Boote glitten nach Südwesten, die anderen nach Südosten. Diese letztere Einheit wurde von Surkut befehligt, während Borago das Kommando über die erste hatte.
Borago hatte seine genauen Anweisungen, nach denen er rigoros verfahren würde.
Die Stunde des Wahnwitzes hatte begonnen. Der Friede, der jetzt noch über der Ilha de Maracá lag, sollte bald der rohen Gewalt weichen.
Hasard, Ben Brighton, Shane, der Profos, Ferris Tucker, Dan O’Flynn und Smoky befanden sich wieder an Bord der „Isabella“. Die beiden Jollen pendelten zwischen der Galeone und dem Ufer der Ankerbucht hin und her. Sie wurden von Luke Morgan, Bob Grey, Stenmark und Batuti gepullt, die die Vorräte mit Hilfe der Eingeborenen einluden und dann an Bord schafften.
„Blacky hat mir von der Quelle erzählt“, sagte Old O’Flynn, als der Seewolf ihm auf der Kuhl gegenübertrat. „Aber ich habe es für zu gefährlich gehalten, jetzt einen Trupp an Land zu schicken, der die Fässer füllt.“
„Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß du dich anders entscheiden würdest, Donegal.“
„Tut mir leid, aber irgendwie war mir die ganze Sache nicht geheuer. Wir haben uns auch um euch ziemlich viel Sorgen gemacht“, sagte der Alte.
Hasard lächelte. „Dabei haben wir nur mit Tubuago und dessen Leuten gefeiert, mein Bester. Ben wird dir erzählen, wie es im Dorf zugegangen ist und was wir erfahren haben. Sag mir jetzt, wie es Blacky geht.“
„Dem? Der ist doch nicht kleinzukriegen. Ich habe ihm befohlen, das Logis nicht zu verlassen, aber er stöhnt dem Kutscher die Ohren voll, daß er’s da unten nicht aushält.“
Der Seewolf stieg ins Logis hinunter und sah Blacky im Halbdunkel des Raumes mit baumelnden Beinen in seiner Hängematte sitzen. Der Kutscher wollte gerade das Vorschiff verlassen, wartete aber ab, als er seinen Kapitän erkannte.
„Melde mich zurück zum Dienst, Sir“, sagte Blacky. „Wie du siehst, bin ich weder krepiert, noch habe ich irgendwelche Lähmungen. Der Kutscher hat mir den Pfeil aus der Schulter gepult wie einen Nagel aus einem Stück Speck, ich hab’s kaum gemerkt.“
„Und du fühlst dich schon wieder obenauf, was?“
„Richtig, Sir.“
„Am liebsten würdest du gleich wieder an Deck herumspringen, oder?“
„Genau das. Hölle, es ist hier unten so verflucht heiß – nicht zum Aushalten.“
„Er hat eine Menge Blut verloren“, sagte der Kutscher.
„Und er ist kreideweiß im Gesicht“, sagte der Seewolf. „Wieviel Rum oder Whisky hast du ihm gegeben, damit er dir bei der Operation nicht an den Hals sprang?“
Der Kutscher lachte. „Nur zwei Schlucke, Sir, wirklich nicht mehr.“
„Es waren große Schlucke, zugegeben“, sagte Blacky. „Aber die werfen mich nicht aus dem Gleichgewicht.“
Hasard nickte. „Das glaube ich dir gern. Und ich weiß auch, daß du eine Menge einstecken kannst. Aber das ist für mich noch lange kein Grund, dich jetzt gleich wieder zum Decksdienst einzuteilen.“
Blacky riß verdattert die Augen auf. „He – soll das heißen, daß ich hier unten in der Hitze schmachten soll?“
„Nein. Du darfst ’raus, aber ich befehle dir, dich auf die Back zu setzen und dich von dort nicht wegzurühren.“
„Aye, Sir.“
„Jede Zuwiderhandlung wird von mir als Versuch der Meuterei bestraft“, sagte Hasard,