Jetzt sah sie die kleinen Wasserfahrzeuge, die das Südkap der Insel von Westen her gerundet haben mußten. Es waren Kanus und Piraguas, mehr als ein halbes Dutzend an der Zahl. Sie waren voll besetzt mit braunhäutigen Männern, die die Paddel wie große Messer ins Wasser stachen.
„Da!“ rief jetzt auch Ziora. „Das sind bestimmt Surkuts Männer!“
„Ilana“, sagte Oruet. „Du hattest recht mit deinen Befürchtungen. Oh, wie recht du hattest.“
Ilana fuhr im Wasser zu ihr herum. „Fort!“ stieß sie aus. „Ans Ufer, ehe es zu spät ist. Ich gehe mit dir, Oruet.“ Sie beschrieb eine hastige Gebärde zu Mileva, Ziora und Saila hin und rief: „Ihr schwimmt dort hinüber – so schnell ihr könnt!“ Sie wies zum nordöstlichen Bereich des Strandes und fügte hinzu: „Sie dürfen uns nicht erwischen!“
Sie wagte nicht, sich auszumalen, was geschah, wenn die Flucht vor den Männern mißlang. Sie zerrte Oruet mit sich fort, gelangte in etwas flacheres Wasser und kam schneller voran. Bald hatten sie sich beide der Brandung so weit genähert, daß sie laufen konnten. Hoch spritzte das Naß auf. Hinter ihrem Rücken ertönten das Lachen und Grölen der Männer, die jetzt sehen konnten, daß die Mädchen völlig unbekleidet waren.
Mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit schoben sich die Kanus und Piraguas auf den weißen Sandstrand zu. Die Distanz schrumpfte, und schon richteten sich einige der Indios in den Booten auf, um über die Bordwand zu springen und den Mädchen nachzuhetzen.
Sie betrachteten die fünf Mädchen als ihre Beute, eine Beute, die es zu nehmen und zu unterwerfen galt.
2.
Ilana hatte Oruets Arm losgelassen. Nebeneinander verließen sie das flache Wasser. Ilana wagte nicht, sich umzudrehen. Leicht geduckt lief sie über den Sand und hoffte, daß ihre Freundin mithalten würde, doch Oruet fiel zurück.
Ilana drehte sich zu ihr um. Voll Panik gewahrte sie, daß die ersten Kanus die Brandung erreicht hatten. Vier, fünf, sechs und noch mehr Gestalten ließen sich ins Wasser fallen, richteten sich blitzschnell wieder auf und stürmten lachend ans Ufer.
„Beeil dich!“ schrie Ilana. „Mach doch jetzt nicht schlapp!“
„Ich komme“, stieß Oruet hervor. „Lauf weiter. Kümmre dich nicht um mich!“
Mit einem Satz war Ilana bei ihr, griff ihre Hand und zog sie hinter sich her.
Surkuts Männer waren jetzt ebenfalls auf dem Strand und nahmen die Verfolgung der Mädchen auf. Einer wollte eine Lanze schleudern, doch ein anderer hielt ihn zurück.
„Nicht!“ brüllte er. „Wir wollen sie doch nicht verletzen! Für uns taugen sie nur, wenn sie gesund und kräftig sind!“
Die anderen lachten wieder.
Mileva, Ziora und Saila versuchten, schwimmend und tauchend zur anderen Seite des Strandes zu fliehen, doch auch ihnen waren die Männer dicht auf den Fersen. Zwei Kanus und zwei Piraguas glitten ihnen nach, und schon forderten einige der Männer sie durch Zurufe auf, sich zu ergeben.
Die Männer stammten von der Nordinsel. Surkut, ihr Anführer, hatte sie geschickt, und sie waren fast die ganze Nacht über unterwegs gewesen, um die Entfernung zwischen der Nordinsel und der Insel Maracá zu überbrücken und anschließend am Westufer der „Ilha de Maracá“ entlangzupaddeln.
Sie sollten eigentlich nur auskundschaften, wie es um die Bewachung der Insel Tubuagos bestellt war, damit Surkut seinen Überfall auf die Insel Maracá – den er schon seit langer Zeit durchführen wollte – entsprechend planen konnte. Jetzt aber hatten die Späher die fünf Mädchen ganz überraschend entdeckt und wollten sich ihr brutales Vergnügen nicht nehmen lassen.
Oruet strauchelte und fiel. Sie wollte sich von Ilana losreißen, doch Ilana stürzte mit ihr, und ehe sie sich wieder aufrappeln konnten, waren die wild grölenden Kerle über ihnen.
Die Mädchen wehrten sich mit Händen und Füßen, sie schlugen um sich, kratzten und bissen, doch die Übermacht war zu groß.
Drei Angreifer packten Ilana, zwei andere hielten Oruet an den Armen und an den Beinen fest, ein sechster beugte sich über die Mädchen und betrachtete sie, als seine Kumpane sie derart fest im Griff hatten, daß sie sich nicht mehr regen konnten.
„Borago!“ rief einer von den beiden, die die stöhnende Oruet auf den Boden preßten. „Auf was wartest du? Fällt dir die Auswahl so schwer? Ich an deiner Stelle würde die Schlanke, Langbeinige nehmen. Überlaß uns die Kleine hier mit den großen Brüsten, wir werden sie schon zähmen.“
Borago war ein großer Mann mit dichtem, schwarzem Haar, breiten Schultern und einem muskulösen Körper. Er zählte zu den besten Kriegern des Stammes der Nordinsel, und Surkut hatte ihn zum Führer der Bootspatrouille ernannt, die die Ufer der „Ilha de Maracá“ erkunden sollte.
Er beugte sich über Ilana und las in ihren Zügen. Doch in ihren Augen war keine Angst, an der er sich weiden konnte.
Zornig rief sie: „Laßt mich los! Ihr werdet es sonst schwer bereuen, was ihr tut!“
„Was tun wir denn?“ fragte Borago mit unverhohlenem Spott in der Stimme. „Bislang ist dir doch noch gar nichts geschehen, mein Täubchen. Vielleicht will ich dich nur beschützen, wer weiß?“
„Sag deinen Kerlen, daß sie mich freigeben sollen!“
„Ich gebe ihnen nur dann den Befehl dazu, wenn du mir versprichst, dich nicht vom Fleck zu rühren.“
„Ihr habt kein Recht, uns festzuhalten!“ stieß Ilana aus. „Ich bin die Tochter des Häuptlings Tubuago, und wenn ihr mir und meinen Freundinnen auch nur ein Haar krümmt, geschieht ein großen Unheil. Dann erklärt mein Vater euch den Krieg!“
Die Kerle lachten, und Borago erklärte mit hämischer Miene: „Es wird mir eine besondere Ehre sein, die Tochter des Feiglings und Tagediebes Tubuago ein Stück über diesen schönen weißen Sand zu schieben.“
Wieder brüllten die Kerle vor Vergnügen.
Ilana biß sich auf die Unterlippe. Sie wußte jetzt, daß sie einen Fehler begangen hatte. Der Hinweis auf ihren Vater und darauf, wer sie war, hatte die Strolche nicht im geringsten beeindruckt – im Gegenteil. Es würde ihnen jetzt eine doppelte Freude bereiten, sie zu entehren und zu erniedrigen.
Sie begriff, daß sie wohl besser den Mund gehalten hätte, doch die Einsicht erfolgte zu spät.
Im Wasser schrie eins der drei anderen Mädchen auf. Es war Mileva, die jetzt von einem der Kerle, die inzwischen von den Kanus und Piraguas in die Fluten gesprungen waren, gefaßt worden war. Er zog sie unter die Oberfläche, tauchte wieder mit ihr auf und lachte, als sie ihm die Faust ins Gesicht hieb.
Ein paar andere stellten Ziora und Saila nach und holten sie ein, noch ehe sie durch die Brandung auf den Strand gelangen konnten. Auch sie setzten sich zur Wehr und schrien, doch jeder Widerstand, alle Schläge und Tritte, die sie austeilten, nutzten ihnen nichts.
Borago kniete sich hin und streckte die Hände aus, um Ilanas Körper zu betasten.
„Schrei, soviel du willst“, sagte er. „Ich glaube nicht, daß jemand aus eurem verfluchten Dorf euch hört, denn meines Wissens liegt es ziemlich weit im Inneren der Insel.“
Ilana preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Sie war bleich unter ihrer braunen Gesichtsfarbe, und plötzlich verspürte sie Angst, doch sie zwang sich dazu, die Angst nicht zu zeigen.
Oruet jedoch schrie auf, so verzweifelt und gellend, daß einer der Männer ihr fluchend den Mund zuhielt. Sein Kumpan richtete sich halb auf und traf Anstalten, sich seines Lendenschurzes zu entledigen.
Hinter den ersten Hügeln begann die eigentliche tropische Vegetation der Insel: ein dichter Regenwald, wie ihn die Seewölfe zur Genüge kannten. Eine Laune der Natur hatte verhindert, daß die Mangroven und Lianen