Niemals hätten sie auf einen waffenlosen Gegner geschossen, und sie wußten, daß auch ihr Kapitän, Philip Hasard Killigrew, das niemals getan hätte.
Aber ihre Fäuste waren auch nicht zu verachten, und wer diese fürchterlichen harten Pranken erst einmal kennengelernt hatte, würde es in Zukunft unbedingt vermeiden, nochmals damit Bekanntschaft zu schließen.
Während sich Stenmark und Batuti mit einem ganzen Knäuel brauner, nackter Leiber auf dem von vielen Füßen zerstampften Boden der Lichtung wälzten, war Ed Carberry dabei, die Lichtung von Indianern zu säubern. Erstaunlicherweise wurden die Indios immer weniger, zumindest dort, wo die riesigen Pranken des Profos’ am Werk waren.
Blitzschnell flogen die braunen Gestalten kreuz und quer durch die Gegend. Einige landeten laut schreiend im nahen Dickicht, andere fanden sich einige Yards weiter oben auf dicken Astgabeln wieder, und weitere krachten wie Kanonenkugeln durch die Blätterwände der nächstgelegenen Hütten. Niemand fand die Gelegenheit, nach Waffen zu greifen. Indianer wie Seewölfe hatten „alle Hände voll zu tun“.
„Hopp, hopp, ihr Bilgenratten!“ röhrte der Profos. „Ich werde euch mal handfest die kleinen, braunen Affenärsche verdreschen. Und noch in den nächsten Jahrzehnten sollen eure Enkel und Urenkel von der Handschrift Edwin Carberrys erzählen. Hoho, ihr triefäugigen Waldameisen!“
Die Lichtung begann sich zu leeren. Diejenigen der Eingeborenen, die nicht durch die Fäuste der Seewölfe vertrieben worden waren, begannen von sich aus das Weite zu suchen. Wahrscheinlich sahen sie ein, daß diese Gegner eine Nummer zu groß für sie waren.
Selbst Hasard, dessen Verletzung die Ursache der wilden Prügelei war, hatte inzwischen den kleinen Pfeil aus der Wunde gezogen und sich, so gut es ging, am Kampf beteiligt.
Um dem Ganzen ein Ende zu bereiten, griff er mit dem gesunden Arm zum Gürtel und zog die Pistole. Dann krachte ein Schuß in die Luft, und ein lautes, ohrenbetäubendes Krachen dröhnte über die Lichtung und verlor sich in den Baumwipfeln.
Augenblicklich kehrte Stille ein.
Die Seewölfe, deren Brustkästen sich schwer atmend hoben und senkten, hielten plötzlich inne und starrten mit Verwunderung auf ihren Kapitän, der bei einer Verletzung durch Pfeilgift eigentlich schon hätte tot sein müssen.
Auch die Indianer stoppten plötzlich das laute Geschrei und Wutgeheul, mit dem sie die Gegner angesprungen hatten.
Ein muskulöser Mann mit bunt bemaltem Gesicht, den die Seewölfe sofort als jenen erkannten, der gestern auf der „Isabella“ kaltschnäuzig und frech einige Fässer Pulver verlangt hatte und dem sie wahrscheinlich auch die Invasion der roten Feuerameisen zu verdanken hatten, rappelte sich vom Boden hoch. Sein Gesicht war verschwollen und um einige Farben reicher geworden. Die ersten Schritte legte er hinkend zurück. Und plötzlich lag eine gewisse Scheu und Furcht in der Art, wie er sich den Männern der „Isabella“ näherte.
„Wir Frieden mit weißen Männern“, erklärte er in seinem verdrehten Spanisch. Offensichtlich hatte er, gleich seinen Stammesgenossen, begriffen, daß sie keine Chance mehr gegen diese rauhen Kerle hatten, daß sie sang- und klanglos untergehen mußten, wenn sie nicht klein beigeben würden.
„Bitte, aufhören mit Prügel“, setzte er noch hinzu. „Wollen Frieden. Weißer Mann wird nicht sterben.“ Er deutete bei diesen Worten auf Hasard, dessen Hemd an der linken Schulter blutdurchtränkt war. „Pfeil war nicht giftig!“
Als Hasard dazu nickte und feststellte, daß es sich wohl nur um eine kleinere Fleischwunde handeln könne und er keinerlei Anzeichen einer Vergiftung verspüre, da ging ein Aufatmen durch die Reihe der Seewölfe. Wo Gesichter eben noch grimmig und wild entschlossen dreingeblickt hatten, zeigte sich plötzlich wieder ein Grinsen. Die Männer fühlten sich sichtlich erleichtert darüber, daß ihrem Kapitän, dessen Schritt nach vorn von den Eingeborenen wohl falsch verstanden worden war, nichts Ernsthaftes geschehen war.
Verschreckte und lädierte Indianer krabbelten wieder auf die Beine und warfen ängstliche Blicke auf die sieben Männer, die vor ihnen standen. Sie hielten sich in respektvoller Entfernung. Keiner wagte sich mehr in die unmittelbare Nähe dieser weißen Teufel. Zwei braune Männer ließen sich gerade mit verstörten Gesichtern an einem Baum hinunter, in dessen Geäst sie der Profos katapultartig hinaufgeschleudert hatte. Samt und sonders schienen sie die Nase endgültig voll zu haben und einzusehen, daß hier keine Tsantas zu holen waren.
Aufgeregt und mit gedämpften Stimmen begannen die Indios aufeinander einzureden, während die ersten Frauen und Kinder scheu und ängstlich aus den Hütteneingängen lugten.
„Wir haben friedliche Absichten“, sagte der Seewolf auf Spanisch. „Nur der Zufall hat uns in euer Dorf geführt.“
Inzwischen waren zwei weitere Männer zu jenem braunen Burschen getreten, der wenigstens etwas Spanisch sprach. Rasch wurden einige Worte gewechselt.
Dann sagte der Dolmetscher: „Auch wir wollen Frieden. Wir sind keine bösen Menschen, aber vorsichtig. Viele weißen Männer haben schon Tod zu uns gebracht. Haben alles weggenommen, unsere Hütten zerstört Aber ihr habt nicht mit Feuerwaffen auf uns geschossen, habt niemand von uns getötet.“
Wieder betonte Hasard, daß sie nicht erschienen seien, um zu töten. Sie seien lediglich auf der Suche nach neuen Lebensmittelvorräten, weil viele große Ameisen auf ihrem Schiff alle Vorräte auffressen würden.
Betroffen blickten sich bei diesen Worten der Dolmetscher und die beiden anderen Indianer an, die wohl zu den führenden Häuptern des Dorfes zählten. Irgend etwas, das auf ein schlechtes Gewissen hindeutete, ließ sie für einen Moment die Augen zu Boden senken.
9.
Auch die übrigen Bewohner des Indianerdorfes, die Frauen, die Kinder und die Alten, schienen inzwischen begriffen zu haben, daß man im Interesse des allgemeinen Friedens bestrebt war, eine Einigung zu erzielen.
Neugierig rückten sie näher, um die weißen Männer mit den feuerspeienden Waffen zu bestaunen. Eine gewisse Furcht und Zurückhaltung war jedoch unverkennbar. Die Seewölfe mußten den Eingeborenen auf alle Fälle einen gehörigen Schrecken eingejagt haben.
Wenig später wurde Hasard, den man als Anführer der Weißen betrachtete, verarztet und zu der großen Feuerstelle vor der Malóca, dem großen Gemeinschaftshaus, geleitet.
Während einige Frauen sofort an die Arbeit gingen, um ein Essen zuzubereiten, begann das Palaver, an dem die Dorfältesten und der, Dolmetscher teilnahmen. Von der „Isabella“-Crew waren es Hasard und Ed Carberry, die sich mit verschränkten Beinen niedergelassen hatten, um einen Kompromiß mit den Indianern auszuhandeln.
Die übrigen Seewölfe waren ein Stück abseits mit Händen und Füßen ins Gespräch mit den Eingeborenen vertieft, jedoch nicht, ohne dabei die Augen offenzuhalten, denn ein gewisses Mißtrauen existierte nach wie vor auf beiden Seiten. Besonders Batuti, dessen Hautfarbe sich von jener der weißen Männer so sehr unterschied, schien ihr Interesse zu gelten.
„Ihr habt gestern Pulver von uns verlangt“, eröffnete Hasard die Unterredung. „Weil wir nicht verantworten konnten, euch diesen Wunsch zu erfüllen, habt ihr uns die roten Feuerameisen geschickt. Ihr habt Köder ausgelegt, damit sie auf unser Schiff gelangen konnten, um alle Vorräte zu fressen. Kennt ihr ein Mittel, um diese Ameisen zu vertreiben oder zu vernichten?“
Die braunen Männer nickten eifrig, und nach einem kurzen Wortaustausch in der kehligen Eingeborenensprache sagte der Dolmetscher mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit: „Pulver!“
Hasard stieß hörbar die Luft durch die Nase.
„Mein Gott, diesen Burschen muß aber wirklich viel an dem Zeug liegen“, sagte er auf Englisch zu Ed Carberry. Dann nickte er den Indianern zu. „Gut“, fuhr er auf Spanisch fort. „Ich werde euch ein Faß Pulver geben, wenn ihr dafür sorgt, daß die Ameisen von unserem Schiff verschwinden.“
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