Der Profos warf ihm einen schrägen Blick zu, als er etwas von Bananen hörte, die – wie sie gestern erfahren hatten – eine nicht unbedeutende Rolle im Ahnenkult der Eingeborenen spielten.
Dem Stand der Sonne nach mußte bereits die Mittagszeit herangerückt sein. Es war inzwischen heißer geworden, trotz des dichten Blätterdaches, das die Wirkung der sengenden Sonnenstrahlen etwas abbremste.
Plötzlich tat sich unmittelbar vor den Männern eine Lichtung auf.
Abrupt blieb Hasard, der die Gruppe anführte, stehen und hob die Hand. Niemand ging mehr einen Schritt weiter.
Die Männer hatten mit allem gerechnet. Sie hatten sich innerlich auf den Kampf mit Kaimanen, riesigen Würgeschlangen und auf einen Indianerüberfall eingestellt – nicht aber auf das Bild, das sich ihnen jetzt auf der Lichtung ganz unvermittelt bot.
Sie waren auf ein Indianerdorf gestoßen, vielleicht sogar auf jenes Dorf, aus dem die beiden Indios gestern erschienen waren, um Pulver zu fordern.
Die Seewölfe sahen ein gutes Dutzend Hütten, die aus Zweigen und Blättern bestanden. In der Mitte des Dorfes stand die Malóca, die Gemeinschaftshütte, die im Vergleich zu den übrigen Behausungen ungeheuer groß war. Die Männer schätzten das ovale Gebilde auf einen Durchmesser von fast hundert Yards und die Höhe auf mehr als zwanzig Yards. Die Malóca bestand aus Palmfasern und trockenen Blättern, mit denen ein gewaltiges Gerüst aus Pfosten abgedichtet worden war, und endete in einer gewaltigen Kuppel.
Die Seewölfe staunten, denn ein solches Bauwerk mitten auf einer Dschungellichtung stellte eine ungeheuerliche Leistung dar, besonders wenn man in Betracht zog, welch kümmerliche Werkzeuge den Eingeborenen zur Verfügung standen.
Natürlich war der Landtrupp, der die „Isabella“ mit frischen Vorräten versorgen sollte, längst von den Indianern bemerkt worden. Kaum hatten sich die Männer von ihrem ersten Erstaunen erholt, waren sie bereits von einer großen Schar brauner, nackter Gestalten mit grell bemalten Gesichtern umzingelt.
Reflexartig wollten sie zu den Waffen greifen, aber der Seewolf gebot ihnen sofort Einhalt, als er die zahlreichen Blasrohre sah, die auf sie gerichtet waren.
Die Situation war, wie wohl alle empfanden, nicht gerade begeisternd, denn wohin die Männer auch blickten – sie sahen in finstere, haßerfüllte Gesichter. Die Indianer, die sich um die sieben Männer der „Isabella“ geschart hatten, standen starr wie Marionetten. Im Hintergrund befanden sich zahlreiche Frauen und Kinder, die aber eilig zwischen den Hütten verschwanden. Wahrscheinlich hatten sie Angst vor den fremden weißen Männern, die plötzlich aus dem Urwalddickicht aufgetaucht waren.
Für die Seewölfe gab es im Moment weder ein Vor noch ein Zurück. Es bedurfte nur eines geringen Luftstoßes, um die kleinen und wahrscheinlich auch absolut tödlichen Pfeile aus den langen Blasrohren zu pusten. Die Folge wäre ein grausamer Tod. Die Männer hüteten sich deshalb, mit einer raschen, unbedachten Bewegung zu den Waffen zu greifen. Sie waren sich sehr wohl im klaren darüber, daß sie im Augenblick keine großen Chancen hatten.
Nichts lag Hasard – selbst in diesem Moment – ferner als der Wunsch, ein Blutbad anzurichten, weder auf der einen noch auf der anderen Seite.
Er konnte den Haß der Indianer auf die Weißen sogar verstehen, denn zumeist war es bisher alles andere als Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, was man ihnen von dieser Seite entgegengebracht hatte.
Er entschloß sich deshalb zu einem Kompromiß, um den bewegungslos lauernden Gestalten zu beweisen, daß es auch Vertreter der weißen Rasse gab, mit denen man sich auf friedliche Weise einigen konnte.
Hasard trat einen Schritt vor, um eine Geste zu vollführen, die seine Absicht zum Ausdruck bringen sollte.
Aber zu dieser gutgemeinten Geste sollte es nicht mehr kommen!
Kaum hatte der Fuß Hasards den Boden berührt, da erfüllte ein leises, fast lautloses Zischen die Luft, und der Kapitän der „Isabella“ preßte mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand gegen die linke Schulter.
Ein kleiner Pfeil ragte aus dem Hemd, das sich rasch blutrot verfärbte.
Die Seewölfe standen einen Moment wie erstarrt. Das Blut drohte den sechs Männern in den Adern zu gefrieren. Man hatte einen jener gefährlichen Pfeile, die – wie man annahm – mit tödlichem Gift getränkt worden waren, auf ihren Kapitän abgeschossen – und man hatte ihn getroffen!
Die Gesichter der Männer verfärbten sich augenblicklich kalkweiß. Es schien ihnen unfaßbar, was da geschehen war. Der Mann, für den sie durchs Feuer gehen würden, stand da, die Hand auf die Schulterwunde gepreßt und erwartete seinen Tod. Und sie waren hilflos und konnten nicht mehr für ihn tun.
Niemand von den Männern der „Isabella“ dachte jetzt noch an die eigene Sicherheit. Niemand dachte mehr an den Unterschied zwischen Leben und Tod. Die Männer drehten ganz einfach durch.
Ein wildes, ohrenbetäubendes „Ar-we-nack!“ dröhnte wie auf Kommando über die Dschungellichtung, die mittlerweile wie ausgestorben wirkte. Noch bevor die Indianer weitere Pfeile abschießen konnten, verwandelten sich die feindlichen Fronten, die sich bis jetzt lautlos gegenübergestanden hatten, in eine tobende Hölle.
Die Seewölfe nahmen sich nicht einmal die Zeit, ihre Waffen in Anschlag zu bringen. In einem wilden, letzten Aufbäumen warfen sie sich den nackten Gestalten entgegen und schlugen zu. Wenn schon Hasard, ihr Kapitän, sein Leben lassen sollte und sie wahrscheinlich auch, dann wollten sie es wenigstens so teuer wie möglich verkaufen.
Schreie tönten über die Lichtung, Blasrohre wirbelten durch die Luft und landeten irgendwo auf der Erde. Dazwischen klatschten harte Fäuste auf nackte Körper.
Es war das reinste Inferno, was da plötzlich über die Lichtung tobte.
Auch die Indianer stimmten ein lautes Wutgeheul an und setzten sich augenblicklich mit einer ungeheuren Geschwindigkeit und Geschmeidigkeit zur Wehr.
Worte in einer lauten, kehligen Sprache drangen an die Ohren der Seewölfe, vermischt mit den kräftigen Flüchen Ed Carberrys, der sich gerade mit drei braunen Gestalten am Boden wälzte.
Aber auch die anderen Mannschaftsmitglieder der „Isabella“ klotzten mächtig ran, denn ihrer Meinung nach ging es hier um das nackte Überleben. Und sie wollten leben, sie dachten nicht daran, sich hier, mitten im Dschungel, kaltblütig das Lebenslicht auspusten zu lassen. Allein der Gedanke an Hasard ließ die harten Männer rasend werden.
Batuti, der schwarze Mann aus Gambia, ließ die mächtigen Fäuste kreisen, und wo sie trafen, rührte sich nichts mehr.
Auch Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, der die Gestalt eines Kleiderschrankes hatte, hieb rein, daß fast die Funken stoben.
Dan O’Flynn und Stenmark, der Schwede, beide flink und geschmeidig wie Raubkatzen, wichen geschickt ihren Gegnern aus und schossen die Fäuste wie Siebzehnpfünder in die quirlende, tobende und schreiende Menge.
Jeff Bowie, der stämmige Liverpooler mit den grauen Augen und der Hakenprothese an der linken Hand, wütete furchtbar mit diesem künstlichen Körperteil.
Die Indianer waren ohne Zweifel in der Überzahl, zumal weitere Bewohner des Urwalddorfes heranstürmten, um sich ins Kampfgetümmel zu stürzen.
Die letzten Frauen und Kinder der Eingeborenen, die sich noch an den Feuerstellen des Dorfes aufgehalten hatten, waren längst kreischend und schreiend in den Hütten oder im nahen Dschungel verschwunden. Aber fast zwei Dutzend braune Männer, die ihre Kampfkraft unter Beweis stellen wollten, waren eine harte Nuß, die auch die Seewölfe nicht so ohne weiteres knacken konnten.
Trotzdem legten die Männer ihre ganze Schlagkraft in diesen Kampf. Sie konnten sich lebhaft vorstellen, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie als Besiegte aus dieser fürchterlichen Prügelei hervorgehen würden.
Wiederholt dröhnte der Schlachtruf der Seewölfe über die Dschungellichtung. Dazwischen erklangen laute