Jede andere Form der Verständigung wurde durch Borago selbst verhindert. Er blieb abrupt stehen, hob seinen Speer und schleuderte ihn den Männern der „Isabella“ entgegen.
„Zur Seite!“ rief der Seewolf.
Sie wichen aus, und die Lanze flog mit surrendem Geräusch an ihnen vorbei. Sie blieb nicht weit vom Fuß des Hanges entfernt im Sand stekken.
Hasard und seine Männer hoben die Waffen. Der Seewolf hatte seinen Radschloß-Drehling von Bord der „Isabella“ mitgenommen, Ben Brighton hielt den Schnapphahn-Revolverstutzen, in dessen Schloß er die Trommel mit acht Kammern eingesetzt hatte. Die anderen hatten Musketen und Tromblons.
„Auf was warten wir?“ sagte Carberry. „Daß sie uns abstechen?“
Hasard blickte zu Borago und sprach kein Wort. Borago stieß einen wilden Schrei aus, nahm seinen Bogen zur Hand, riß einen Pfeil aus dem Köcher und legte dessen Schaftende an die Sehne.
„Schießt!“ schrie Borago seinen Begleitern zu, die jetzt ebenfalls vorgerückt waren und die langsamer vorrückenden Fremden lauernd betrachteten. „Tötet sie!“
Drohend hoben sich die Lanzen, die Spitze von Boragos Pfeil wies auf Hasards Brust.
Hasard legte mit dem Radschloß-Drehling an und gab einen Schuß in die Luft ab. Donnernd raste die Ladung hoch über die Köpfe der Indios weg, und eine weißliche Wolke Pulverqualm stieg in den Morgenhimmel auf.
Die Indios zuckten unwillkürlich zusammen und blieben stehen. Sie hatten von Fischern, die einmal vom Festland aus zu ihnen herübergepaddelt waren, zwar vernommen, daß die „Viracocha“ über lärmende Feuerrohre verfügten, unter deren Gluthauch die Gegner reihenweise umfielen, doch hatten sie bisher keinen allzu genauen Begriff davon gehabt, wie diese Waffen wirklich aussahen und benutzt wurden.
Wütend wandte sich Borago zu seiner Meute um. In den Gesichtern der Kerle spiegelten sich Verwirrung und Bestürzung, sie wußten nicht mehr, wie sie sich verhalten sollten.
„Laßt euch nicht beirren!“ rief Borago ihnen zu. „Seht ihr, wir leben alle noch! Die Feuerrohre können keine Wunderdinge vollbringen, sie töten nicht! Ihr Krachen und Qualmen ist nur ein billiger Zauber!“
Ruckartig drehte er den Kopf, zielte wieder auf Hasard und ließ den Pfeil von der Bogensehne schwirren. Der Seewolf ließ sich auf den Strand fallen und entging auf diese Weise dem sicheren Tod. Ben, Shane, Carberry und die anderen fluchten, aber sie schossen immer noch nicht, weil sie nicht den Befehl dazu erhalten hatten.
Die Indios stießen Schreie aus, die wie Siegesgeheul klangen. Sie schleuderten ihre Lanzen und schossen ihre Pfeile auf die Fremden ab, und einige von ihnen zückten die langen Hartholzmesser, die sie im Lendenschurz stecken hatten, um auch diese nach den weißen Männern zu schleudern.
Hasards Gruppe löste sich auf. Die Männer ließen sich zu Boden gleiten oder wichen nach den Seiten aus. Blacky stöhnte jedoch plötzlich auf. Entsetzt blickten sich Hasard und die anderen nach ihm um. Sie sahen, daß Blacky einen Pfeil in der linken Schulter stecken hatte. Blut sickerte aus der Wunde.
„Hölle und Teufel!“ begann Carberry zu fluchen. „Sir, diese Bande von braunen Bastarden will uns wirklich erledigen. He, sie wollen uns fertigmachen, diese Satansbraten, diese triefäugigen, verlausten Saftärsche – und das sollen wir uns gefallen lassen?“
„Feuer!“ schrie der Seewolf.
Er drückte als erster ab, und der Drehling spuckte seine Kugel mit einer rotgelben Feuerzunge aus. Sofort darauf krachten die Musketen von Shane und von Smoky, dann donnerte Bens Stutzen los, und im Anschluß daran feuerten auch Carberry, Ferris Tucker und Dan O’Flynn. Blacky hatte sein Tromblon losgelassen. Er kniete auf dem Sand und hielt sich mit beiden Händen die Schulter.
„Dan!“ rief der Seewolf. „Kümmre dich um Blacky!“
„Aye, Sir!“
Borago und seine Kumpane gerieten unter der Salve, die jetzt geballt über ihre Köpfe strich, wieder ins Stocken. Borago stand dem Seewolf inzwischen jedoch so nahe, daß er nur noch sein Messer zu ziehen brauchte und sich auf ihn werfen konnte, um ihn zu töten.
Hasard ließ den Drehling sinken und sprang vom Boden auf, ehe Borago das Messer zur Hand nehmen oder einen neuen Pfeil anlegen konnte. Mit einem großen Satz flog er auf den Kerl zu, packte seine Schultern und riß ihn mit sich auf den Strand. Borago verlor seinen Bogen aus der Hand. Während sie sich zweimal überrollten, tastete er verzweifelt nach seinem Messer, doch in seiner Hast konnte er es nicht schnell genug finden.
Dan hatte sich umgedreht, war jetzt neben Blacky und drückte ihn vorsichtig nach unten, bis er mit dem Rücken auf dem Sand lag.
„Ganz ruhig, alter Junge“, sagte Dan. „Wenn du denkst, du kannst jetzt schon den Hintern zukneifen und der Welt einfach Lebewohl sagen, hast du dich getäuscht. So einfach ist das nun mal nicht.“
„Hab ich das vielleicht gesagt?“ zischte Blacky. „Mann, red nicht so viel. Zieh mir lieber den Pfeil ’raus.“
„Blacky, das Ding hat Widerhaken.“
„Und wenn schon …“
„Ich würde das lieber dem Kutscher überlassen“, sagte Dan.
„Herrgott, ich wußte gar nicht, daß du so ein elender Jammerlappen bist, Mister O’Flynn“, brummte Blacky. „Laß mal, ich erledige das schon selbst.“
Er legte die Hand an den Pfeilschaft und versuchte, die Spitze mit einem Ruck aus seiner Schulter zu reißen. Aber schon beim ersten Ansetzen war der Schmerz, der ihn durchzuckte, so stark, daß er wieder aufstöhnte und die Augen verdrehte.
Ben, Big Old Shane, der Profos, Ferris Tucker und Smoky feuerten noch einmal über die Köpfe der Eingeborenen, dann erhoben auch sie sich vom Strand und stürmten auf die Meute zu. Sie nutzten die kurze Verwirrung aus, schlugen und rissen den Indios die Waffen aus den Händen und drangen dann mit den Fäusten auf sie ein. Im Nu war ein wildes Handgemenge entbrannt.
Auch Ilana, Oruet und die drei anderen Mädchen, die sich inzwischen von ihrem schlimmsten Schrecken halbwegs erholt hatten, nahmen nun an dem Kampf teil, indem sie verlorengegangene Waffen einsammelten und damit gegen die Feinde von der Nordinsel vorgingen.
Hasard wälzte sich immer noch mit Borago auf dem Boden. Rechtzeitig bemerkte er, daß der Indio jetzt doch das Hartholzmesser gezogen hatte und sofort nahm er Boragos Handgelenk mit beiden Fäusten in einen Klammergriff.
Schon einmal hatte Hasard Bekanntschaft mit solch einem Hartholzmesser geschlossen, und zwar auf höchst unliebsame Art. Der Vorfall lag zwar schon Jahre zurück, aber er konnte sich immer noch so gut daran erinnern, als wäre das vor einer Woche geschehen.
Mit einem Ruck drehte er Boragos Gelenk um. Der Indio gab nicht nach. Sein Gesicht war verzerrt, und der Seewolf glaubte, seine Zähne knirschen zu hören.
Hasard lockerte seinen Griff, um es sofort darauf noch einmal zu versuchen. Borago nahm an, er habe jetzt die Oberhand gewonnen. Sie lagen nebeneinander, und er versuchte, sich über den Seewolf zu bringen, den Arm ganz freizukriegen und mit der Klinge zuzustoßen.
Aber Hasard stoppte sein Vorhaben im Ansatz. Wieder packte er fest zu und bog das Handgelenk herum, und diesmal schmolz Boragos Widerstand. Mit einem Schmerzenslaut ließ er das Messer los. Hasard ließ ihm nicht die Chance, sich von der erlittenen Schlappe zu erholen und eine neue Attacke zu starten. Er nahm eine Hand von dem Arm des Mannes, ballte sie und hieb sie ihm gegen die Kinnlade. Er schlug noch einmal zu und sah mit grimmiger Genugtuung, wie die Gestalt des Indios erschlaffte und von ihm wegsackte.
Hasard sprang auf und eilte Ben zu Hilfe, der es gleich mit drei Gegnern zu tun hatte.
Carberry hatte einen der Indios so kräftig verhauen, daß dieser entsetzt die Flucht vor ihm ergriff. Jetzt packte sich der Profos einen drohend anmarschierenden gedrungenen Kerl,