„Nun zu den Ameisen“, sagte Hasard und sah die Indianer erwartungsvoll an.
Der Wortführer nickte und winkte einen seiner Begleiter heran. Sofort begann dieser, aus zwei kleinen Körben, die sie mitgebracht hatten, halbgetrocknete Lianen auszupacken.
„Feuer“, sagte der Dolmetscher. „Viel Rauch, und Ameisen sind schnell tot.“ Die Seewölfe staunten über diese simple Methode. Ein ganz klein wenig Skepsis ließ sich aber nicht von der Hand weisen.
Ferris Tucker und der Kutscher holten sofort einige Messingbecken mit glühender Holzkohle, die sie bereits vorbereitet hatten, und augenblicklich begann man mit der Ausräucherung der gefährlichen Insekten.
Ed Carberry, der die ganze Zeremonie mit zweifelndem Gesichtsausdruck verfolgte, rümpfte bald die Nase.
„Jetzt ist unsere Lady nur noch ein verräucherter und stinkender Kasten“, stellte er fest. „Nicht einmal in der Hölle kann es so fürchterlich stinken und qualmen.“
Die übrigen Männer waren ganz seiner Meinung, aber gleichzeitig registrierten sie, daß wohl auch die lästigen und gefräßigen Ameisen nicht sonderlich von den dicken, schwarzen Rauchschwaden erbaut waren. Schon bald begannen sie nämlich, ihren Geist aufzugeben. Das Knistern wurde immer leiser, und es dauerte nicht lange, und auch die letzte Ameise rührte sich nicht mehr. Sie waren ausgerottet, und zwar absolut gründlich, wie die Crew mit Erstaunen und Erleichterung feststellte.
Als die Prozedur zu Ende war und Hasard sich davon überzeugt hatte, daß sie nur noch die toten Ameisen wegzufegen brauchten, erhielten die Indianer das versprochene Schießpulver sowie die Werkzeuge samt Beilen und Messern. Weil sie Wort gehalten hatten, brachte der Kutscher auf Geheiß Hasards noch einige Blöcke Steinsalz herbei, über das die kleinen Kerle mit den langen, blauschwarzen Haaren sofort gierig herfielen. Es schien ihnen noch wertvoller als das Pulver zu sein.
Die Männer konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie die Gesichter von Philip und Hasard, den Zwillingssöhnen des Seewolfs, sahen, die mit essigsaurer Miene und Augen, rund wie Ankerklüsen, den Heißhunger der Indianer auf Salz miterlebten.
Als dann noch Sir John über die Kuhl flatterte und etwas von „hinkenden Kanalratten“ und „triefäugigen Heringen“ krächzte, fühlten sie, daß „ihre“ Welt wieder in Ordnung war.
Wie es schien, hatten die Seewölfe neue Freunde gefunden.
Als die beiden Boote mit den winkenden Indianern hinter der Flußbiegung verschwunden waren, gab Philip Hasard Killigrew Befehl, den Anker zu hieven und die Segel zu setzen.
Dann nahm die „Isabella VIII.“ Fahrt auf, damit „der stinkende Kahn“, wie der Profos sich ausdrückte, „endlich mal wieder frische Luft holen“ konnte.
Bald lag der Urwaldfluß weit hinter ihnen. Nachdem der schlanke Rahsegler die Baja de Marajo verlassen und das offene Meer erreicht hatte, fiel er nach Backbord ab und ging, wie ursprünglich geplant, auf Nordwestkurs – dem nahen Äquator entgegen …
1.
Jetzt, zu Beginn des Monats März 1591, befand sich die „Isabella VIII.“ wieder in den Gewässern der nördlichen Erdhalbkugel und lief in einer warmen Tropennacht unweit des Äquators und des gewaltigen Deltas der Amazonas-Mündungen eine stille, geschützt liegende Inselbucht an.
Die Insel hieß „Ilha de Maracá“ und gehörte zu einem kleinen Archipel nahe der Ostküste der „Tierra Firme“, wie die Spanier und die Portugiesen den südlichen Teil der Neuen Welt zu nennen pflegten.
Es gab eine kleinere Insel weiter im Norden, die offenbar noch keinen Namen hatte, und vier bis fünf Meilen im Südosten der „Ilha de Maracá“ lag ein Eiland namens „Ilha Jipioca“, das allerdings nicht einmal halb so groß wie die Nordinsel war. Wieder etwas weiter südlich schließlich lag das „Cabo Norte“, das Nordkap, das in den Atlantik hinausragte.
Der Seewolf bezog alle diese Daten aus seinem umfangreichen Kartenmaterial. Er hatte am Vortag mit Dan O’Flynn zusammen Berechnungen angestellt, und dank ihres navigatorischen Geschicks war es ihnen gelungen, die Insel in der Dunkelheit zu finden, indem sie sich am Mond und an den Sternbildern orientierten.
Hier, wo der zweite nördliche Breitenkreis die „Ilha de Maracá“ in ihrer Mitte durchschnitt, wollte sich Philip Hasard Killigrew auf die Suche nach Frischfleisch und Trinkwasser begeben – nach jagbarem Wild und einer Quelle also, die seiner Meinung nach auf der Insel anzutreffen sein mußten.
Die erbarmungslose Hitze und die große Feuchtigkeit des Amazonasgebietes hatten die Vorräte an Bord der Galeone stark reduziert. Fleisch und Speckseiten waren verdorben, vom Frischgemüse und vom Obst ganz zu schweigen. Das Brot war zum größten Teil so stark angeschimmelt, daß es nicht mehr genießbar war, im Mehl krochen die Würmer, in der Fässern faulte das Süßwasser, und das Salz war zerflossen wie ein gärender Brei.
Da sich auch keine lebenden Tiere mehr an Bord befanden, die man hätte schlachten können, sah sich der Seewolf vor die dringende Notwendigkeit gestellt, größere Mengen Nachschub für die Kombüse und die Vorratslasten der „Isabella“ zu beschaffen. Das Festland wollte er jedoch nicht mehr anlaufen, um nicht zuviel Zeit zu verlieren, und so schien ihm die „Ilha de Maracá“ für seine Zwecke genau der richtige Platz zu sein.
Vor Morgengrauen wählte er die Männer aus, die ihn als Landtrupp bei der Erkundung der Insel begleiten sollten. Es waren Ben Brighton, Big Old Shane, Ed Carberry, Ferris Tucker, Blacky, Dan O’Flynn und Smoky. Old Donegal Daniel O’Flynn übernahm auf Hasards Anweisung hin für die Zeit seiner Abwesenheit das Kommando an Bord der „Isabella“.
Im Hereinbrechen des neuen Tages schickte Old O’Flynn einen argwöhnischen Blick zum Strand der Bucht hinüber. Er stand an der Backbordseite des Quarterdecks, hatte die Hände auf das Schanzkleid gelegt und schien angestrengt nachzudenken. Keiner der Männer, die in seiner Nähe waren, bezweifelte im geringsten, daß es wieder die üblichen düsteren Vorstellungen waren, die seinen Geist beschäftigten.
Shane wollte den Alten ansprechen, aber Ferris Tucker hielt ihn zurück und gab ihm durch eine Geste zu verstehen, daß es besser wäre, Old Donegal in Ruhe zu lassen. In der Tat gerieten Old O’Flynn und der graubärtige Riese schon oft genug aneinander, besonders dann, wenn es um die „Gesichter“ und die üblen Ahnungen des Alten ging.
Der Seewolf trat nun allerdings neben Old O’Flynn und sagte: „Nun rück schon heraus mit der Sprache, Donegal. Du kannst uns ruhig verraten, was uns erwartet, wenn wir die Insel betreten. Wir sind auf alles vorbereitet.“
Der Alte wandte den Kopf, und plötzlich hellten sich seine Züge auf. „Wie, du meinst, ich würde euch euren Untergang prophezeien und alle möglichen Fallen wittern? Nein, nein, diesmal täuschst du dich.“ Er lachte kurz auf. „Wenn du mich schon fragst, also, ich glaube, daß wir diesmal eine richtig schön gelegene Insel und eine nette freundliche Bucht erwischt haben.“
Hasard hob verblüfft die Augenbrauen. „Ist das dein Ernst?“
„Mein voller Ernst.“
„Und wir werden auch Wild und eine Quelle entdecken?“
„Bin ich ein Hellseher?“ fragte der Alte mit verschmitzter Miene zurück. „Bei der Vegetation, die ich von hier aus sehe, könnte das gut der Fall sein, aber es bleibt eben nur eine Vermutung.“
Big Old Shane trat einen Schritt näher und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Sag mal, willst du uns auf den Arm nehmen, Donegal?“ fragte er drohend. „Du bist doch sonst nicht so zimperlich mit deinen verdammten Voraussagen.“
Old O’Flynn musterte ihn angriffslustig. „Shane, paß auf, daß du an Land nicht hinfällst und dir die Ohren brichst. Ich sehe ein paar knorrige Wurzeln