Höhnisch verzog Old O’Flynn seinen Mund. „Du findest ja doch keinen, du krummbeiniger Eisenbieger. Ich in meinem Alter sehe noch so gut wie ein Seeadler, aber du kannst auf eine Kabellänge Entfernung ja nicht mal einen Felsen von einer Jungfrau unterscheiden.“
Shane wollte ihm eine geharnischte Antwort geben, doch Hasard unterband den beginnenden Streit in seinem Ansatz.
„Abentern an Bord der Jolle“, befahl er. „Wir setzen jetzt über und fangen mit der Erforschung der Insel an. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Das Boot war bereits abgefiert worden und dümpelte an der Bordwand des Schiffes. Hasard stieg aufs Hauptdeck hinunter, kletterte über das Schanzkleid und hangelte an der Jakobsleiter nach unten.
Die sieben Männer folgten ihm. Wenig später hatte sich die Jolle von der „Isabella“ gelöst und glitt unter gleichmäßigem Riemenschlag zum Strand der Bucht hinüber.
Grau kroch das erste Licht des Tages von Osten her über die Insel und löste die milchigen Schleier auf, die sich vom Wasser der Bucht bis zu den flachen Kuppen der Hügel im Inneren der Insel emporzogen.
Hasard, der die Ruderpinne der Jolle hielt, blickte zu den Hügeln auf und fragte sich im stillen, ob sich Old O’Flynn in seiner ausgesprochen optimistischen Äußerung über das, was sie auf der „Ilha de Maracá“ erwartete, diesmal nicht ein wenig geirrt hatte.
Keiner konnte auch nur ahnen, was sich wirklich ereignen würde.
Die Ankerbucht der „Isabella“ befand sich am Ostufer der Insel, und von dort aus war es unmöglich, alles zu überblicken. So erhoben sich zwischen dem Ostufer und den sandigen kleinen Buchten der Südseite die Hügel, die auch Bill, dem Ausguck im Großmars, die Sicht bis dorthin versperrten.
Folglich vermochten weder die an Bord der „Isabella“ zurückgebliebenen Männer noch Hasard und seine sieben Begleiter zu verfolgen, was sich um diese Zeit an einer der halbkreisförmigen, mit weißem Sand ausgefüllten Buchten im Süden tat.
Als der Seewolf mit seinem kleinen Trupp gerade landete und das Boot verließ, stiegen fünf Mädchen von einem der mit Buschwerk und niedrigen Bäumen bewachsenen Hänge ab und liefen auf den Strand. Sie stießen kurze, entzückte Rufe aus, lachten und benahmen sich völlig unbeschwert.
Sie hießen Ilana, Mileva, Ziora, Saila und Oruet, und sie gehörten dem kleinen Stamm von Indios an, der auf dieser Insel ein ziemlich sorgenfreies Leben führte.
Ilana blieb stehen und streifte als erste ihren engen Rock ab. Danach öffnete sie ihr kunstvoll besticktes Hemd, das in seinen bunten Mustern an eine der Molas im Dorf erinnerte, Applikationsnähereien, wie sie vor allen Hütten hingen.
Sie ließ das Hemd wie achtlos sinken und schritt auf die Brandung zu, mit anmutigen Bewegungen und leicht schwingenden Hüften, ihrer vollendeten Schönheit bewußt. Die anderen folgten ihrem Beispiel und gingen ihr nach. Sie waren unbekümmert in ihrer Nacktheit und benahmen sich so ausgelassen wie Kinder, als sie das Wasser erreichten.
Sie liefen lachend durch die Brandung. Oruet geriet ins Stolpern und fiel, aber Ilana drehte sich sofort um und half ihr wieder auf.
Die drei anderen kicherten. Mileva wollte Ilana und Oruet mit Wasser bespritzen, doch der zurechtweisende Blick Ilanas hielt sie zurück.
Ilana und Oruet waren die besten Freundinnen, sie benahmen sich wie Schwestern, und stets war Ilana hilfreich um das etwas schwerfälligere Mädchen bemüht, als habe ihr das jemand besonders ans Herz gelegt.
Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte Ilana, die Kessere und Mutigere von beiden, bei einer ihrer Eskapaden nur hundert Schritte vom Dorf entfernt einmal eine höchst unliebsame Begegnung mit einer giftigen Schlange gehabt. Das Reptil hatte sich vor ihr aufgerichtet, um zuzustoßen, und Ilana war vor Schreck wie gelähmt gewesen. Oruet jedoch, die alles beobachtet hatte, hatte überraschend geistesgegenwärtig gehandelt und einen Stein aufgehoben, der so groß war, daß sie ihn kaum halten konnte. Diesen Stein hatte sie auf die Schlange geworfen – und Ilana hatte ihr dies nie vergessen.
Oruet prustete und sagte: „Danke, Ilana. Ich bin aber auch zu ungeschickt. Ich glaube, ich bin ein richtiger Tolpatsch.“
„Unsinn. Komm, ich will, daß du jetzt endlich richtig schwimmen lernst.“
„Das lerne ich nie.“
„Du mußt dich dazu zwingen“, sagte Ilana. „Eines Tages könnte es lebenswichtig für uns alle sein, uns im Wasser fortzubewegen.“
„Du meinst, weil Surkuts Männer kommen könnten?“
„Ja.“
„Tubuago, dein Vater, sagt, daß Surkut es niemals wagen würde, uns zu überfallen. Surkut hält große Reden, aber im Grunde seines Herzens ist er ein Hasenfuß.“
„Das mag sein“, sagte Ilana. „Aber er versteht es, seine Männer gegen uns aufzuwiegeln. Bald wird ihr Haß gegen uns so groß sein, daß sie sich nur noch wünschen, uns alle totzuschlagen.“
Entsetzt riß Oruet die Augen auf. „Rede doch nicht so, Ilana. Ich kann es nicht ertragen, wenn du so etwas sagst.“
Ilanas Miene veränderte sich, sie lächelte plötzlich wieder. „Du hast wirklich recht. Wir sollten uns unser Morgenbad nicht verderben. Laß uns ins tiefere Wasser waten.“
„Ilana“, sagte Oruet. „Wenn Kewridi dich jetzt so sehen könnte – wenn er wüßte, daß du hier bist, würde er bestimmt dort drüben zwischen den Büschen hocken und dich beobachten.“
„Er weiß es aber nicht. Keiner von den jungen Burschen aus dem Dorf weiß, daß wir hier sind, und das ist auch gut so, denn sie sind alle viel zu stürmisch und können sich nicht zurückhalten.“ Ilana lachte, griff nach Oruets Arm und zog sie mit sich zu den anderen, die inzwischen schon bis zur Brust im Wasser standen und ihnen zuwinkten.
Kewridi war ein junger Jäger und Fallensteller, der Ilana seit einiger Zeit den Hof machte, jedoch von Tubuago, dem Häuptling der Maracá-Indios, immer wieder energisch zurückgewiesen wurde. Ilana stand seinem Werben halb angetan, halb reserviert gegenüber, denn sie wußte selbst nicht genau, wie sie sich verhalten sollte.
Die fünf Mädchen bewegten sich im klaren, türkisfarbenen Wasser und blickten zum Himmel auf, der sich über ihnen allmählich blau zu färben begann. Die Brise aus Südosten, die den herben Duft der See landeinwärts trug, spielte mit ihren schwarzen Haaren, und das Licht der Sonne setzte ihren Körpern einen bronzefarbenen Schimmer auf.
Ilana bemühte sich darum, Oruet das Schwimmen in Rückenlage beizubringen. Sie tat das nicht zum erstenmal, aber ihre Geduld schien unerschütterlich zu sein. Immer wieder erklärte sie ihrer Freundin, daß man den Rücken durchdrücken und die Beine so ausgestreckt wie möglich halten müsse – und immer wieder ging Oruet unter.
Die Vertrautheit mit dem nassen Element war bei den Inseln-Indios eine Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit, die meisten von ihnen waren gute Schwimmer und Bootsfahrer. Jede Mutter pflegte mit ihrem Neugeborenen zuallererst ein kaltes Bad zu nehmen, um es abzuhärten und an das Wasser zu gewöhnen. Auch den Mädchen brachte man das Schwimmen bei, und die größte Zahl von ihnen waren überdies hervorragende Taucherinnen, die Muscheln und Korallen aus der Tiefe holten.
Nur bei Oruet waren bislang alle Versuche fehlgeschlagen, sie diese Fertigkeiten zu lehren. Ihre Eltern, ihre Brüder und alle anderen Verwandten hatten es schon aufgegeben, sie entsprechend zu unterrichten. Nur Ilana hielt nach wie vor fast starrsinnig an ihrem Vorhaben fest.
Oruet tauchte wieder auf. Sie spuckte etwas Wasser aus und rieb sich die Augen.
„Hör jetzt mal gut zu“, sagte Ilana. „Das Wasser trägt dich, du darfst nur keine Angst davor haben. Das Wasser ist dein Freund, wenn du die Furcht verlierst. Du kannst dich darauf ausruhen wie auf deiner Schlafmatte, du brauchst es nur zu wollen. Oruet – du bist ja schon